Die Kugel rollt durchs Kabel

Spielsüchtige können ruhig zu Hause bleiben: Im Netz gibt es unzählige Casinos, die um die Einsätze buhlen.

Von Peter Hossli

Mit dem ersten Mausklick die Nummer 23 antippen, mit dem zweiten die weisse Kugel rollen lassen, gebannt auf deren Stillstand warten – und, mit etwas Glück, kräftig kassieren. So einfach lässt sich im Internet auf etlichen Casino-Sites um Geld zocken.

Zum Spielen brauchts weder den schwarzen Smoking noch die zeitraubende Reise in die US-Ostküstenstadt Atlantic City oder den schweisstreibenden Trip in die Wüste nach Las Vegas. Der Internet-Anschluss, ein Java-fähiger Browser sowie eine gültige Kreditkarte reichen aus. Damit kann jeder von Zuhause aus anonym und völlig ungestört Black Jack, Baccarat oder Roulette spielen, auf einen reinrassigen Araberhengst oder ein amerikanisches Basketballteam wetten und zum Zeitvertreib am einarmigen Banditen zupfen.

Ab zehn Dollar Mindesteinsatz ist man dabei. Wer gewinnt, bekommt einen Scheck zugestellt oder eine Gutschrift auf die Kreditkarte. Spielt man auf einer Site einer der anlegerfreundlichen Karibikinseln, kann man dort ein Bankkonto speziell fürs Glücksspiel eröffnen lassen.

Das Geschäft ist riesig. Rund 10 Milliarden Dollar werden im Jahr 2002 in Cyber-Casinos alljährlich umgesetzt, schätzt die Internet-Forschungsfirma Datamonitor. Ein enormes Wachstum stehe demnächst an. Heute würden bereits 535 Millionen Dollar, im Jahr 2000 etwa 2,3 Milliarden verspielt. Im Vergleich zum Umsatz des realen Geldspiels – allein in den USA und in Europa jährlich 700 Milliarden Dollar – fällt das zwar bescheiden aus. Wächst das Vertrauen in die digitale Geldübertragung, schätzt Datamonitor, dürften sich die Erträge jedoch bald vervielfachen. Kein anderer kommerzieller Bereich im Internet würde dann lukrativere Gewinne abwerfen als die Cyber-Casinos. Aus Sicherheitsgründen ziehen heute manche Zocker den Roulettetisch in Monte Carlo oder in Baden-Baden dem Computer noch vor.

Weil die Gesetzgeber in den USA bisher keine Regeln aufgestellt haben, warten renommierte Casinobetreiber in den Spielmetropolen Las Vegas oder Atlantic City vorerst ab, eigene Hochsicherheits-Web-Sites zu lancieren. Stattdessen bestimmen mehrheitlich dubiose Firmen das Geschäft. Sie betreiben Sites auf kleinen Karibikinseln, in Aust-ralien oder in Südafrika. Dort ist die Internet-Wette legal. Mit der Überweisung der Gewinne klappt es jedoch nicht immer.

Gleichwohl steigt die Zahl der Casino-Sites rasant. Im Januar 1997 warens erst fünfzehn digitale Spielbanken, die die Kugel rollen liessen. Heute gibt es laut Schätzungen der «New York Times» etwa 150 Online-Spielhöllen.

Zu viel, meint der republikanische US-Senator Jon Kyl aus Arizona. Zusammen mit der US-Staatsanwaltsvereinigung National Association of Attorneys General möchte Kyl das Gewinnspiel im Internet gänzlich verbieten. Wer künftig in den USA gegen das allfällige Kyl-Gesetz verstossen würde, müsste mit 20 000 Dollar Busse und vier Jahren Haft rechnen.

Der Senator und die Staatsanwälte fürchten, zu viel Kontrolle abgeben zu müssen. In den USA vergeben die einzelnen Bundesstaaten Casinolizenzen. Beim weltumspannenden Internet spielt es keine Rolle mehr, in welcher Stadt ein digitales Casino steht. «Das Internet», sagt der Staatsanwalt aus Wisconsin, «beschneidet die lokale Gesetzgebung in den USA. Dagegen wollen wir uns wehren.»

Wohl vergebens. Während in den USA viele potenzielle Casinobetreiber abwarten und auf Gewinne verzichten, boomt das digitale Zocken in der Karibik. Allein von Antigua aus bieten 21 Sites die Möglichkeit, online um Geld zu spielen. Oftmals werden Internet-Verbindungen in die USA oder nach Europa über verschiedene Länder geknüpft. Einschränkungen durch Einzelstaaten werden praktisch verunmöglicht.

Pragmatisch denkt die australische Regierung. Statt verbieten möchte man in Australien regulieren – und so Steuern kassieren. Zudem weigern sich dortige Casinobetreiber, Zocker aus den USA mittels Internet-Blockade zu behindern. «Das Internet ist global», sagt der Glückspielverantwortliche von Melbourne. «Dazu gehört das Spiel um richtiges Geld.»