Der Dollarzerfall – ein Geschenk des Himmels

Der tiefe Dollarkurs veranlasst viele Europäer, ihre Weihnachtseinkäufe in New York zu tätigen. Auch immer mehr Schweizer zieht es in die Metropole. Finanziell lohnt sich die Reise mehr denn je.

Von Peter Hossli

Der Turm von Babel ragt an der 34. Strasse empor. Hier im New Yorker Stadtteil Manhattan steht das Macy’s, das grösste Warenhaus der Welt. Wer es betritt, hört ein wirres Gemurmel. Ein Fetzen Französisch, ein Stück Spanisch, ein Brocken Deutsch, viel Italienisch, noch mehr Irisch. Mit Kaschmirpullovern, Parfümpäckchen und Seidenhemden unter dem Arm schreiten fidele Touristen zu den Kassen. Dahinter lächeln Verkäuferinnen, die mehrsprachig europäische Kreditkarten akzeptieren.

Es ist Weihnachtszeit in New York, und die Stadt fühlt sich noch voller, noch internationaler an. Die europäischen und lateinamerikanischen Touristen schleppen ihre gefüllten Einkaufstaschen durch die Strassenschluchten, sie verlängern Warteschlangen in den Kaffeehäusern und belegen die Plätze in der Subway. Eine Million ausländische Touristen reisen von Mitte November bis Ende Dezember nach New York, die meisten sogar allein für wenige Tage.

Es sind nicht die dezenten Lichterketten, die sie locken. Der Atlantiktrip spart ihnen mächtig Geld. In New York sind nicht nur Fotoapparate, Computer, Turnschuhe, Kleider oder Spielsachen günstiger als in Europa. Der derzeit absackende Dollar hat die Metropole in ein traumhaftes Revier für Schnäppchenjäger verwandelt. «Der tiefe Dollar erhöht den Zustrom von ausländischen Kunden markant», sagt Macy’s-Sprecherin Elina Kazan. «Ausländische Touristen sind für unser Weihnachtsgeschäft zentral.»

Sie seien «enorm wichtig» für New York, sagt Fred Dixon vom New Yorker Tourismusbüro. Er freue sich «riesig» darüber, dass der Dollar wieder falle. Insbesondere Briten, Iren und Franzosen würden den Wechselkurs genau beobachten und bei Schwankungen kurzfristig nach New York fliegen. «Es kommen aber auch immer mehr Deutsche und Schweizer.»

Deren Ersparnisse sind beachtlich. Wen es nach einem schicken schwarzen MacBook von Apple gelüstet, kriegt den Laptop in New York für 1399 Dollar, also für rund 1670 Franken. Dasselbe Gerät kostet in der Schweiz 2150 Franken. Bei diesem Rabatt nimmt man gerne ein englisches Betriebssystem und eine amerikanische Tastatur in Kauf.

Dass der New Yorker Warenkorb günstig ist, belegt die von der UBS verfasste Studie «Preise und Löhne 2006». Demnach liegen die Elektronikpreise in New York mehr als 30 Prozent unter denen von Zürich. Damen- und Herrenkleider sind 15 Prozent billiger. Der Wechselkurs lag zum Zeitpunkt der Erhebung allerdings bei 1,295 Franken pro Dollar, mittlerweile ist er auf 1,195 abgerutscht. Davon profitieren besonders die Weihnachtsbummler. American Express Travel hat ermittelt, dass die heiss begehrten Geschenke wie iPods, Jeans von Levi’s oder Videogame-Konsolen in New York weltweit am günstigsten sind.

Einkaufen in New York ist nicht nur preiswert, es ist auch angenehm. Kaufhäuser stellen zusätzliches Personal an, das einen freundlich bedient. Extremshopper schätzen zudem, dass einzelne Quartiere spezifische Bedürfnisse in konzentrierter Form abdecken. Teure Boutiquen von edlen Designern finden sich entlang der Madison Avenue an der Upper East Side. Bestechend gute Nachahmungen von edlen Designerstücken gibt es an der Canal Street und in der benachbarten Chinatown. Ein Apple-Store ist nonstop geöffnet. Trendsetter finden Surfbretter und Snowboard-Stiefel in Soho. Schliesslich bieten Mega-Warenhäuser wie Macy’s oder Bloomingdale’s je rund eine halbe Million verschiedene Artikel an. Auch die Infrastruktur, die aggressives Einkaufen erst ermöglicht – der Espresso, die Fahrt im Taxi, das Mittagessen -, ist weit günstiger als in der Schweiz.

Wer für über 2500 Franken einkauft, sollte mit den Ersparnissen das Flugbillett decken können. Die Hotelpreise, die im Dezember in die Höhe schnellen, schlagen dann noch zu Buche. Günstige Mietzimmer oder Wohnungen sind auf der Website Craigslist (newyork.craigslist.org) zu finden – angeboten von New Yorkern, die der touristischen Invasion entfliehen wollen.

Riesige Outlets
Der Weihnachtsbummel durch New York ist seit je ein Freizeitspass für reiche Europäer. Nun steigen vermehrt weniger Begüterte in Charter-Jets und reisen zum Einkaufen an die US-Ostküste. Deren Ziel: Outlet-Malls in Manhattan oder in unmittelbarer Nähe. In der Stadt bietet Century 21 (c21stores.com/nyc.asp) preiswerte Designerstücke an. Der neben dem Ground Zero gelegene Laden ähnelt einem Wühltisch mit spektakulär tiefen Preisen. Die beliebteste und mit 220 Läden grösste Outlet-Mall ist Woodbury Common Premium Outlets in Central Valley, eine Autostunde nördlich von New York. Das Busunternehmen Gray Line bietet ab Port Authority (8. Avenue und 42. Strasse) Einzelfahrten und einen achtstündigen, geführten Shoppingtrip (38 Dollar pro Person) an. Wer stilbewusst und billig einkaufen will, kann bei Liberty Helicopter (+1 908 474 9700) einen 25 Minuten dauernden Flug nach Central Valley buchen. Für 3200 Dollar befördert der Hubschrauber sechs Passagiere. Hinzu kommen 160 Dollar für die Limousine zur Mall.

Viel Günstiger
Eine Xbox 360 kostet in der Schweiz 579 Franken. In New York ist die Spielkonsole von Microsoft für 299 Dollar zu haben, was einer Ersparnis von rund 220 Franken entspricht. Ein in New York erstandener 80-GB-iPod ist 133 Franken günstiger als in Zürich. Wer den Einkaufsbummel in Amerika kalkuliert, darf aber nicht nur die Preisschilder beachten. Die meisten Produkte kosten zwar zwischen 20 und 50 Prozent weniger. Die Verkaufstaxe von 8,375 Prozent ist im Preis aber nicht inbegriffen. Die Steuer entfällt nur bei Kleidungsstücken und Schuhen für weniger als 100 Dollar. Da die Taxe bei der Ausreise nicht rückvergütet wird, gewähren Warenhausketten ausländischen Kunden Rabatte. Vorsicht ist beim Einkauf mit Schweizer Kreditkarten geboten. In der Regel kommt ein Zuschlag von 2,5 Prozent dazu. Es zahlt sich aus, Bargeld mitzunehmen. In die Schweiz dürfen Waren bis 300 Franken zollfrei eingeführt werden. Danach erhebt der Zoll eine Mehrwertsteuer je nach Produkt von 2,4 oder 7,6 Prozent.