Arrogant, dämlich, frech …und erfolgreich

Die Sitcom «Seinfeld» hat keinen Inhalt - und wurde trotzdem zum Kult.

Von Peter Hossli

Während Weihnachten, die Nachrichtenlage naturgemäss dünn, füllte eine Kurzmeldung pausenlos amerikanische Fernsehminuten und Zeitungsspalten. Komiker Jerry Seinfeld heiratete. Die Trauung fand in einer schicken Dachwohnung in Greenwich Village statt. Zwischen Bräutigam, 45, und Braut, 28, liegen siebzehn Lebensjahre. Finanziellen Engpässen dürften die Neuvermählten nie anheim fallen. Seinfeld hat Milliarden auf der Bank, und in der Garage stehen zwanzig Porsches, dazu etliche Mercedes.

Banal, klar. Ein steinreicher Star ehelicht. Aufgewühlt hats die Nation allemal, obwohl Seinfeld seit anderthalb Jahre weder im Kino noch im Fernsehen auftrat.

Nie von Seinfeld gehört, dem reichsten Entertainer der Gegenwart, dem laut NZZ «egozentrischsten Charakter des amerikanischen Fernsehens»? Verdient mehr als Spielberg und Jagger zusammen. Neun Jahre lang erzielte die nach ihm benannte Sitcom in den USA Rekordeinschaltquoten. Mehr als eine Million Dollar pro Folge kassierte der Erfinder, Star und Koautor. Dessen drei Komparsen überwies das Produktionshaus NBC immerhin 600 000 Dollar pro halbstündige Ausgabe. Trotzdem: Hier ist Seinfeld weitgehend unbekannt.

Sind Unwissende schlicht Kulturbanausen? Bedingt. Gemäss Statistik mag jedoch das Fernsehpublikum in Mitteleuropa die freche New Yorker Spasstruppe schlicht nicht. Die für Programmmacher brutal ehrlichen Einschaltquoten zeigen: «Seinfeld» sagt der teutonischen Sprachregion trotz andauerndem Medienhype nirgends zu, dümpelt seit Jahren im deutschen Privatfernsehen an den Augenpaaren weniger Unentwegter vorbei.

Nichtsdestotrotz, ab 11. Januar strahlt SF 2 180 synchronisierte «Seinfeld»-Sequenzen aus, jeweils fünf die Woche. Die Hoffnung der SF-2-Programmmacher ist nicht ohne Grundlage: In den USA guckten regelmässig dreissig Millionen, bei der allerletzten Folge im Mai 1998 gar 108 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner hin. Selbst bei Wiederholungen surren die Fernseher von 15 Millionen.

Ob in der Schweiz mehr als ein Grüppchen Verwirrter bei «Seinfeld» fernsehen wird – wie es bisher auf den deutschsprachigen Fernsehkanälen der Fall war -, wird sich erst weisen. Der Flop könnte allerdings schon vorprogrammiert sein.

Das eklatante Desinteresse hat nämlich mancherlei Ursache. Vornehmlich mag in der Alpenrepublik niemand zusehen, wenn neurotische Singles die geometrische Form von Verpackungen, die Verschmutzung des East River oder die Beschaffenheit von Frühstückseiern im Lokal an der Ecke erörtern.

Die Figuren betrügen, belügen und hintergehen einander

Die «Show about nothing», so die treffende Eigenwerbung, handelt nämlich von nichts, das halbwegs gebildete Menschen auf Fernsehsessel halten würde. «Seinfeld» ist unsereins schlicht zu blöd. Ein Spiegelbild der spezifisch amerikanischen Popkultur. Von dieser «grenzenlosen Besessenheit mit Belanglosem» («Newsweek») zappen europäisch geschulte Fernseher weg. Da redet einer über das Schrumpfen von Penissen im kalten Wasser. So ein Quark, dürften die denken, die zuschalten. Fussball ist dagegen schon richtig raffiniert.

Es geht um wenig. Die Serie handelt von vier New Yorker Freunden, drei Typen, einer Frau, die hypochondrische Neurosen und seichte Abgründe in der Megapolis Manhattan vorführen. Da passt sogar die debile Debatte rein, ob eigens für Männer geschneiderte Büstenhalter genügend Käufer fänden. Feiner Blödsinn als zum Kult getrimmtes Prinzip. Sitcom-Traditionalisten verachten die Show. «Seinfeld» verrate das eingespielte Wesen des Genre, schreibt die «Süddeutsche». Niemand möge diese vier widerwärtigen Figuren. Sie betrügen, belügen und hintergehen einander. Einziger Liebesbeweis: Alle besitzen die Wohnungsschlüssel der anderen. Die Episoden handeln von Torheit, nicht wie üblich von Liebeleien, Familie oder Job.

Das grösste Erfolgshemmnis ist geografischer Natur: «Seinfeld» ist jüdisch, nihilistisch, städtisch, selbstverliebt, arrogant, dämlich, frech. Kurz: «Seinfeld» ist wie New York. Selbst in den USA dauerte es eine Weile, bis Suburbia ins von «Time» ernannte «Zentrum des Universums» blicken mochte. Manhattan wird als intellektueller Mittelpunkt und als ein Flecken gepriesen, wo die Menschen total entfremdet leben. Ein Woody-Allen-Mikrokosmos. Nur: Was der Stadtneurotiker im Kino mit europäischer Hintergründigkeit abhandelt, veralbert Seinfeld nonstop. Sein New York liegt fern der Tourismusklischees, ist Aussenstehenden meist unverständlich und stösst bei kultivierten Europäern auf Ablehnung.

«Wir erwarten keine Topquote», sagt die bei SF DRS für Programmeinkauf zuständige Sascha Badanjak, «das Publikum wird die Serie nach einiger Zeit bestimmt mögen.» Sie hofft, «Seinfeld» präge das Profil von SF 2: «Urban und jung.» Nur: Vor elf schauen Urbane und Junge in der Schweiz nicht fern. «Seinfeld» läuft um 22.40 Uhr.

Von Beginn weg appellierte «Seinfeld» hauptsächlich an die Generation der so genannten Babyboomer, also jene nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Amerikaner. Sie durchliefen eine gesellschaftliche Revolution, die Europa fern ist: Der Vietnamkrieg zerstörte alte Werte und spaltete die Leute in jene, die hingingen, und jene, die davonkamen. Die Zuhausegebliebenen schufen die Entertainmentgesellschaft. Darin ist inzwischen alles Teil der Unterhaltung, jedes Stück Alltag eine Bühne geworden. «Die tägliche Show im täglichen Leben», sagt der Kulturkritiker Neal Gabler, «ist derzeit die auffälligste amerikanische Kunstform.» Jerry Seinfeld erhob genau das zu seinem Leitfaden. Der Besuch im Waschsalon, das Abendessen beim Chinesen oder das Parkieren auf Behindertenparkplätzen füllen Episoden. Nichtige Wortschöpfungen wie Yada, Yada, Yada prägten das Bewusstsein der TV-Generation.

Schon beinahe intellektuell: Die Anwältin Ally McBeal

Ein letzter Stolperstein auf dem Weg zum Quotenrenner dürfte noch die grenzenlose Arroganz der «Seinfeld»-Macher sein: Das selbst erkorene Erfolgsgeheimnis «wir wollen ausser uns niemandem gefallen» tönt vor allem in der Schweiz allzu selbstverliebt.

Weniger Sorgen machen muss sich der Privatsender TV3. Dort läuft seit einer Woche die Anwältinnen-Serie «Ally McBeal», eine bravere Version von Urbanität. Gezeigt wird, was sich die vergnügungswillige Öffentlichkeit gern unter Stadt vorstellt: schöne junge Menschen, die während eines vergnüglichen Arbeitsalltags pittoreske Marotten zur Schau stellen. ««Seinfeld» spricht eher ein intellektuelles Publikum an», sagt TV3-Pressesprecherin Andrea Hemmi, ««Ally McBeal» geht in die Breite.» Das darin gezeigte Single-Dasein sei in der Schweiz hochaktuell, und die Serie habe nach einem anfänglichen Fehlstart in Deutschland durchaus auch in Europa Kultpotenzial. «Wir liegen voll im Trend.»