Ein Siegertyp gegen Novartist

Mit David Boies vertritt einer der erfolgreichsten Anwälte der USA Sammelkläger im Fall zurückgehaltener Generika. Ein amerikanischer Staranwalt geht gegen Novartis und ihre Tochter Geneva vor: David Boies, der schon Microsoft das Fürchten gelehrt hat. Gegen den Pharmakonzern ist eine Sammelklage hängig, weil sich Geneva dafür zahlen liess, ein kostengünstiges Nachahmermedikament nicht zu lancieren.

Von Peter Hossli

Von einem raschen und schmerzfreien Ende will Sharon Snyder nichts wissen. Es dürfte Jahre dauern, bis die Klage gänzlich beigelegt sei, prophezeit die Anwältin von Cohen, Milstein, Hausfeld & Toll, einer angesehenen Anwaltskanzlei, die sich in Washington D. C. und New York auf Sammelklagen spezialisiert hat. «Für die Beklagten wirds bestimmt teuer werden.»

Snyder gehört zum Juristenheer, das gegen drei multinational operierende Pharmakonzerne klagt: Abbott Laboratories, Zenith Goldline – und Geneva Pharmaceuticals, eine Tochterfirma des schweizerischen Pharmakonzerns Novartis (CASH vom 10. August). Novartis ist in der umfassenden Sammelklage ausdrücklich als Angeklagte aufgeführt.

Mit zuweilen illegalen Methoden hätten die besagten Pharmakonzerne ein so genanntes Generikum des Bluthochdruck- und Prostatamedikamentes Hytrin vom amerikanischen Markt fern gehalten und so den Wettbewerb unterbunden.

Mitte der Neunzigererjahre war das Hytrin-Patent ausgelaufen. Und ab Frühling 1998 wären mehrere Firmen in der Lage gewesen, Hytrin-Nachahmerprodukte anzubieten. Um diese kostengünstigeren Kopien zu verhindern, bot Hytrin-Herstellerin Abbott den Generika-Fabrikanten Bares an – zum Beispiel 4,5 Millionen Dollar pro Monat an die Novartis-Tochter Geneva.

Aus gutem Grund: Ohne Konkurrenz durch Generika erzielte Abbott täglich eine Million Dollar mehr Umsatz. Das Nachsehen hatten Patienten, Krankenkassen, Apotheken und Zwischenhändler. Sie alle waren gezwungen, weiterhin die hohen Originalpreise zu zahlen. 1999 schritt die staatliche Handelsbehörde, die Federal Trade Commission (FTC), ein und begann den Fall zu untersuchen. Im Mai 2000 schliesslich untersagte die Behörde den ungesetzlichen Deal.

Klagen waren jedoch damit nicht abgewendet. Über 40 Gruppen, vertreten durch rund 70 Anwälte, reichten am 10. Januar 2000 unter der Fallnummer 99-MD-1317 beim Bundesgericht in Miami eine Sammelklage ein. Die Kläger – sie stammen aus den gesamten USA – lassen sich in drei Kategorien einteilen: etliche landesweit tätige Apothekenketten wie Walgreens oder CVS, mehrere dutzend Zwischenhändler und schliesslich hunderte von Patienten und Krankenkassen.

Anwältin Snyder bezeichnet die Klage als «ausgesprochen kompliziert und langwierig». Nach wie vor würden Fakten gesichtet. So fügten Kläger und Beklagte der Klageschrift bis zu Beginn dieser Woche fast 450 Eintragungen bei – etliche Motionen, Antworten, Weisungen, Anträge und Gegenanträge.

Das Geneva-Generikum wurde über ein Jahr zurückgehalten

Was fehlt, ist eine explizite Summe des Schadens, der Patienten, Krankenkassen und dem Handel entstanden ist; das Gesetz verlangt dies auch nicht. Laut Snyder dürfte es sich aber um «mehrere hundert Millionen Dollar» handeln. Genauer festlegen mag sie sich nicht. In der Regel, so die Anwältin, werde der Schaden hochgerechnet und dann ein Strafzuschlag dazugerechnet.

Die Rechnung sieht folgendermassen aus: 1998 betrug Abbotts Hytrin-Umsatz 540 Millionen Dollar. Am 30. März 1998 erteilte die Nahrungsmittel- und Medikamentenbehörde FDA dem Hytrin-Generikum von Geneva die Zulassung. Die Novartis-Tochter war vorbereitet. Sie hatte Marketing- und Verkaufspersonal angeheuert sowie den Herstellungsprozess eingeleitet. An diesem 30.März unterbreitete Geneva der Patentinhaberin Abbott jedoch einen viel versprechenden Vorschlag. Würde Abbott zahlen, verzichte Geneva auf die Lancierung des Konkurrenzproduktes.

Abbott war einverstanden und zahlte Geneva monatlich 4,5 Millionen Dollar. Am 13. August 1999 griff die Handelskommission ein. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Geneva-Generikum ein Jahr und viereinhalb Monate lang in Lagerhäusern gelegen. Geht man davon aus, dass die Kopie im Schnitt 50 Prozent billiger gewesen wäre und einen Marktanteil von 60 Prozent erobert hätte, entstand in dieser Zeit ein realer Schaden von über 222 Millionen Dollar.

Entscheidet nun das zuständige Gericht, die Beklagten hätten gegen das Kartellrecht verstossen, sieht das Gesetz Strafzuschläge für die beteiligten Firmen vor, die dreimal so hoch wie die Schadensumme ausfallen, also einen Betrag von rund 668 Millionen Dollar.

Anwalt Boies vertrat die US-Regierung gegen Microsoft

Zwar liegen inzwischen Vorschläge für einen Vergleich vor. Anwältin Snyder geht jedoch davon aus, dass es zu Prozessen kommen wird. Sie dürften frühestens im Frühling 2002 beginnen.

Novartis gibt sich gelassen. Laufende Untersuchungen kommentiere man nicht, sagt Pressesprecher Felix Räber. Er bestätigt aber, dass Sammelklagen hängig sind.

Die juristischen Gegner des Basler Multis sind beachtlich. So wird eine Klägergruppe von Staranwalt David Boies vertreten. In der US-Presse ist Boies als «gescheitester und aggressivster Prozessanwalt der USA» gelobt worden. Sein Leistungsausweis beeindruckt, lange galt er als unbezwingbar. Jüngst vertrat er die US-Regierung im Kartellfall gegen den Softwareriesen Microsoft. Und im November 2000 hatte ihn Vizepräsident Al Gore angeheuert: Boies sollte versuchen, in Florida die Wahlen auf gerichtlichem Weg zu gewinnen.