Drei Knöpfe und viel guter Geschmack

Die italienische Familie Zegna macht gegen jeden Trend erfolgreich Mode für Männer.

Von Peter Hossli

Zeitungsartikel verkaufen keine Massanzüge. Es ist Mittag, Anna Zegna telefoniert. Den Pressetermin schiebt sie eine halbe Stunde hinaus. Sie hat zu tun. Der Journalist soll neben ihr Platz nehmen, und er soll warten.

Ein Computer fehlt. Anna Zegna, 40, Gebieterin über den bedeutendsten Herrenausstatter Italiens, schreibt von Hand. Zwischen den schmalen Fingern liegt ein Füller aus Plastik. Das Mailänder Büro der zweifachen Mutter wirkt karg. Ein Pult, ein Stuhl, ein Gestell, bestückt mit Kunst- und Architekturbänden, einem Standardwerk über den Neorealismo, einer Fellini-Biografie.

Nur an der Wand etwas Glamour. Anna Zegna auf Fotos mit Harrison Ford. Anna Zegna mit Denzel Washington. Anna Zegna mit Hugh Grant.

Mit dem Innenarchitekten bespricht sie die Ausstattung eines neuen Ladens in Moskau. Dann hängt sie auf. «Die Bedeutung von Computern wird überschätzt. Ich rede lieber mit den Leuten», sagt sie, eine zierliche, zuerst nervös, dann entspannt, präzis und stolz von ihrem Unternehmen erzählende Geschäftsfrau. Eine klassische Norditalienerin: Aschblond, herb und schön – und ungemein tüchtig. «Ich arbeite immer.»

Sie entschuldigt sich für die Verspätung. In der Moskauer Boutique gebe es Probleme. «Wir müssen sie lösen.» Stets spricht sie in der dritten Person. Wir. Uns. Zegna. «La famiglia» ist alles.

Zusammen mit Bruder Gildo, Schwester Benedetta und Cousin Paolo lenkt Anna das Familienunternehmen Ermenegildo Zegna in der vierten Generation. «Sehr erfolgreich», wie sie sagt.

Gefertigt werden ausschliesslich hochwertige Herrenkleider – Jacketts und Hosen, Hemden und Krawatten, seit kurzem auch Freizeitbekleidung für die Jacht oder zum Präsentieren auf der Rennbahn. Nichts für Frauen, keine in Billiglohnländern hergestellte Zweitlinie.

Zegna hat damit Erfolg. 1997 erzielte die Firma trotz Rezession und rasantem Währungszerfall in Asien Rekordumsätze. Verkauft wurden 500 000 Anzüge, 500 000 Hemden, drei Millionen Krawatten. Zegna webt zwei Millionen Meter Stoff pro Jahr. Mit einem Umsatz von 870 Milliarden Lire, etwa 700 Millionen Franken, und einem Marktanteil von dreissig Prozent ist Zegna führender Hersteller teurer klassischer Männerkleider.

Genaue Angaben über Gewinn und Cashflow hält Signora Zegna zurück. Seit 1992, sagt sie, habe man einen «enormen Sprung nach vorne» gemacht. Allein im vergangenen Jahr sollen es beim Profit «etwa 50 Prozent» gewesen sein.

Auch dank der Konkurrenz. Die bekanntesten Designer bestellen ihre Stoffe heute bei Zegna oder lassen dort endfertigen. Den Massanzug von Versace, Romeo Gigli, Gucci oder Valentino nähen von Zegna angestellte Näherinnen – aus Stoffen, gewoben in Zegnas Webereien.

Anna ist der Kopf der Firma. Die in Lausanne studierte Politologin führt fort, was ihr Grossvater Ermenegildo einst als simples Erfolgsrezept verstand: Tradition und Innovation.

Neu erfinden könne man das klassische Männer-Outfit nicht mehr. Jacke, Hose und Hemd, dazu eine stilsichere Krawatte, im Winter einen Mantel. Schrilles Design mögen die Kunden der zwischen 1500 und 2500 Franken teuren Zegna-Anzüge nicht. Klassische Schnittführung, traditionelle Stoffmuster und dunkle Farben gehören stattdessen zu jeder neuen Kollektion. Die Linien fallen eher gerade als körperanliegend. Die hochwertige Fertigung hat solide zu sein.

Lust auf Innovation zeigt Zegna bei der Entwicklung der Materialien und der Verfeinerung raffinierter Details. Um Tragkomfort oder Langlebigkeit zu erhöhen, das Gewicht der Stoffe aber zu mindern, hat Firmengründer Ermenegildo Zegna bereits in den dreissiger Jahren ein Labor eingerichtet. Dort wird seither Grundlagenforschung betrieben und feinstes Garn aus Kashmir, leichteste Merinowolle oder reissfeste, mit Seide verstärkte Knopflöcher entwickelt.

Nur beim Römer Edelschneider und James-Bond-Einkleider Brioni hängen noch exquisitere und somit teuerere Anzüge im Showroom als bei Zegna.

Ein Zegna-Anzug sei wie ein Gemälde von Canaletto, dem detailversessenen venezianischen Maler des 18. Jahrhunderts, sagt Anna Zegna. Von weitem gesehen, könnten einem Canalettos minimale Finessen nicht auffallen; «von nahe eröffnen sie ein ganzes Universum».

Zegna wirbt und agiert diskret. Keine medienwirksamen Fashion-Shows im Stil von Versace, Armani, Westwood, Gaultier und wie sie alle heissen. Stattdessen wertbeständige Arbeit, ja nichts Auffälliges. «Unsere Produkte müssen für sich sprechen», sagt Anna Zegna. Sie hält inne, eilt aus dem Büro und bringt eine Flasche Mineralwasser ohne Kohlensäure. Dazu drei Gläser- den Fotografen, der unbeachtet ein paar Bilder von ihr macht, hat sie nicht vergessen. «Am Tag Wasser.» Sie ist schlank, wirkt agil und denkt stets mit, während sie rasch redet. Auf jede Denkpause folgt auch ein Gedanke.

Zegna wurde gegründet, als noch englische Jacketts das Mass aller Dinge waren. 1910 übernahm Ermenegildo Zegna von Vater Angelo, einem mässig erfolgreichen Weber und Uhrmacher, eine Textilfabrik in Trivero. Das Nest in den Bielleser Alpen im Piemont lebte von der Verarbeitung australischer Wolle zu feinen Stoffen. In London fertigten daraus englische Schneider Sakkos, die in Paris oder Berlin Höchstpreise erzielten.

Ermenegildo Zegna, ein Weltreisender, aber zutiefst Heimatverbundener, wollte Geld und Arbeit bei sich in Trivero behalten. Den Engländern, klar die Dominatoren unter den Herrenbekleidern, machte er Konkurrenz. Er liess Schneider ausbilden, raffte die besten Materialien zusammen, bildete eine Forschungsabteilung und beauftragte Werber, das Gerücht vom hochwertigen Anzug aus Trivero in die Welt zu setzen. Vorab aber erfand Ermenegildo Zegna den Markennamen. Als erster italienischer Textilunternehmer nähte er ein Label mit seinem Namen auf die Innenseiten von Jacke und Hose. Fortan hiessen Ermenegildo Zegnas Kleider «Ermenegildo Zegna».

Anna Zegna führt das Gespräch da fort, wo sie es unterbrach. «Wir setzen auf Mundpropaganda.» Pompöse Modemacherinnen wie Vivienne Westwood würden durch Provokationen auf sich aufmerksam machen. Zegna pflege lieber Qualität und Bescheidenheit.

Ein Kunde, der einmal einen Anzug von Zegna kaufe, mache das ein Leben lang. Natürlich wisse er, dass es sich nicht jeder leisten könne. «Der Luxus ist Teil unseres Marketings.» Durchschnittlich deckt sich der Zegna-Käufer jährlich zweimal mit einem kompletten Outfit ein – für rund 10 000 Franken. «Wie viele Kleider verkauft Vivienne Westwood? Bestimmt weniger als wir.»

Von der aggressiven Präsenz Giorgio Armanis in Filmen oder bei der Ausstattung schöner und junger Berühmtheiten hält sie nichts. «Armani ist eine Allerweltsmarke geworden, die überall zu haben ist. Zu viele Leute tragen Armani.»

Sie verkauft Exklusivität. «Uns sollen nur die Richtigen mögen», sagt Anna Zegna. Eine wahrlich selbstbewusst Frau.

Zwar legt sie dem Pressedossier eine Liste mit Zegna-VIPs bei – die Schauspieler Bruce Willis und Harvey Keitel, Politiker wie der britische Premierminister Tony Blair oder der spanische Monarch Juan Carlos. Im Grunde mag sie das nicht. Auf die Liste soll nur, wer umweltbewusst ist, rücksichtsvolles Denken und «umfassende Lebensqualität» ausstrahlt.

Zegna versucht zu vermitteln, wofür Trendforscher die neunziger Jahre zu Beginn dieses Jahrzehnts noch hatten machen wollen: hochwertige Einfachheit. Zegna ist Luxus, gepaart mit Schlichtheit; Besonnenheit statt gedankenlosen Wachstums. Pressematerial wird auf Recyclingpapier abgegeben. In den Alpen, nahe von Zegnas Heimat Trivero, finanziert der Nobelschneider gar ein Umweltschutzgebiet.

An die Börse möchten Ermenegildo Zegnas Erben das Familienunternehmen nicht führen. Das mache man nur, wenn man das Wachstum nicht selbst finanzieren könne, sagt Anna Zegna. Die Familie ziehe langsames, stetiges Wachsen dem Auf und Ab der Konkurrenz vor.

Nur so bleibe man flexibel. Und Flexibilität sei heute – der Markt floriert global – einziges Erfolgsrezept. Zurzeit zittert die italienische Modebranche. Asien, das bedeutendste Wachstumsgebiet der letzten fünf Jahre, wankt. Zegna steht. «Wir haben eine flexible Struktur, weil nur die Familie, nicht aber Aktionäre mitreden», sagt Anna Zegna. Statt in Seoul oder Kuala Lumpur expandiert man in Moskau, São Paolo oder Bremen, «dort wächst die Wirtschaft noch».

Gesund ist Zegna dank der vertikalen Struktur. Alles wird selbst gemacht. Im italienischen Trivero, dem Stammsitz, weben Zegnas Weber hochwertige Stoffe. In Mailand entstehen die neuen Kollektionen. Krawatten und Prêt-à-porter-Ware lässt Zegna in eigenen Fabriken in Italien, Spanien und der Türkei herstellen. Im Mendrisio im Tessin schneidern computergesteuerte Maschinen die Stoffe für die Massanzüge, die im benachbarten Stabio von 220 Näherinnen genäht und gebügelt werden. Vom Lager in Stabio aus gelangen sie zu den weltweit rund 230 Verkaufsstellen.

Weil Qualitätsschwankungen, nicht aber Löhne ins Gewicht fallen, lässt Zegna seit 1968 die kostbaren Massanzüge in der Schweiz fertigen. Dort wird nie gestreikt, werden die Zeitpläne stets genau eingehalten – Sein oder Nichtsein jedes Modefabrikanten. Denn: Bekommt der Kunde sein Jackett nicht termingerecht, wechselt er den Schneider.

Eng, lärmig und heiss sind die dreistöckigen Hallen in Stabio, dem wichtigsten Nähatelier von Zegna. Unten wird verwaltet, im zweiten Stock nähen rund 170 Frauen Anzüge, zuoberst fertigen noch einmal 50 Frauen die passenden Hosen. Alle sind jung. Die Schule besuchten sie kurz. Die Teenager-Gesichter verstecken sie hinter öligem Make-up. Gearbeitet wird im Trainer von Adidas. Im Ohr stecken Kopfhörer, aus dem Walkman singen die Spice Girls. Der Kaffee im Raucherzimmer kommt aus dem Plastikbecher. Von wegen Italianità.

Ein paar Männer stehen herum. Sie bügeln. Die Frauen stechen mit lauten Maschinen Knopflöcher, setzen Ärmel an Brustteil und fertigen von Hand die heiklen Partien: Taschen oder Schulterpolster. Jeden Tagen fahren sie von Italien über die Grenze zur Arbeit nach Stabio. Der Lohn ist etwas höher, die soziale Sicherheit etwas geringer. Jede träumt den Traum der Näherinnen: bald einen Mann zu heiraten, der sie von der eintönigen, schlecht bezahlten Arbeit befreit.

Anna Zegna muss jetzt aufhören. Der Innenarchitekt, wegen Moskau. Sie entschuldigt die Unordnung. «Wir brauchen ein grösseres Büro.» Die alte Kaffeerösterei, die Zegna in Mailand mit anderen Designern teilt, sei zu klein geworden. Zu eng, um den Herrenanzug der Zukunft zu entwerfen, den Zwei-, Drei- oder gar Vierknöpfer von morgen.

Wie sieht das banalste Kleidungsstück des Mannes – das Jackett – im Jahr 2000 aus? «Ganz einfach», sagt Anna Zegna, «wir müssen im richtigen Moment zeitgenössisch sein.»