Geschwächte Grande Nation

Warum ist Frankreich so oft das Ziel von Terroranschlägen? Ein Kommentar.

Von Peter Hossli

Wer bereit ist zu sterben, kann mit wenig Aufwand viel Leid verursachen. In Bagdad sprengen sich Selbstmord-Attentäter in die Luft, reissen Hunderte mit in den Tod. Seit Jahren versuchen Palästinenser in Israel, Passanten mit Autos zu überrollen. So viele Tote wie in Nizza gab es durch ein Fahrzeug noch nie. Passieren aber kann es überall.

Und doch fällt auf: Frankreich ist besonders häufig betroffen von terroristischen Anschlägen. Anfang 2015 starben Zeichner von «Charlie Hebdo». Letzten November mordeten Männer im Pariser Nachtclub Bataclan, schossen auf Bistros, sprengten sich vor dem Stade de France in die Luft. Die Täter? Stets radikale Muslime.

Was ist los in Frankreich? Die koloniale Geschichte prägt La Grande Nation. Die Wunden des Algerienkriegs sind nie richtig verheilt. Danach scheiterte die Integration der Zuwanderer aus dem Maghreb. Jahrelang taten die Franzosen so, als seien in ihrem Land alle gleich. Probleme, die durch Unterschiede entstehen, unterdrücken sie. Als Wiege der
Aufklärung hat Frankreich die Religion aus dem öffentlichen Leben verbannt. Was moderne Menschen zu Recht begrüssen. Muslime aber sehen etwa im Kopftuchverbot einen gezielten Angriff auf ihren Glauben.

Frankreich hat Atomwaffen. Das Land jedoch ist geschwächt. Wenig funktioniert wirklich gut. Nie hätte ein Lastwagen am Nationalfeiertag ungehindert auf die Promenade des Anglais fahren dürfen. Streiks lähmen Staat wie Wirtschaft, verhindern Reformen. Junge Muslime in Vorstädten finden kaum Arbeit. Einige werden kriminell, radikalisieren sich im Gefängnis, sind bereit zu sterben. Rasche Lösungen? Die gibt es nicht.