Der Kampf um das gedruckte Wort

Anachronismus oder Bewahrer des Journalismus? Wie drei US-Familien um ihre Verlage kämpfen. Mit dem aggressiven Übernahmeangebot an Dow Jones beschleunigt Medienmogul Rupert Murdoch den Zerfall der Dynastien.

Von Peter Hossli

Die Bancrofts aus Boston sind meist ein friedlicher Clan. Fast unbemerkt verwalten sie seit 92 Jahren Dow Jones, das Verlagshaus des «Wall Street Journal». Seit letzter Woche ist die Familie jedoch zutiefst zerstritten. Gerade mal 52 Prozent des Clans lehnten eine Offerte von Medienzar Rupert Murdoch ab, für die jahrelang bei 30 Dollar dümpelnden Dow-Jones-Aktien 60 Dollar zu zahlen. «Es gibt Bancrofts, die bei 62 Dollar, nicht bei 60 verkaufen wollen», so der frühere «Wall Street Journal Europe»-Chefredaktor Normal Pearlstine, «andere würden bei 60 Dollar verkaufen, nicht aber an Murdoch.»

Damit zeichnet sich bei den alteingesessenen Bancrofts ein wüster Generationenkonflikt ab. Die Jüngeren wollen teuer verkaufen, die Älteren bangen um journalistische Integrität. Ihnen wären Microsoft-Gründer Bill Gates oder Investment-Guru Warren Buffett als Käufer lieber. «Ich möchte die Familie nicht zerrütten», sagte der Australier – was er mit seinem unanständigen Angebot jedoch bewirkte.

Verlag als «Stütze der amerikanischen Demokratie»

Kaum hatte er es unterbreitet, bat er die zurückgezogenen Bancrofts um ein Treffen, quasi von Familie zu Familie. Zumal die Murdochs doch «vom selben Schlag» seien wie die Bancrofts. Nicht ganz. Während der Wert von Murdochs News Corp stetig gestiegen ist, ist die Dow-Jones-Aktie geschlingert bzw. hat sich der Umsatz des «Wall Street Journal» seit der Internetblase im Jahr 2000 halbiert. Die Zeitung gewinnt zwar öfter Pulitzer-Preise, verliert aber Inserate. Ebenso fällt die Rendite.

Zumindest öffentlich kümmert das die Familie Bancroft kaum. Sie besitzt 24,7 Prozent des Kapitals, hält aber dank Vorzugsaktien 64,2 Prozent der Stimmen und somit die Kontrolle über alle Entscheide. Als «nationale Institution» würden sie ihren Verlag hüten, schreibt Dow-Jones-Grossaktionär James Ottaway, als «Stütze der amerikanischen Demokratie». Die Bancrofts halten sich bewusst aus den Redaktionen fern. Nicht so Murdoch, der schon mal dem Chefredaktor einer seiner Zeitungen eine Titelzeile diktiert.

Die Familie Bancroft war schon einmal zerstritten

1905 hatte der Journalist Clarence Barron den beiden Gründern Charles Dow und Edward Jones die Firma abgekauft. Barrons Adoptivtochter Jane erbte Dow Jones und ehelichte den Brahmanen Hugh Bancroft. Deren englische Vorfahren begründeten eine der ersten Kolonien Amerikas. Hugh Bancroft wurde durch die Heirat mit Jane Dow-Jones-Präsident. Er litt aber an Depression und zündete sich 1933 bei lebendigem Leib an.

Nach dem grässlichen Selbstmord zog sich die Familie aus dem Management zurück. Die drei Kinder von Jane und Hugh teilten sich das Erbe auf. Heute stellen sie und ihre Kinder die rund 35 Eigner der stimmberechtigten Aktien. Es sind Philanthropen, Banker und Piloten. Drei Familienmitglieder sitzen, weitgehend passiv, im Verwaltungsrat.

Nur einmal regte sich Widerstand gegen die Struktur. Springreiterin und Bancroft-Nichte Elisabeth Goth und ihr Cousin William Cox III beklagten sich 1997 öffentlich über magere Renditen. Statt hohe Dividenden auszuschütten, solle die Firma mehr investieren, forderten sie. Cox’ Vater William II schlichtete den Familienzwist. Das versucht er nun erneut, bisher vergeblich.

Gehören den Bancrofts derzeit die Schlagzeilen, fürchten die beiden anderen arrivierten US-Pressefamilien nun ebenfalls unliebsame Übernahmen. Aus Protest gegen die zwei Aktienklassen enthielten sich letzte Woche 48 Prozent der Aktionäre der New York Times Company der Stimme. Vor einem Jahr waren es noch 28 Prozent gewesen, die sich gegen die Vorzugsaktien der Besitzerfamilie Ochs-Sulzberger gewehrt hatten. Damals schon prophezeite CASH anstehende Übernahmeattacken auf US-Medienhäuser.

Wenn eine Familie «geknackt» wird, fallen auch die anderen

Seit 111 Jahren lenken die beiden Familien Ochs und Sulzberger aktiv die weltweit renommierteste Zeitung. Stets amtete ein Familienmitglied als Verleger der «New York Times» und als Chef der Firma. Von sinkenden Renditen und fallenden Aktienkursen liess sich die Familie nie beirren. Stattdessen hält sie das Banner des Qualitätsjournalismus hoch. Würden die Vorzugsaktien abgeschafft werden, argumentiert der jetzige Chairman Arthur Sulzberger jr., sei der amerikanische Journalismus «höchst gefährdet».

Angesichts der minimalen Renditen kanzelt die Wall Street solche Äusserungen als arrogant ab. Geradezu kurios wirkt, dass ausgerechnet Donald Graham den Sulzbergern zu Hilfe eilt – mit einem Leitartikel im Bancroft-Blatt «Wall Street Journal». Darin rief der Chef der Washington Post Company die New-York-Times-Aktionäre unlängst auf, die Aktienstruktur zu belassen. Neue Käufer brächten Instabilität. Donald Graham denkt wohl vor allem an das eigene Haus. 1933 kaufte sein Grossvater Eugene Meyer die bankrotte «Washington Post». Zuerst brachte sein Vater Philip Graham, dann aber vor allem seine Mutter Katharine Graham Meyer dem Blatt journalistische Brillanz. Dank dem Mut der 2001 verstorbenen legendären Verlegerin deckten zwei junge Reporter den Watergate-Skandal auf.

Journalistische Ungebundenheit, wiederholte Graham schon einige Male in der Vergangenheit, sei nicht zu vereinbaren mit dem täglichen Druck der Börse. Die Familie legte sich bereits beim Börsengang 1971 Vorzugsaktien zu – und sicherte sich die Kontrolle über die Zeitung und das zum Konzern gehörende Nachrichtenmagazin «Newsweek». Wenn nun Murdoch zuerst bei den Bancrofts den Familien-Riegel knackt, dann dürfte er bald auch bei den Sulzbergern und Grahams fallen.

Attraktive News

Das Aushängeschild der Dow Jones Company ist zwar die Wirtschaftszeitung «Wall Street Journal». Dennoch beurteilen US-Medien-Analysten das Übernahmeangebot von Rupert Murdoch an Dow Jones nicht nur als eigentliches Vorpreschen in den Printbereich. Der clevere Australier versuche auch, sein Imperium an elektronischen Medien mit Dow Jones massiv auszubauen.

So plant der Besitzer von My Space oder des Nachrichtenkanals Fox News einen Wirtschaftsfernsehsender. Die vifen Reporter des «Wall Street Journal» sollen ihn rund um die Uhr beliefern, und Murdoch wolle den Sender gar «Wall Street Journal TV» nennen. Mit knapp einer Million zahlender Abonnenten ist die Onlineversion des Journals die einträglichste News-Site im Internet. Mit der elektronischen Datenbank Factiva verfügt Dow Jones über Wirtschaftsdaten, die gemäss Murdoch ein enormes kommerzielles Potenzial haben.