Cola-Könige suchen nach dem richtigen Rezept

Der eine verkaufte überall Coca-Cola, der andere brachte Pizzas an die Amerikaner. Der eine scheut radikale Veränderungen, der andere setzt auf Vielfalt. Coke-Chef Neville Isdell gerät gegen PepsiCo-Urgestein Steven Reinemund ins Hintertreffen.

Von Peter Hossli

Das delikate Angebot kam per Post, im Firmenumschlag von Coca-Cola. Ein Mann mit Decknamen Dirk bot geheime Dokumente und eine Kostprobe des neusten Coke-Getränks an. Adressat war Erzrivale PepsiCo. Dirk, ein Coca-Cola-Manager, wollte 1,5 Millionen Dollar für die brisante Fracht. Das FBI überführte ihn.

Es ist die jüngste Episode im Cola-Krieg, der erbittertsten Rivalität der Wirtschaftsgeschichte. Sie begann 1898, als ein Apotheker das Magenmittel Pepsi braute, alsbald ein Konkurrent von Coca-Cola, jenem zuckerigen Saft, der als Trank gegen Kopfschmerzen gedacht war. Coke blieb vorne. Trotz teurer Werbekampagnen mit Stars wie Michael Jackson oder Britney Spears hält heute Pepsi in den USA 32 Prozent Marktanteil bei gesüssten Sprudelwässern, Coke aber 43 Prozent. PepsiCo-Chef Steven Reinemund, 58, betrübt dies nicht. «Wir sind dort stark, wo es Wachstum gibt», sagt der Ex-Marinesoldat. Bei Sportgetränken, Mineralwässern und salzigen Snacks also, nicht aber bei den süssen Sodas. Am 12. Dezember 2005 übertraf Pepsi mit 98,4 Milliarden Dollar erstmals knapp die Börsenkapitalisierung von Coke. Vor sechs Jahren war Pepsi noch 51 Milliarden, Coke 145 Milliarden wert.

Die 108-jährige Aufholjagd sei die Triebkraft des Erfolgs, ist Reinemund überzeugt. «Sich mit einem starken Gegner herumzuschlagen, hat uns gestärkt. Als Herausforderer müssen wir mehr Risiken eingehen.» Etwa durch die Übernahme des Food-Imperiums Quaker Oates für 13,5 Milliarden Dollar. Kaum im Amt, begann für Reinemund 2001 der Verdauungsprozess der Akquisition, deren Kronjuwel das Sportgetränk Gatorade ist. Heute ist Pepsi in Amerika der grösste Anbieter von Nicht-Sprudelwasser. Quaker wurde zudem zur Plattform für das rasch wachsende Gesundheitssegment. Die Hälfte aller neuen Pepsi-Produkte soll nahrhaft sein.

Sein Gegenpart versprüht keine solchen Visionen. Vor zwei Jahren holte der Verwaltungsrat den Iren Neville Isdell aus dem Ruhestand. Der Konzern, in den Achtziger- und Neunzigerjahren noch mit beeindruckenden Gewinnen, schien alle Trends zu verpassen. Coke hatte etwa darauf verzichtet, Quaker Oates zu kaufen. Erst vier Jahre nach Pepsi bot Coke abgefülltes Wasser an. Notnagel Isdell, 62, beruhigte bei seinem Antritt: «Unser System ist nicht defekt, es gibt noch viele Möglichkeiten für Coca-Cola.»

Nach zwei Jahren des Übergangs scheint nun langsam zu greifen, was Isdell beabsichtigt: Er hat die Energy-Drinks Tab und Full Throttle lanciert, gibt mehr für Werbung aus und stärkt die schlechte Moral des Personals.

Auch in Sachen Lohn hat Pepsi mittlerweile die Nase vor. Letztes Jahr verdiente der eher legere Isdell 6,49 Millionen Dollar, halb so viel wie der stets perfekt rasierte und piekfein gekleidete Reinemund.

Die Karrieren: Von der Pike auf aufwärts
Der Marinesoldat vs. «Indiana Jones»

Der 1944 geborene Ire Neville Isdell trägt den Kosenamen «Indiana Jones von Coca-Cola». 1966 trat er in Sambia der Firma bei, später brachte er die Ableger auf den Philippinen, in Indien und im Nahen Osten auf Touren. Er ist stolz, den ehemaligen Ostblock nach dem Mauerfall von der Pepsi- zur Coke-Region gemacht zu haben. 2001 setzte er sich zur Ruhe. 2004 holte ihn der Verwaltungsrat zurück – als vierter Konzernchef in nur sieben Jahren. Isdell ist Vater einer Tochter. Steven Reinemund kam 1948 in New York City zur Welt. Er liess sich zum Marinesoldaten ausbilden und bewachte unter Nixon und Ford das Weisse Haus. Er war immer für PepsiCo tätig. 1984 trat er der Pizza-Hut-Division bei, später lenkte er den Pommes-Chips-Fabrikanten Frito-Lay. 2001 wurde er zum erst vierten Firmenchef von PepsiCo gewählt. Reinemund ist Vater von vier Kindern.

Die Marken: Ikonen
Coke bleibt Nummer 1

Das US-Magazin «Business Week» bewertet jedes Jahr die wertvollsten 100 globalen Marken. Coca-Cola steht seit Jahren an erster Stelle. Ihr Wert 2005: 67,525 Milliarden Dollar, gleich hoch wie zuvor. Pepsi belegt Rang 23: mit einem Markenwert von 12,4 Milliarden Dollar (+3 % gegenüber 2004).

Die Produkte: Klassik vs. Markenvielfalt
Der rote Bulle stürmte an Atlanta vorbei

Isdell setzt auf das bewährte Modell, Coke mit einer Gewinnmarge von 30 Prozent an Abfüller zu verkaufen. Mit Coca-Cola Classic führt Isdell das weltweit bekannteste Produkt im Sortiment. Hinzu kommen Diet Coke, Sprite und Fanta. Er verzichtete einst darauf, Red Bull zu kaufen. Jüngst führte er Coca-Cola Blak ein, ein kohlesäurehaltiges Coke-Kaffee-Getränk. Reinemund will «dort stark sein, wo es Wachstum hat». Pepsi-Cola steht nicht im Zentrum. Mit Gatorade führt er das erfolgreichste Sportgetränk, mit Aquafina die Top-Wassermarke. Hinzu kommen Snacks wie Pommes Chips oder Brezel. Für Starbucks produziert Pepsi in Dosen abgefüllte Kaffeegetränke.

Firmenkultur: führen Menschenfreunde besser?
Traditionalist und Bewahrer gegen Erneuerer

Coca-Cola-Chef Neville Isdell ist ein Traditionalist und stärkt das Bestehende. «Wir wollen keine radikalen Veränderungen», sagt er nach seinem Antritt. «Wir machen einfach das besser, was wir machen.» Also weiterhin braune Brause. Die Börse lieferte die Quittung: Die Coke-Aktie stürzte unter Isdell ab. Drei Tage nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 rief Reinemund seine Mitarbeiter zu einem einstündigen Gebet zusammen. Der devote Presbyterianer und Marathonläufer gilt als Menschenfreund. Aus Kalkül. «Damit unsere Produkte gedeihen können, müssen unsere Angestellten gedeihen», lautet sein Motto. Er will, dass das Personal häufig die Position wechselt und für andere PepsiCo-Marken arbeitet – um von der Sprudelwasser-Mentalität wegzukommen. Er setzt auf eine mannigfaltige Belegschaft und fördert die Gleichberechtigung. Die Hälfte aller neuen Mitarbeiter soll weiblich sein oder einer Minderheit angehören.

Strategie: Getränkegigant vs. Food-Riese
Gesüsste Sprudelwässer sind auf dem Rückzug

Isdell leitet einen Getränkeriesen, Reinemund hingegen lenkt den viertgrössten Nahrungsmittelkonzern der Welt. Pepsi erzielt mehr als die Hälfte des Umsatzes mit Snacks wie Frito-Lay-Pommes-Chips oder Haferflocken von Quaker Oates. Pepsi hat 16 Marken, die alle mehr als eine Milliarde Dollar generieren. Bloss zwei Drittel des Getränkeumsatzes erzielt Pepsi mit gesüsstem Sprudelwasser. Bei Coke hingegen macht das stagnierende Segment über 80 Prozent aus. Pepsi erkannte die Cola-Schwäche lange vor Coke und setzte auf Mineralwässer und Fruchtsäfte. Pepsi hält heute 28 Prozent des Saftmarktes, während Coke nur 17 Prozent kontrolliert. Sechs Pepsi-Produkte gehören zu den 15 umsatzstärksten Nahrungsmitteln. Dank der reichen Palette kann Reinemund Druck auf die Supermarktketten wie Wal-Mart ausüben. Isdell ist ausserhalb der USA weit stärker, wo er 70 Prozent des Umsatzes erzielt. Pepsi erwirtschaftet weniger als ein Drittel im Ausland. Reinemund will nun vermehrt über die Grenze hinausschauen.

Die Gefahren: als Prügelknaben sehr beliebt
Nicht nur im Sperrfeuer der Konsumentenschützer

Beide Marken ziehen immer wieder den Hass arabischer Fundamentalisten auf sich, die gegen US-Imperialisten wettern. 1968 zog sich Coca-Cola aus der arabischen Welt zurück. Die Arabische Liga boykottierte die Firma, weil sie in Israel tätig war. Der Boykott endete 1991. Letztes Jahr begann das Wettrennen um 26 Millionen Iraker. Coke startet ein Vertriebs-Joint-Venture mit einer türkischen und einer irakischen Firma und lässt in Dubai abfüllen. Pepsi lizenzierte bis zum Boykott von 1990 seine braune Brause an Baghdad Soft Drinks, eine Firma, die einst zu 10 Prozent Saddam Husseins Sohn Uday gehörte. Nun baut Pepsi eigene Abfüllanlagen in Bagdad und im Südirak auf.
Coke und Pepsi stehen zunehmend am Pranger wegen der grassierenden Fettleibigkeit in Industrienationen. Isdell sieht sich mit dem Rücken zur Wand. «Wir sind die Zielscheibe der Öffentlichkeit geworden.» Er sei nicht schuld. «Ich habe das Problem geerbt.» Steven Reinemund sieht die Anklage als Chance. «Es ist eine grossartige Möglichkeit, neue Marken einzuführen und Märkte zu erobern», sagt er. Just führte er ein eigenes Label-System ein und kennzeichnet angeblich gesündere Pepsi-Produkte mit einem grünen Smart-Spot-Zeichen.