Von Peter Hossli und Pascal Zemp
Der Amerikaner Marc Andreessen hat zur richtigen Zeit das richtige Computerprogramm erfunden. An der Universität von Illinois, an der er in Computerwissenschaften abschloss, bastelte er 1992 am Programm Mosaic. Diese Applikation, aus der später Netscape Navigator entstand, revolutionierte das Stöbern im World Wide Web: Andreessen machte aus der Welt eine einzige Festplatte. Als das Programm lief, wollte sich die Universität die Rechte sichern. Stattdessen tat sich Andreessen mit Silicon-Graphics-Gründer Jim Clark zusammen und gründete mit ihm 1994 Netscape Communications. Einige Monate später gingen die beiden Partner an die Börse. Das Vermögen des Jungstars, der es auch schon aufs Titelbild des US-Magazins «Time» brachte, beläuft sich auf 100 Millionen Dollar. Marc Andreessen ist heute bei Netscape für Technologie verantwortlich. Die Firma, die dieses Jahr 600 Millionen Dollar umsetzt, beschäftigt 2700 Mitarbeiter.
Mister Andreessen, Sie treten zum Interview im perfekt sitzenden Anzug an. Normalerweise tragen Sie verwaschene Jeans und übergrosse T-Shirts.
Marc Andreessen: Selbst meine Kollegen waren erstaunt. Es ist übrigens ein Anzug von Zegna, italienisches Design.
Beruhigen Sie mit diesem Imagewechsel die Investoren, deren Glaube an Netscape stark gesunken ist?
Andreessen: Überhaupt nicht. Ich bin erstmals in Europa. Mir wurde gesagt, die Europäer legten mehr Wert auf Kleidung als wir Amerikaner. Fremde Sitten respektiere ich.
Dennoch: Ein seriöseres Auftreten kann Netscape nur hilfreich sein. Ihnen droht, was vielen mittelgrossen Softwarefirmen widerfuhr – eine unfreundliche Übernahme.
Andreessen: Selbst wenn ich Shorts trüge, kann Netscape nicht übernommen werden. Die Mehrheit der Aktien liegt in den Händen jener Leute, die bei Netscape arbeiten.
Netscape verliert im Browser-Markt massiv an Boden gegenüber Hauptkonkurrent Microsoft.
Andreessen: Mit dem Browser verdienen wir das Geld nicht. Wir konzentrieren uns auf das so genannte Intranet, bieten firmeninterne Lösungen für Netzwerke an.
Dem Intranet fehlt jener Reiz, dank dem die Firma Netscape im Internet erfolgreich war.
Andreessen: Im Anzug bin ich doch sexy, mehr noch als in kurzen Hosen. Mit der zwar populären, aber wenig einträglichen Internet-Software haben wir kaum Geld verdient. Wir brauchten den Browser nur, um bekannt zu werden. Das richtige Geschäft hat eben erst begonnen.
Viele Banken raten derzeit aber ab, Netscape-Aktien zu kaufen.
Andreessen: An der Wallstreet raten viele zum Kauf unserer Papiere.
Weil sich Netscape nicht mehr um die einzelnen Surfer kümmert, sondern um die finanzstarken Firmen?
Andreessen: Das kann man so sehen. Ein berühmter Bankräuber sagte einst, er überfalle Banken, weil dort das Geld liege. Wir denken genauso: Firmen haben Geld, private Internet-Surfer nicht.
Ihr Hauptkonkurrent Bill Gates denkt anders. Er glaubt an die Surfer und hat eben 150 Millionen Dollar in die schicke, aber marode Computerfirma Apple investiert. Weshalb nicht Netscape? Ihre Firma hätte das Geld gehabt.
Andreessen: Ich schmeisse doch nicht 150 Millionen Dollar zum Fenster hinaus.
Mit dieser Investition hat Gates den Browser-Krieg entschieden. Wieder war er klüger als die andern.
Andreessen: Gates fehlen die Visionen. Er hat das Internet verschlafen. Sein Versuch, zusammen mit dem US-Fernsehsender NBC den Sender CNN zu konkurrenzieren, geriet zum Desaster. Microsofts Ansinnen, den weltgrössten Internet-Provider, America Online, zu zerstören, scheiterte ebenfalls. Und Netscape gibt es auch noch.
Im Kampf gegen Microsoft ist die Computerbranche auf staatliche Hilfe angewiesen.
Alle hoffen, US-Justizministerin Janet Reno weise Gates demnächst in die Schranken.
Andreessen: Die Regierung hilft uns nicht, sie wendet nur geltendes Recht an.
Bill Gates bricht Gesetze?
Andreessen: Microsoft ist eine grossartige Firma. Sie wäre noch grossartiger, wenn sie sich an die Spielregeln hielte.
Das entspricht ganz dem Klischee: Netscape ist gut, Microsoft böse – ein etwas simples Erfolgsrezept.
Andreessen: Nein, das stimmt nicht. Wir sind eine Firma, die erfolgreich ist, weil sie einfach zu benutzende Software verkauft. Andere Marketingstrategien kümmern uns nicht.
Stimmt es, dass Sie Bill Gates noch nie getroffen haben?
Andreessen: Ja. Worüber sollten wir denn sprechen?
Zum Beispiel über Geld.
Andreessen: Keine Lust. Wir hätten wirklich nichts zu besprechen.
Gates hat alles, was Sie nicht haben: Er stammt aus einer reichen Familie in der Westküstenmetropole Seattle, besitzt viel mehr Geld als Sie, studierte in Harvard. Sie wuchsen in bescheidenen Verhältnissen in der Kleinstadt New Lisbon in Wisconsin auf und gingen an die unbedeutende Illinois-Universität.
Andreessen: Im Gegensatz zu Gates habe ich mein Studium abgeschlossen.
Sie gelten als Wunderkind, das mit dem Browser die Welt grundsätzlich veränderte. Mit 24 Jahren waren Sie Multimillionär und auf dem Titelblatt des US-Magazins “Time”. Kürzlich wurde in Presseberichten der Vorwurf laut, Sie hätten den Browser gar nicht erfunden.
Andreessen: Wissen Sie, Zeitungen müssen ihre Spalten füllen.
Was treiben Sie denn den ganzen Tag?
Andreessen: Ich bin verantwortlich für 1000 Programmierer. Das reicht doch, um die Zeit sinnvoll auszufüllen.
Ein eigenes Büro haben Sie noch immer nicht?
Andreessen: Doch, seit kurzem. Bis anhin lebte ich im Internet. Ein Laptop und ein paar Sitzungen genügten, um meine Aufgabe als Ideenlieferant bei Netscape zu erfüllen. Jetzt habe ich einen richtigen Job mit einem richtigen Büro.
Sie sitzen nicht mehr im T-Shirt zu Hause, streicheln Hunde, blicken aus dem Fenster und haben Visionen?
Andreessen: Nur noch nach Mitternacht. Dann sitze ich im T-Shirt am Fenster und streichle die Hunde.
… und essen dazu Hamburger und trinken Schokomilch?
Andreessen: Darauf können Sie sich verlassen. Allerdings weniger als früher. Auch ich habe herausgefunden, dass dieser Junkfood ungesund ist.
Sie sind sehr jung und sehr reich. Was bedeutet Ihnen Geld?
Andreessen: Da mein Vermögen vor allem aus Netscape-Aktien besteht, muss ich hart arbeiten, damit es nicht schrumpft.
Als Netscape im August 1995 an die Börse ging, besassen Sie plötzlich 50 Millionen Dollar. Stolz?
Andreessen: Ich hatte das Gefühl, sofort wieder an die Arbeit gehen zu müssen. Es ist wie beim Hamster im Rad: Wenn das Tier mit Rennen aufhört, geht die Glühlampe aus.
Sie halten keine Hamster, sondern zwei Bulldoggen. Die sind gefährlich.
Andreessen: Unsinn. Erstens sind es drei. Und zweitens sind Pitbulls gefährlich, die zu Kampftieren gezüchtet wurden. Meine Hunde haben einen 800-jährigen Stammbaum, und sie sind ausgesprochen gutmütig.
Wählen Sie demokratisch oder republikanisch?
Andreessen: Ich wähle unabhängig. In der Computerbranche geben sich die meisten zwar liberal. Geht es ums Geld, werden sie schnell sehr konservativ.
Genügt Bill Clintons Engagement für die Informationsindustrie?
Andreessen: Überhaupt nicht. Die Regierung Clinton ist eine grosse Enttäuschung. Sie hat die meisten wichtigen Entwicklungen falsch eingeschätzt und wenig brauchbare Gesetze in Kraft gesetzt. Wir hoffen, das ändern zu können.
Hierfür trafen Sie sich oft mit Vize-Präsident Al Gore. Wollen Sie ihn zum nächsten Präsidenten machen?
Andreessen: Wir aus dem Silicon Valley beginnen zu realisieren, wie wichtig gute Beziehungen zu Washington sind. Die Filmindustrie und die Telekommunikationsbranche haben das längst begriffen. Wir haben nun begonnen, bei Wahlen einzelne Kandidaten finanziell zu unterstützen.
Sie sind 26 und besitzen bereits über 100 Millionen Dollar. Haben Sie überhaupt noch Visionen?
Andreessen: Immer wieder. Derzeit fasziniert mich Nanotechnologie, also die Manipulation einzelner Atome. Der Gedanke, aus Software reale Materie herzustellen, ist faszinierend.
Sie wollen unsterblich werden?
Andreessen: So weit möchte ich nicht gehen. Nanotechnologie erlaubt es theoretisch, den physischen Verfall zu stoppen. Das ist doch ein irres Konzept. Mit Nanotechnologie wird in den nächsten dreissig Jahren jemand reichlich Geld verdienen.
Sie?
Andreessen: Gut möglich.