Realität und Reality-Show

Es ist völlig offen, wer US-Präsident wird. Und das sagt mehr aus über die USA als die beiden Bewerber.

Von Peter Hossli (Text) und Stefan Falke (Fotos)

hillary_prisonEinfach war es nicht, die Attacken von Donald Trump (70) zu kontern. Die Republikaner bezeichneten Hillary Clinton (68) letzte Wochen in Cleveland als gefährlich, bösartig, hintertrieben. «Steckt sie ins Gefängnis!», lautet der Schlachtruf. Gespalten seien die USA, bedroht durch innere wie äussere Feinde, wirtschaftlich fragil.

Mit einer kolossalen Show hielten die Demokraten in Philadelphia dagegen. Sie boten die Grössen der Partei und Stars aus Hollywood auf. Deren Botschaften waren positiv und fokussiert – ein Kontrast zum fast krankhaften Zorn der Republikaner. Die Demokraten feierten das politische Vermächtnis von Barack Obama (54), betonten, seine Arbeit sei noch nicht beendet. Fortführen könne sie einzig Hillary. Nie zuvor habe sich eine so erfahrene Person ums höchste Amt beworben, «nicht Bill, nicht ich», so Obama. «Keiner weiss, wie es wirklich ist, plötzlich im Oval Office zu sitzen, Hillary weiss es.»

Ihre Leidenschaft für Kinder und Familien priesen viele, am treffendsten Tim Kaine (58), ihr Kandidat für das Amt des Vize. «Eine Leidenschaft ist dann authentisch, wenn sie anfängt, bevor jemand ein öffentliches Amt belegt», so Kaine. «Als niemand hinschaute, setzte sich Hillary bereits für Kinder ein.» Weich und fürsorglich sei sie. Vor allem aber umtriebig und zäh. Resolut habe sie bei der Jagd auf Terrorfürst Osama bin Laden († 54) agiert, sagte Ex-CIA-Direktor Leon Panetta (78).

trump_noDieser Moment ist historisch, das war in der Wells Fargo Arena in Philadelphia allen klar. Erstmals überhaupt kann eine Frau mächtigste Person der Welt werden. Symptomatisch, dass eine derart gut qualifizierte Frau zum Zug kommt. Pionierinnen waren stets Über-Frauen. Genau das ist Hillary: eine Pionierin.

Trump geriet in Philadelphia ins Visier, aber nicht so hasserfüllt wie Hillary Clinton in Cleveland. Als Karikatur zeichneten ihn die Demokraten, als Rüpel und Hochstapler. Einem, der mit Tweets zündle, dürfe man keine Atomwaffen anvertrauen.

Als New Yorker sei er sich gewohnt, Schwindler zu entlarven, sagte New Yorks Ex-Bürgermeister Michael Bloomberg (74) – und entlarvte Trump gnadenlos. Er sprach den bissigsten Satz der letzten beiden Wochen: «Hillary Clinton versteht: Das ist keine Reality-Show – das ist die Realität.»

Nun haben die Amerikaner die Wahl: Zwischen einer leidenschaftlichen Politikerin, die zwar machthungrig ist, aber aus Überzeugung handelt. Und einer Kunstfigur, die zuerst die Republikaner gekapert hat und nun das Gleiche mit dem Weissen Haus vorhat.

Wer gewinnt, ist völlig offen. Was mehr aussagt über die USA als über die beiden Bewerber.