Investoren kaufen fette Aktien

Amerikaner geben immer mehr aus, um dünn zu sein – und werden trotzdem dicker. Eine ideale Voraussetzung, um in den Kampf gegen die Überfütterung zu investieren.

Von Peter Hossli

Eine Augenweide ist das nicht, der sommerliche Trip an amerikanische Strände. Nicht schmutzige Gewässer, fröhliche Dicke lassen einem erschaudern. Die Cola in der einen, Fritten in der anderen Hand, wackeln kolossale Fleischberge gemächlich entlang der Küste. Wenn sie denn wackeln. Viele sitzen. Fett quillt über zu enge Stühle, baumdicke Beine verrammen sich im Sand.

Der subjektive Eindruck trügt nicht. Amerika, belegen Studien, ist voller Vielfrasse und Dickwänste. Ein Drittel ist in gefährlichem Masse fettleibig, also dreissig Prozent schwerer als empfohlen. Gar 65 Prozent sind übergewichtig.

Mit fatalen Folgen. Jährlich stirbt eine halbe Million an unstillbarem Hunger. Kolossal die Kosten, die die Kolosse verursachen. Jährlich 100 Milliarden Dollar oder rund zehn Prozent des Gesundheitswesens gehen zu Lasten der zügellosen Gier. Bedroht sind Renten wie Wachstum. So berichtet das «New England Journal of Medicine», die amerikanische Lebenserwartung stagniere oder sinke gar – wegen der Völlerei. Als «heimischen Terrorismus» umschreibt Amerikas oberster Doktor, Surgeon General Richard Carmona, die Fettleibigkeit. Deren Folgen seien «schlimmer als 9/11».

Profitieren vom Krieg gegen den Terror die Waffenschieber, sind es im Krieg gegen das Fett die Anbieter von Hungerkuren, Fitnessstudios oder die Spitäler, die Mägen verkleinern. Es ist ein Wachstumsmarkt ohne Ende. Trotz Fitnesswahn und spindeldürren Starlets steigt die Zahl der gefährlich Dicken nämlich rasant. 1999 galten noch 20 Prozent als fettleibig, 2004 waren es 25, jetzt sind es 30 Prozent – obwohl die Dicken jährlich 60 Milliarden Dollar fürs Schlanksein ausgeben.

Ein Ende des Trends ist nicht zu befürchten. Unaufhörlich mästen Eltern künftige Kunden von Diätprodukten heran. 15 Prozent der 6 – 11-Jährigen und 15,5 Prozent der US-Teeanger sind zu dick. Gemäss Massstab der Weltgesundheitsorganisation bringt sogar ein Drittel der Kleinkinder zwischen 2 und 5 Jahren zu viel auf die Waage.

Prompt reagiert die Wirtschaft. Produkte für Korpulente boomen. Zu haben sind beispielsweise Särge in Übergrösse. Stuhlfabrikanten erklären «extra-large» zur Norm. Warenhäuser ersetzen Kleider für Schlanke mit solchen für Füllige. Allerdings liegen die Fabrikanten für die Drallen meist in privaten Händen.

Profitieren lässt sich trotzdem. Davon lässt sich profitieren. Das weiss auch der Schweizer Nahrungsmittelmulti Nestlé. Diese Woche gab er den Kauf von Jenny Craig bekannt. Die US-Gruppe betreibt mehr als 600 Gesundheitszentren, in denen sich Konsumenten persönlich beim Gewichtsmanagement und bei der Lebensweise beraten lassen können. Mächtig zugelegt haben die Aktien von Anbietern von Diätprogrammen, etwa das als Gruppentherapie aufgezogene Programm Weight Watchers. Investoren setzen allerdings vermehrt auf das ausgeklügelte Vertriebssystem von NutriSystem.

Stets Anfang Monat schickt die in Pennsylvania ansässige Firma ihren Kunden Lebensmittel für 28 Tage. Hinzu kommen hilfreiche Beratung via Internet und Telefon. Angepriesen werden die Schlankmacher mittels Einkaufsfernsehen. Solche Anonymität bewahrt die Dicken vor dem erniedrigenden Gang in den Supermarkt. Überdies schätzen insbesondere mollige Männer NutriSystem, da sie Gruppensitzungen mit anderen verschmähen.

Das Konzept geht auf. Um fast 300 Prozent stieg im ersten Quartal 2006 der Umsatz, der Gewinn hat sich versiebenfacht. Die Aktie stieg innert Jahresfrist von 13 auf heute 66 Dollar.

Amerikaner essen nicht nur zu fett und zu süss, sie bewegen sich zu wenig. Mit Vehemenz tritt dagegen der Gouverneur von Arkansas, Mike Huckabee, an. Der einst fettleibige Republikaner hat 50 Kilogramm abgespeckt – und ist zum verbissenen Verfechter des schlanken Amerikas geworden. Um die Gesundheitskosten zu senken, will er Dicken seines Staates den Fitnesstrainer oder die Gym-Mitgliedschaft subventionieren. Andere Staaten folgen dem Beispiel.

Davon besonders profitieren dürfte Bally Total Fitness, eine börsenkotierte Betreiberin von 390 Fitnessstudios, die auf Wachstum setzt. Beinahe verdreifacht hat sich der Kurs der Wertpapiere im vergangenen Jahr. Microsoft-Gründer Bill Gates hat über seine auf globale Gesundheit fokussierte Stiftung im März 135’000 Bally-Aktien erworben.

Eine sichere Anlage. Zumal Diäten und Fitness meist wenig bringen. 80 – 95 Prozent der Schmerbäuche, die zehn oder noch mehr Prozent abnehmen, legen sie innert fünf Jahren wieder zu – oder sie sind gar noch schwerer.

Viele beginnen wieder von vorne. Weil, so eine unlängst publizierte Umfrage der Yale University, Amerikaner wenig so sehr stört wie die eigene Wampe. Um dünn zu sein, würde die Hälfte der Befragten ein Jahr weniger Leben. Ein Viertel gab an, lieber unfruchtbar als dick zu sein.

Box: Ran an den Magen
Diäten nützen bei extremer Fettleibigkeit selten etwas. Oft bleibt nur der Gang zum Chirurg. Mittels Skalpell und Darmhefter vermindert dieser die Magengrösse. Danach erfolgt die Sättigung rascher, das Gewicht sinkt. Die Prozedur kostet rund 30’000 Dollar – und findet enormen Zulauf. 1993 liessen sich noch 16’000 Amerikaner den Magen schrumpfen, 2004 waren es bereits 145’000. Es ist erst der Anfang. Schätzungen gehen von 11 bis 15 Millionen Amerikaner aus, die so fett sind, dass nur eine Operation sie vor dem Tod bewahrt. Profitieren dürfte davon der Gesundheitsriese Johnson & Johnson (JNJ), deren Tochter Ethicon Endo-Surgery einen Grossteil der Medizinaltechnologie für die Operationen herstellt. Die in Kalifornien ansässige Firma iVow (IVOW) hat sich komplett auf die Ausbildung von Spitälern und Ärzten spezialisiert, die Adipositas-Operationen durchführen.