«Das weiss ich nicht, ich frage Sie»

Leni Riefenstahl über das Altwerden, den Tod, die Schweiz und Woody Allen.

Von Peter Hossli

Das nachstehende Interview wurde per E-mail geführt. Leni Riefenstahl beantwortete Fragen, allerdings waren Rückfragen nicht möglich. Publiziert wurde das Gespräch nicht als Q&A, sondern in Form eines Porträts.

Leni Riefenstahl, wie geht es Ihnen?
Leni Riefenstahl: Nicht sehr gut.

Wie wird man 100 Jahre alt?
Riefenstahl: Ich habe immer sehr gesund gelebt, nicht geraucht und wenig getrunken und viel und gerne gearbeitet.

Wie gestalten heute Sie Ihre Tage?
Riefenstahl: Zum größten Teil mit Arbeit.

Was bedeutet Ihnen das hohe Alter?
Riefenstahl: Ich empfinde es als eine Belastung.

Was wünschen Sie sich auf den Geburtstag?
Riefenstahl: Ein Linderung meiner körperlichen Beschwerden.

Was haben Sie für Ziele im Leben?
Riefenstahl: Möglichst noch aktiv arbeiten zu können.

Haben Sie Angst vor dem Tod?
Riefenstahl: Nein.

Zu ihrem Geburtstag kommt der erste neue Film seit 48 Jahren in die Kinos. Sie dokumentieren in «Impressionen unter Wasser» die Unterwasserwelt. Was fasziniert sie daran?
Riefenstahl: Die Wunder der Unterwasserwelt.

Inwiefern knüpft der neue Film an Ihr bestehendes Werk an?
Riefenstahl: Weil die Gestaltung vor allem auf dem Optischen liegt.

Was treibt Sie an? Warum haben Sie sich nicht längst zur Ruhe gesetzt?
Riefenstahl: Ein Leben in Ruhe wäre doch langweilig, sogar unerträglich.

Welchen Film würden Sie gerne noch drehen?
Riefenstahl: “Mein Leben mit den Nuba” und “Penthesilea”.

Auf was sind Sie filmisch am meisten stolz?
Riefenstahl: Auf die Filme über die Olympischen Spiele 1936 in Berlin.

Welche Rolle messen Sie dem Kino heute noch zu?
Riefenstahl: Ein wichtige Rolle, vor allem Entspannung von den täglichen Sorgen.

Was raten Sie jungen Filmemachern, die Regisseure werden wollen?
Riefenstahl: Als erstes die Filmtechnik zu erlernen.

Welche Filme schauen Sie sich an? Warum?
Riefenstahl: Natur- und wissenschaftliche Filme – weil es das Wissen erweitert.

Sie sind eine der einflussreichsten Personen der Filmgeschichte. Die Arbeit welcher Regisseure gefällt ihnen, warum?
Riefenstahl: Billy Wilder, Walt Disney, Fellini, Fred Zimmermann, De Sica, Rossellini, Sternberg, Huston, Lean – weil die Geschehnisse, d.h. die Handlung ins Filmische gestaltet wird.

Was halten Sie von:
Francis Ford Coppola?
Riefenstahl:Ein genial begabter Regisseur
George Lucas?
Riefenstahl: Ein überdurchschnittlich gute Regisseur
Steven Spielberg?
Riefenstahl: Ein Regisseur der Spitzenklasse
Martin Scorsese?
Riefenstahl: Ein begabter Regisseur
Woody Allen?
Riefenstahl: Sehr begabt
Luc Besson
Riefenstahl: Sehr begabt

Gibt es andere Regisseure, die Sie besonders verehren? Oder die Sie für überschätzt halten?
Riefenstahl: Besonders verehre ich Sternberg, de Sica und Lean.

Wie beurteilen Sie das aktuelle deutsche Kino?
Riefenstahl: Bringt fast nur mäßige Filme.

Sie haben viele erfolgreiche Filmemacher ästhetisch beeinflusst. Die Neue Zürcher Zeitung bezeichnet Sie als «Regie-Genie». Wie fühlt man sich da?
Riefenstahl: Ein Anerkennung und ein Lob ist immer wohltuend, aber wenn es zu überschwänglich ist, dann fühle ich mich bedrückt.

Riefenstahl ist nicht mehr nur ein Name, es ist ein Synonym für einen filmischen Stil. Wie würden Sie ihn selbst beschreiben?
Riefenstahl: Eine ehrgeizige Filmemacherin

Es gibt wenige Filmerinnen von Weltruf. Warum?
Riefenstahl: Weiß ich nicht.

Was braucht es, um im Männerberuf Regie Erfolg zu haben?
Riefenstahl: Durchsetzungskraft.

Was wäre mit einem Mann nach dem Krieg passiert, wenn er als Regisseur «Triumph des Willens» und «Olympia» gedreht hätte?
Riefenstahl: Er würde bestimmt nicht so angegriffen worden sein wie ich es wurde.

Sie haben ein Jahrhundert mit vielen Gräuel miterlebt. Was haben Sie gedacht, als Sie das brennende World Trade Center am Fernsehen gesehen haben?
Riefenstahl: Ich war zutiefst erschrocken und entsetzt.

Sie sind in 100 Jahren vielen verschiedenen Menschen begegnet, auch einflussreichen, faszinierenden. Was zieht Sie bei einer Person ab? Was stößt sie ab?
Riefenstahl: Wenn eine Person bescheiden ist – wenn man von sich selbst zu überzeugt ist.

Haben Sie in Ihrem Leben echte Liebe erlebt? Wenn ja, beschreiben Sie sie?
Riefenstahl: Über mein privates Leben möchte ich mich nicht äußern.

Was halten Sie von den amerikanischen Blockbuster-Filmen?
Riefenstahl: Diese Filme sind mir unbekannt.

In den USA werden Sie verehrt, oft schreibt die New York Times über Sie. Warum kommen Sie in Amerika so gut an?
Riefenstahl: Weil dort wenig Vorurteile vorhanden sind.

Die Produktionsfirma von Jodie Foster will einen Biografie-Film über Sie drehen. Inwiefern sind Sie beteiligt? Wie weit ist die Produktion? Was wird der Film erzählen? Was halten sie von Jodie Foster, die Sie verkörpern soll?
Riefenstahl: Ich bewundere Jodie Foster als großartige Schauspielerin. Über das Filmprojekt selbst möchte ich nicht sprechen, weil es sich erst in der Vorbereitung befindet.

Was braucht es, damit Hollywood – sonst eher an einfachen Erzählstrukturen interessiert – Ihrem komplexen und vielschichtigen Leben gerecht werden?
Riefenstahl: Sich an die Wahrheit halten, die in meinen Memoiren aufgezeichnet sind.

Welche zeitgenössischen Schauspieler/Schauspielerinnen sollen welche Personen in Ihrem auf der Leinwand verkörpern?
Riefenstahl: Habe mich damit noch nicht befasst.

Kritiker sagen über Ihre Ästhetik, sie sei faschistisch. Gleichzeitig wird sie bei Sportübertragungen, in der Werbung und in manchen Spielfilmen nach wie vor imitiert. Wie reagieren Sie, wenn Sie die von Ihnen geprägte Bildgestaltung überall sehen? Mit Genugtuung?
Riefenstahl: Ich bedauere, dass man die Art meiner Filmgestaltung faschistisch nennt.

Auf was sind Sie stolz im Leben?
Riefenstahl: Ich habe mich immer bemüht, das Beste zu erreichen ohne dabei ein Gefühl von Stolz zu haben.

Was bereuen Sie?
Riefenstahl: Dass ich in meinem Leben Hitler begegnet bin.

Was macht Sie glücklich?
Riefenstahl: Wenn ich mit einer meiner Arbeiten zufrieden bin.

Warum haben Sie keine Kinder?
Riefenstahl: Weil mir der Mann, von dem ich gern Kinder gehabt hätte, nicht begegnet ist.

Mit Ihrem enormen Talent hätten sie Amerika erobern können. Warum sind sie nicht schon in den frühen dreißiger Jahren in die USA gegangenen?
Riefenstahl: Ich war sehr Heimat bezogen.

Was bedeutet Ihnen Geld?
Riefenstahl: Geld spielt bei mir nicht die wichtigste Rolle.

Was passiert mit Ihrem Vermächtnis? Wer erhält die Rechte an den Filmen?
Riefenstahl: Die Angelegenheit ist noch nicht geklärt.

Wen wählen Sie im Herbst fürs Kanzleramt?
Riefenstahl: Das darf man doch nicht verraten.

Welche zeitgenössischen Politiker/Politikerinnen imponieren Ihnen? Warum?
Riefenstahl: Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber, weil er sehr kämpferisch und aktiv ist.

Früher waren Sie oft in den Schweizer Bergen. Was haben Sie für ein Verhältnis zur Schweiz?
Riefenstahl: Die Schweiz erscheint mir wie ein kleines Paradies.

Wie werden jene Leute auf Ihren bevorstehenden Geburtstag reagieren, die sie jahrzehntelang harsch kritisierten. Mit einem Versöhnungsangebot?
Riefenstahl: Ich glaube kaum, dass mein 100. Geburtstag ihre Meinung ändert.

Haben Sie genügend unternommen, um sich mit Ihren Kritikern zu versöhnen?
Riefenstahl: Bei seriösen Zeitungen habe ich versucht, Irrtümer aufzuklären und wo ich mich zu einer Verhandlungsklage gezwungen sah, habe ich jeden dieser Prozesse gewonnen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, hat vor allem Deutschland Mühe gehabt, Sie als große Künstlerin zu akzeptieren. Warum?
Riefenstahl: Das weiß ich nicht, ich frage Sie !

Gibt es einen Bereich im Zusammenhang mit den Nazijahren und den Folgen für Sie, über den Sie noch nie befragt worden sind, über den Sie aber noch etwas sagen möchten?
Riefenstahl: Ich bin so oft von den Alliierten und den Deutschen gefragt worden, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass noch irgend etwas nicht angesprochen wurde.