“Am Berg sind die Kleinen im Vorteil”

Sportler nennen Kristin Harila die stärkste Person der Welt. In drei Monaten bezwang sie alle 14 Achttausender – aus Liebe zu den Bergen, wie sie sagt. Und weil sie das Leben liebt, statt den Tod zu fürchten. Die Norwegerin erklärt auch, was im Juli am K2 geschah.

Peter Hossli (Text) Sam Gregg (Fotos) 16.11.2023

Kristin Harila, Jahrgang 1986, wuchs im Norden Norwegens am Meer auf. Sie begann als Langläuferin und bestieg im Alter von 29 Jahren in Tansania den 5895 Meter hohen Kilimandscharo. 2019 kündigte sie ihre Stelle bei einem Möbelhändler und zog nach Nepal. Nachdem sie 28-mal Achttausender bezwang, will sie nun in Norwegen eine Familie gründen.

Wie riecht es auf 8848 Metern über Meer?
Kristin Harlia: Sie meinen auf dem Mount Everest? Ich rieche da nichts. Es hat dort oben sehr wenig Sauerstoff, und mein Körper konzentriert sich einzig auf das, was er in diesem Moment tun muss: überleben. Ansonsten nimmt er nichts wahr.

Nicht einmal Töne? Wie klingt das Dach der Welt?
Das hängt vom Wetter ab. Als ich letzten Mai auf dem Everest ankam, hörte ich ausser dem starken Wind nichts. Es war mitten in der Nacht, wir machten ein paar Fotos und gingen wieder runter.

Sie haben 28-mal Achttausender bestiegen. Dieses Jahr kletterten Sie in drei Monaten auf alle 14 – so schnell wie kein Mensch vor Ihnen. Haben Sie einen Lieblingsberg?
Jeder ist anders, alle bedeuten mir viel. Über jeden dieser Berge könnte ich ein Buch schreiben. Der Mount Everest ist nicht nur der höchste; er ist auch sehr schön.

Gibt es einen Gipfel, den Sie verabscheuen? Über den Sie unten sagen: «Oh nein, nicht der schon wieder!»
Bei meinem Rekordversuch im letzten Jahr war der Manaslu in Nepal sicher der am schwierigsten zu besteigende Berg. Dieses Jahr war er eher einfach, dafür war der K2 sehr anspruchsvoll. Letztes Jahr hatte ich mit ihm keinerlei Probleme.

Als besonders widerspenstig gilt der Annapurna. Rechnerisch stirbt für drei Menschen, die den Gipfel erreichen, eine Person …
… das ist ein sehr gefährlicher Berg.

Bergsteiger fürchten den Annapurna. Und Sie?
Ich habe keine Angst. Ich habe nie Angst.

Alle Menschen haben Ängste.
Jeder hat eine andere Gefühlswelt. Am Berg reagieren alle anders. Ich fürchte den Tod nicht. Sollte ich am Berg sterben, dann sterbe ich glücklich. Weil ich gerne klettere. Für mich ist es wichtiger zu leben, als möglichst lange am Leben zu bleiben.

Wer ist Ihr grösster Feind dort oben?
Der Wind. Da musst du vorsichtig sein, der Wind macht alles kälter und hinterlässt Frostbeulen.

Sie haben noch alle zehn Finger.
Ja, und alle zehn Zehen. Auf meiner linken Wange habe ich einen kleinen Frostnippel, verursacht von kalten Winden. Sonst ist bei mir noch alles intakt.

Die bekannte Schweizer Bergsteigerin Billi Bierling sagt, Sie seien der stärkste Mensch, der ihr je begegnet sei. Woher nehmen Sie die Kraft, die Berge regelrecht hinaufzustürmen?
Es ist Liebe. Ich mag die Berge. Ich mag es, in der Natur zu sein, ich mag die Expedition: im Zelt zu schlafen, draussen auf die Toilette gehen zu müssen, am Feuer zu essen.

Verlassen Sie sich dabei eher auf Ihre Muskeln – oder den Kopf?
Körperlich bin ich stark, das weiss ich. An einem normalen Tag trage ich zwischen 15 und 20 Kilogramm die Berge hoch. Und im Kopf akzeptiere ich, dass ein Aufstieg sehr lange dauern und sehr unangenehm werden kann.

Bergsteigen und Jammern geht wohl nicht zusammen?
Du musst das Schwierige aushalten können. Fühlst du dich unwohl, wenn du frierst oder müde bist, ist es kaum möglich, einen Achttausender zu besteigen. Menschen vergeuden viel Energie, weil die Kälte und die Müdigkeit sie zu sehr stressen. Mir macht es nichts aus, zu frieren oder müde zu sein. Das nehme ich einfach hin. Zudem hilft es, gute Teamkollegen zu haben. Ich bin immer mit Tenjen Lama geklettert. Der Sherpa war sehr stark. Da durfte ich nicht müde sein, denn das hätte ihn belastet.

Kälte, Müdigkeit, dünne Luft: Woher nimmt man die Fähigkeit, solche Widrigkeiten zu ertragen?
Woher das kommt, weiss ich nicht. Aber ich habe tief in mir das Gefühl, überleben zu können. Egal, was kommt: Ich kann alles schaffen. Es gab Jahre, da war ich häufig an Beerdigungen. Bis ich entschied, nicht mehr hinzugehen, und mir sagte: «Ich möchte leben.» Seither halte ich extreme Situationen aus.

Warum sterben mehr Menschen beim Abstieg als beim Aufstieg?
Weil viele glauben, sie hätten es geschafft, sobald sie den Gipfel erreicht haben. Der Gipfel war ihr Ziel. Dabei hat man dann erst die Hälfte hinter sich. Viele sind zu erschöpft, um sicher abzusteigen. Oder sie bleiben zu lange ganz oben. Dort ist der Körper extremer Höhe ausgesetzt und wird rasch schwach.

Wie umgehen Sie dieses Risiko?
Indem ich versuche, den allerletzten Anstieg bei Dunkelheit zu machen, frühmorgens auf dem Gipfel anzukommen und dann schnell abzusteigen.

Wie lange können Sie klettern, ohne zu schlafen?
Einmal waren es 41 Stunden. Aber das ist eher selten. In der Regel sind es 24 bis 30 Stunden. In dieser Zeit will ich es vom Basislager zum Gipfel und wieder zurück zum Basislager schaffen. Danach lege ich mich hin und schlafe. Beim Klettern sind die Tage lang, und du musst immer wieder Nächte durchmachen. Kletterst du nicht, musst du einfach so viel wie möglich schlafen.

Ab 6000 Metern über Meer sinkt die Leistungsfähigkeit, der Sauerstoffgehalt der Luft nimmt ab. Ab 8000 Metern spricht man von der Todeszone. Wie reagiert Ihr Körper auf die dünne Luft?
Jedes Mal anders. Je nachdem, wie lange ich mich akklimatisiert habe. Es ist schwieriger, einen einzelnen Achttausender zu besteigen als 14 am Stück. Während des Rekords hielt ich mich ständig in der Höhe auf. Als ich 2015 auf den Kilimandscharo stieg, hatte ich ab 5000 Metern sehr grosse Probleme. Den anderen ging es gut, aber ich musste mich übergeben, hatte starke Kopfschmerzen und konnte nichts mehr sehen. Doch ich erreichte den Gipfel. Seither weiss ich: Mein Körper reagiert früh und heftig, aber er kann sich anpassen.

Es heisst, Sie blühen in der Todeszone richtig auf. Wie geht das?
Vermutlich, weil ich klein bin. Am Berg sind die Kleinen im Vorteil.

Darf ich fragen, wie gross und wie schwer Sie sind?
Als ich mit dem Projekt anfing, wog ich 62 Kilogramm bei einer Grösse von 1,59 Metern. Nach Hause kam ich mit 52 Kilogramm. Zwischendurch waren es noch weniger. Zum Glück schaffte ich es, unterwegs etwas zuzunehmen.

Sie schlafen beim Bergsteigen oft in Zelten. Wie ernähren Sie sich?
Im Basislager essen wir Pizza, Teigwaren, Kartoffeln und Poulet, ziemlich normal. Beim Aufstieg versuche ich, möglichst wenig zu tragen. Ich esse Tomaten- oder Nudelsuppe, etwas Haferbrei zum Frühstück. Je höher ich bin, desto weniger esse ich. Vielleicht mal einen Riegel oder getrockneten Fisch. Für mich ist es auf dem Berg wichtiger zu trinken als zu essen.

Wer isst, muss auf die Toilette. Wie geht das da oben?
Es ist für viele schwierig, aber mir macht das keine Mühe. Mich hat es ein paarmal schlimm mit Lebensmittelvergiftungen erwischt. Da musst du einfach auf die Toilette. Einem Kletterer siehst du an, wenn ihn die Verdauung beschäftigt. Friert einer, frage ich: «Musst du pinkeln? Auf die Toilette?» Meist sagt er: «Ja, dringend.» Ich rate ihm dann, sofort zu gehen. Es kostet zu viel Energie, es zurückzuhalten.

Auf 8000 Metern hat es keine frisch geputzten Toiletten.
Du musst dein Seil festbinden, die Hose runterziehen und einfach loslassen. Wenn du das nicht kannst, kommst du am Berg nicht klar.

Nach einer grossen Leistung in der Höhe muss sich der Körper lange ausruhen. Der Südtiroler Reinhold Messner nahm sich 16 Jahre Zeit, um alle Achttausender zu besteigen. Sie schafften es in drei Monaten. Braucht Ihr Körper keine Ruhe?
Eine lange Nacht mit gutem Schlaf reicht mir, dann kann ich wieder los.

Sie klettern mit Sauerstoff aus der Flasche. Traditionelle Alpinisten sagen, das sei ein unerlaubtes Hilfsmittel.
Leider zirkulieren viele falsche Informationen. Ich besteige jeden Berg anders. Wir waren mal mit, mal ohne Sauerstoff unterwegs. Wir klettern ohne und mit Fixseilen. Über uns erzählt man, wir hätten ein Team mit sechs Sherpas, die für uns Sauerstoff auf die Berge tragen. Das ist falsch.

Und was ist richtig?
Auf den meisten Bergen war ich allein mit Tenjen Lama unterwegs. Wir hatten je eine Flasche Sauerstoff dabei. Aber wir sind auch schon ohne Sauerstoff geklettert. Für mich ist das ohnehin kein grosser Unterschied mehr, da ich die ganze Zeit in der Höhe war und mein Körper sich daran gewöhnt hatte.

Unter welchen Umständen atmen Sie aus der Flasche?
Auf einer Höhe von 7000 bis 7500 Metern. Da wir meist nur eine Flasche pro Person dabeihatten, nahmen wir den Sauerstoff in geringen Dosen.

Sie könnten nur dank vielen Sherpas so schnell klettern, heisst es.
Es sind nicht viele, das Team ist klein. Aber ich würde nie ohne Sherpa klettern, das möchte ich betonen. Bergsteigen ist Teamarbeit. Es ist sicherer und schöner, zusammen statt allein zu klettern. Auch die, die ohne Sherpas klettern, gehen durch Stellen, wo Sherpas fixe Seile gelegt haben. Sie übernachten in Basislagern, die Sherpas angelegt haben. Sherpas sind für Bergsteiger unermesslich wichtig.

Sie haben einen Rekord aufgestellt. Warum hagelt es Kritik?
Ich kann mir das nicht erklären. Und ich möchte nicht zu viel Energie dafür aufbringen zu begreifen, warum es Menschen gibt, die kritisieren, wie andere klettern. Alle sollen so klettern, wie sie wollen, solange dabei niemand verletzt wird. Niemand geht heute noch wie vor 30 Jahren auf den Berg. Der Sport entwickelt sich, er wird sicherer. Wer in den 1960er- oder 1970er-Jahren stecken geblieben ist, hat ein Problem.

Klettern im Himalaja ist beliebt. Es hat dort zu viele Bergsteiger.
Ich verstehe gut, dass Menschen den Mount Everest besteigen wollen. Nicht nur professionelle Bergsteiger, sondern normale Menschen. Ich war dreimal auf dem Everest, zweimal waren keine anderen Leute auf dem Gipfel. Bergsteiger geben aufeinander acht. Es gibt dort oben viel Gemeinschaftsgeist. Es spielt keine Rolle, zu welchem Team jemand gehört. Die Langsameren lassen die Schnelleren vorbei. Warteschlangen sind kein Problem.

Bilder aus dem Himalaja zeigen das Gegenteil.
Es ist bei Weitem nicht so schlimm, wie die Medien es darstellen. Es gab 2019 ein Bild vom Hillary Step mit einer Warteschlange. Das ist vorbei. Ich selbst habe so etwas nie erlebt. Wichtig ist, dass die Menschen gut genug klettern können, wenn sie im Himalaja auf die ganz hohen Berge steigen.

Am 27. Juli 2023 starb der pakistanische Träger Mohammed Hassan am K2. Viele Bergsteiger seien an ihm vorbeigegangen, ohne ihm zu helfen. Auch Sie. Was geschah wirklich am K2?
Meine Gruppe bestand aus zwei Kameraleuten, drei Sherpas, einem Bergsteiger und mir. Zwei Sherpas gingen voraus, um die Seile zu fixieren, was am K2 völlig normal ist. Wir waren schnell unterwegs und überholten einige Gruppen.

War das tagsüber oder nachts?
Wir kletterten in der Nacht. Gegen zwei Uhr sahen wir in einer engen Traverse eine Person, die kopfüber in der Luft hing. Es war dunkel, und wir erkannten nicht, ob es ein Mann oder eine Frau war, ein Bergsteiger oder ein Sherpa. Wir hatten ihn noch nie gesehen, und wir wussten nicht, zu wem er gehört.

Wie ging es ihm?
Er trug keinen Daunenanzug, sein Bauch war nackt, er hatte keine Handschuhe und keinen Sauerstoff. Es war klar: Er brauchte Hilfe.

Es heisst, niemand habe ihm geholfen.
Das ist falsch. Es war mitten in der Nacht, viele Menschen wollten zum Gipfel, sie schubsten, einige hatten Angst, weil Lawinen hinunterdonnerten. Zuerst versuchten Lama und ich, Herrn Hassan zu drehen. Wir schafften es nicht. Schliesslich gelang es meinem Kameramann Gabriel.

Und Sie dachten, er sei jetzt sicher?
Es lösten sich Lawinen. Lama und ich stiegen weiter. Wir dachten, dass Hassan genügend Hilfe erhalten würde und dass sich zu viele Menschen auf der Traverse aufhielten, was die Bergungsarbeiten erschweren würde. Gabriel hingegen blieb zweieinhalb Stunden bei Hassan, er bot ihm Sauerstoff und heisses Wasser an. Und er versuchte, so gut es ging, ihn zu wärmen.

Retten konnte er ihn nicht?
Die Bedingungen oberhalb von 8000 Metern sind gefährlich, der K2 ist einer der schwierigsten Berge überhaupt. Gabriel blieb so lange bei ihm, wie er konnte, bevor er sich selbst schützen musste. Um zu überleben, brauchte er mehr Sauerstoff. Es muss ihn sehr viel körperliche und seelische Kraft gekostet haben. Was er tat, war heroisch – und liebevoll.

Wussten Sie weiter oben, was unten geschah?
Lama und ich erreichten den Gipfel. Als Gabriel zu uns aufschloss, fragte ich ihn, ob Hassan noch am Leben sei. Gabriel sagte, ja, aber es gehe ihm nicht gut. Uns war klar, dass er es vielleicht nicht nach unten schaffen würde. Es zerriss uns das Herz.

Haben Sie Hassan nochmals gesehen?
Ja, als wir zurück zur Stelle des Unfalls kamen. Wir waren schlicht zu wenige Personen, um den Leichnam hinunterzutragen.

Es erschienen Fotos und Videos, die Mohammed Hassan tot im Schnee zeigen …
… was ohne die Einwilligung seiner Familie geschehen ist. Es ist unsensibel und zeugt von fehlendem Respekt für Hassan und seine Angehörigen. Er war ein Mensch, der vielen wichtig war, ein Vater von drei Kindern. Man sollte sich an ihn nicht nur als die Person erinnern, die am K2 starb.

Sie stehen seither verstärkt in der Kritik.
Hassan hätte an jenem Tag nicht auf dem Berg sein sollen. Ihm mangelte es an Training und Ausrüstung. Die Trekkingfirma hätte ihn nie auf den K2 schicken dürfen. Hätte ich zu Lama gesagt, ich gehe ohne Sauerstoff und ohne Daunenanzug auf den K2, hätte er mich gestoppt. Jemand liess Mohammed Hassan auf den Berg. Und nur weil ich an jenem Tag die bekannteste Person am K2 war, soll es nun okay sein, falsche Informationen über mich zu verbreiten?

Was erleben Sie?
Viel Hass. Es gab mehr als 4000 Artikel, in denen steht, ich sei über einen toten Bergsteiger geklettert und wir hätten ihm nicht geholfen – das ist völlig falsch. Kein einziger Journalist, der das verbreitete, rief mich vorher an. In Kommentaren heisst es, man werde mich finden und mich und meine Familie töten. Die Medien sind offenbar mehr an Klicks interessiert als an der Wahrheit. Niemand hat mich angeklagt, die Behörden in Pakistan haben keine Untersuchung gegen mich eröffnet.

Warum haben Sie sich anfänglich nicht gewehrt?
Wir wussten, was in dieser Nacht geschah, wir haben gefilmt, und wir haben Zeugen. Aber ich wollte keine Fotos und Videos von einem Unfall und einem Menschen in Not veröffentlichen.

Sie mussten 2022 Ihren ersten Rekordversuch abbrechen und versuchten es noch einmal. Weshalb ist der Rekord für Sie wichtig?
Mir ging es um Anerkennung für die Sherpas und darum zu zeigen, dass Frauen genauso stark sind wie Männer. Der Rekord soll die Mädchen inspirieren. Und er soll die Bekleidungsindustrie anregen, nicht mehr nur Männergrössen zu fabrizieren.

Norwegen gilt in der Gleichberechtigung als vorbildlich.
Ein 15-jähriger Fussballer verdient in der Nationalmannschaft noch immer mehr als eine 15-jährige Fussballerin. Das ist nicht fair. Es braucht noch viele kleine Dinge, bis wir gleichberechtigt sind.

Auch beim Bergsteigen?
Als ich 2021 zum ersten Mal den Mount Everest bestieg, wollte ich einen Daunenanzug kaufen. Meine Grösse gab es nicht, alle Anzüge waren für Männer geschneidert. Ich musste mir in Kathmandu einen anfertigen lassen. Die Sponsoren unterstützen lieber Männer, und sie zahlen ihnen oftmals mehr.

Gibt es oberhalb von 8000 Metern noch Unterschiede zwischen den Geschlechtern?
Fragen Sie die Sherpas, mit denen ich klettere. Sie werden Ihnen vermutlich sagen, ich sei der stärkste Mensch, mit dem sie jemals geklettert sind. Ich bin viel stärker als die meisten Männer.

Spielt es am Berg eine Rolle, ob du neben einer Frau oder einem Mann kletterst?
Ein Sherpa sagte mir am Everest, Frauen gingen mental und körperlich perfekt vorbereitet zu Berg. Viele Typen meinten nur: «Ich kann das schon!»

Sie haben damals innert zwölf Stunden den Mount Everest und den Lhotse bestiegen. Das hat die Bergsteigerwelt verblüfft.
Mich ja auch, weil ich wusste, dass ich in solchen Höhen manchmal Mühe habe. Aber es ging mir auf diesen beiden Bergen richtig gut. Und ich war schnell. Deshalb entschied ich mich, die 14 höchsten Gipfel möglichst schnell zu besteigen.

Was nicht billig ist. Wie viel haben Sie dafür investiert?
Insgesamt 1,5 Millionen Dollar. Um das Projekt anzustossen, habe ich meine Wohnung verkauft. Das deckte rund einen Drittel der Kosten. Dazu kommt Geld von Sponsoren. Aber ich habe immer noch offene Rechnungen.

Viele Sportler kommen nach einer Höchstleistung lange nicht zur Ruhe. Haben Sie Mühe, das Adrenalin abzubauen?
Überhaupt nicht. Klettern macht mich nicht high, ich bleibe ruhig. Wenn ich wieder unten ankomme, schlafe ich vor Erschöpfung ein. Aber das ist jetzt vorbei. Ich höre mit den Achttausendern auf.

Sie gehen nie mehr ganz nach oben?
Nein, ich habe mit den hohen Bergen abgeschlossen. Bis auf die beiden Achttausender in Tibet war ich auf jedem anderen mindestens zweimal. Zuerst dachte ich, ich müsste sie ebenfalls ein zweites Mal besteigen. Mittlerweile ist es mir egal geworden. Künftig steige ich nur noch auf niedrigere Berge.

Während Ihres Rekordversuchs sagten Sie, Sie wollten einfach nur nach Hause, um ein normales Leben zu führen. Dachten Sie daran aufzugeben?
Nein, nie. Aber ich habe meine Familie vermisst. Als ich auf dem Shishapangma war, erkrankte meine Grossmutter. Sie starb rasch, und ich konnte nicht dort sein, bei ihr. Da habe ich mich schon gefragt, was ich da überhaupt mache.

Sie trugen während Ihres Rekords Dreadlocks. Warum?
Ich trug sie vier Jahre lang. In den Bergen ist es einfacher mit Dreadlocks, da du das Gefühl hast, du müsstest die Haare nicht bürsten oder waschen. Kaum war ich zu Hause, nahm ich sie raus.

Zwei Wochen nach dem Interview geriet Harilas Sherpa Tenjen Lama in Tibet in eine Lawine und starb. Harila sagt: «92 Tage lang teilten wir alles: Suppe, Fisch, Wärme, Gelächter, Träume. Ich habe dir mein Leben anvertraut, du mir deines. Jetzt ist ein Teil von mir für immer weg.»