Big ist eben überhaupt nicht beautiful

Die grossen Unternehmen müssen wieder schlank und rank werden. Der Worldcom-Kollaps beendet eine Phase virtuellen Wachstums. Mit irrwitzigen Fusionen und kolossalen Übernahmen statt echter Innovation versuchten US-Firmen in den Neunzigerjahren ihre Umsätze aufzublähen. Es entstanden so unbewegliche wie unübersichtliche Konglomerate, die jetzt gigantische Schuldenberge hinterlassen. Besonders im Hightech- und im Medienbereich ist bald mit Firmenteilungen zu rechnen.

Von Peter Hossli

Geleistet hat Worldcom-Gründer Bernard Ebbers wahrlich Grandioses. Mehr als 70-mal posierte er im Blitzlichtgewitter der Fotografen und vermeldete die Übernahme einer weiteren Firma. Praktisch aus dem Nichts wuchs Worldcom zum globalen Kommunikationsriesen, tätig in 65 Ländern.

Ein Tausendsassa, der alles machte: Er betreute Gross- wie Kleinkunden, bot drahtlose wie herkömmliche Datenübertragung an und führte lokale wie globale Netze. 50 Prozent des weltweiten Internetverkehrs laufen inzwischen über Worldcom-Drähte. Sogar das Pentagon surft darauf.

Diesen April verlor CEO Ebbers seinen Job. Letzten Montag reichte Worldcom in New York den bisher grössten Bankrott in der US-Geschichte ein – 107 Milliarden Dollar Schulden, weit mehr als bei Enron.

Zu Beginn der Neunzigerjahre wies das Unternehmen jährlich Wachstumsraten von 20 Prozent aus – dank Übernahmen kleiner lokaler Telecomfirmen. Den Investoren gefiels. Auf Grund des erkauften, nicht aber erwirtschafteten Umsatzplus trieben sie die Aktien in die Höhe.

Je aufgeblasener der Kurs, desto mehr konnte Ebbers kaufen. Um das steile Wachstum halten zu können, musste er allerdings stets grössere Firmen schlucken. Für 37 Milliarden Dollar kaufte er 1998 den zweitgrössten US-Anbieter für Ferngespräche, MCI. Dann bremste ihn das Kartellamt: Es untersagte 1999 die auf 115 Milliarden Dollar bezifferte Übernahme des Telefonkonzerns Sprint. Bei Worldcom begannen sich nun die Probleme zu zeigen. Das aufgedonnerte Wachstum flachte ab, Investoren wanderten ab, die Aktien sanken schneller, als sie zuvor gestiegen waren. Der letzte Rettungsversuch – mittels Buchhaltungstricks Profite vorzutäuschen – flog auf und rief den Staatsanwalt auf den Plan.

Das Beispiel Worldcom erstaunt wegen seiner Dimension. Allerdings ist der Konzern nur eines von vielen Hightech- und Medienunternehmen, deren ambitiöse Wachstumsstrategien der letzten Jahre fehlgeschlagen haben.

Mit Pauken und Trompeten kündete etwa AT & T-CEO Michael Armstrong Ende der Neunzigerjahre einen Plan an, der damals durchaus sinnvoll klang und signalisieren sollte, man habe den Internet-Express nicht verpasst. Über ein einziges Glasfaserkabel wollte er den Kunden interaktives Fernsehen, das Breitbandnetz und das Telefon digital ins Haus liefern. AT & T tätigte enorme Investitionen, fusionierte innert Jahresfrist zum grössten US-Kabelanbieter und gab über 90 Milliarden Dollar aus – um zu realisieren, dass die Kunden die Leitungen nicht nutzen wollten.

Diese Woche meldete AT & T einen Quartalsverlust von 12,74 Milliarden Dollar. AT & T will noch schneller vorantreiben, was sie im Oktober 2000 eingeleitet hat: Sie teilt sich auf, wird rank und schlank – und versucht das Superkabel rasch abzustossen. Armstrong tritt in den Ruhestand.

Als Visionäre einer «goldenen digitalen Zukunft» liessen sich auch die Manager von America Online (AOL) feiern, als sie mit dem alteingesessenen Medienkonzern Time Warner fusionierten. Was tatsächlich eine Übernahme mit aufgeblähten AOL-Aktien war, vernichtete bis Anfang dieser Woche 100 Milliarden Dollar an Aktienwert – obwohl die Unterhaltungsprodukte von Time Warner ansehnlich Geld einbrachten. Die Fusion hatte einen Koloss hervorgebracht, der im April einen Verlust von 54 Milliarden Dollar vermeldete. Vergangene Woche ersetzte der Verwaltungsrat etliche ehemalige AOL-Leute durch Time-Warner-Manager. Zahlreiche Analysten sagen dem weltweit grössten Medienkonzern eine Zerschlagung in kleinere Firmen voraus.

Ein Schicksal, das auch Disney blühen könnte. Das Unternehmen hat nach wie vor an der Übernahme des Fernsehsenders ABC zu beissen. Vivendi Universal entliess unlängst den französischen CEO Jean-Marie Messier, weil dessen aggressive – 100 Milliarden Dollar teuere – Ankaufs- und Mergerstrategie keine zählbaren Resultate erzielt hatte.

Die Wirtschaft muss nun einsehen: Grösse allein ist eben kein Erfolgsgarant. Zwar spart die Massenproduktion Kosten. Oft bringt Grösse aber Nachteile. Die CEO verlieren die Übersicht. Hierarchiestufen verwässern die Führung. Wenig motiviertes Personal entgleitet der Kontrolle. Dass big oft bad ist, belegt auch der Ökonom Robert Axtell vom Brookings Institute. Mit Hilfe von Computermodellen imitierte er das Verhalten von US-Firmen. Ergebnis: Je grösser ein Unternehmen, desto weniger bemühe sich das Personal. Und flexible, motivierte Mitarbeiter würden oft frustriert zu kleinen Firmen wechseln.


Die Firma fürs Grobe

Gewinner gibts selbst, wenn weltweit die Börsen krachen. Freude bereitet die derzeitige Bankrottwelle insbesondere der New Yorker Anwaltskanzlei Weil, Gotshal & Manges. Sie gilt als beste US-Firma für Konkursrecht. Ihre Kundenliste liest sich als das «Who is who» diesjähriger Kapitalvernichter. Am Montag wurde sie von Worldcom angeheuert, um die grösste Pleite in der US-Geschichte abzuwickeln. Auch den zweitgrössten Bankrott aller Zeiten, jener des Gemischtwarenhändlers Enron, betreut Weil, Gotshal & Manges, genauso wie die jüngsten Milliardenkonkurse der Kommunikationsriesen Adelphia und Global Crossing.

WGM ist ein Pionier bei der Abwicklung von Pleiten und hat das profitable Geschäft früh erkannt. Sie hat seit den Siebzigerjahren so renommierte Fälle wie Texaco oder Sunbeam betreut. Mittlerweile sind Bankrotte zu Goldgruben geworden. WGM erzielt Rekordgewinne. Kein Wunder, 241 der 1000 WGM-Anwälte arbeiten allein am Enron-Kollaps.