Blick auf den Osten

«Fremde Ufer» des herausragenden ostdeutschen Dokumentarfilmers Volker Koepp feiert in Nyon Premiere.

Von Peter Hossli

Von den paar deutschen Wörtern, die ins Russische Einlass gefunden haben, sind «Schlagbaum» und «Butterbrot» die bekanntesten. Grenzen haben das Verhältnis der bei-den Völker immer geprägt. Butter aber, sagt der ostdeutsche Dokumentarfilmer Volker Koepp, «hat es auf den russischen Broten oft keine».

Lakoniker Koepp, 52, zählt zu den handwerklich ausgereiftesten Dokumentaristen der Gegenwart. Die meisten seiner Filme realisierte er in Mecklenburg, Brandenburg und Vorpommern – oder weiter im Osten. Seine «starke Affinität zu dem, was östlich der Oder passiert», stamme von seinem Lieblingsdichter Johannes Bobrowski, sein perfektes Handwerk von zwanzig Jahren Staatsdienst.

Da die Dokumentarfilmer der DDR nicht ins Ausland reisen konnten, sagt er, «erreichten wir bei der Erforschung des eigenen Raumes einen hohen Grad an Intensität und Genauigkeit». Genauer und intensiver als Koepp war kaum jemand. In seinen Filmen über Frauen und Männer in der ostdeutschen Provinz lässt er sich Zeit. Lange Gespräche, kluge Fragen und präzise Landschaftsaufnahmen zeichnen sein 30 Filme umfassendes Werk aus. Heute gilt es als Zeugnis einer untergehenden DDR-Gesellschaft.

Sein neuster Film, «Fremde Ufer», feiert nächste Woche am 27. Dokumentarfilmfestival von Nyon Premiere.

Koepp greift darin ein für Deutschland brisantes Thema auf: die Russlanddeutschen. Bis Ende 1995 reisten 220 000 in Russland lebende Deutsche in ihre ursprüngliche Heimat zurück. «Zu viele», meinte Oskar Lafontaine unlängst. Der SPD-Chef wollte aus einem Einreisestopp politisches Kapital schlagen.

Deutsche gibt es in Russland seit Jahrhunderten. Im Mittelalter holte Iwan der Schreckliche norddeutsche Soldaten nach Russland. Im 18. Jahrhundert liessen sich auf Geheiss Katharinas II. 12 000 Landwirte und Handwerker aus Preussen westlich der Wolga und in der Ukraine nieder. 1924 gründeten die Wolgadeutschen eine autonome sozialistische Sowjetrepublik. Es war ein Höhepunkt deutscher Kultur in Russland. Der Tiefpunkt kam 1941. Nach Hitlers Angriff auf Stalin deportierten die Sowjets 400 000 Deutsche nach Kasachstan und Sibirien.

Koepp begleitet in seinem Film vier zwischen 1959 und 1967 in Kasachstan geborene Schwestern, Abkömmlinge von Deportierten, die zu fremden Ufern aufbrechen: Nach dem Zerfall der UdSSR wandern sie in den Kaukasus, nach Ostpreussen und Deutschland aus.

Geboren wurde Koepp ein Jahr vor Kriegsende im ostpreussischen Stettin. Nach dem Abitur absolvierte er eine Facharbeiterlehre. Er wurde Maschinenschlosser. In den sechziger Jahren liess er sich an der Babelsberger Hochschule für Filmkunst zum Regisseur ausbilden. Dann folgten zwanzig Jahre bei der DDR-Filmproduktionsanstalt Defa.