Beim Journalismus zählen einzig die Geschichten. Und Geschichten sind dann gut, wenn Menschen sie erzählen. Das waren einige der Begegnungen im Jahr 2015. Danke an alle, die mir ihre Zeit geschenkt haben.
Januar
“Fällt der Kurs unter 1.10, erwarte ich eine Rezession”
Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann erklärt die Folgen des SNB-Entscheids – und sagt, wann die Schweiz der EU beitreten würde.
Herr Straumann, warum hat die Nationalbank jetzt den Mindestkurs zum Euro aufgegeben?
Tobias Straumann: Die SNB wollte wohl verhindern, dass das Halten der Untergrenze zu teuer wird. Zudem hat sich das Umfeld verbessert.
Was ist besser geworden?
Der Ölpreis ist tiefer, der Dollar stärker, ebenso die amerikanische Wirtschaft. Zudem ist die Situation im Euro-Raum leicht stabiler.
Politiker, Ökonomen und Unternehmer kritisieren SNB-Präsident Thomas Jordan. Zu Recht?
Die SNB geht grosse Risiken ein. Ob die Aufhebung für die Schweiz aber tatsächlich schlecht ist, lässt sich heute noch nicht sagen. mehr
“Das grösste Risiko geht von der Ungleichheit aus”
Philipp Rösler ist erst 41 – und beginnt am World Economic Forum bereits seine vierte Karriere. Der einstige Vizekanzler über den Anschlag von Paris, die Krise des Liberalismus, seine vietnamesische Herkunft und wie er mit Niederlagen umgeht.
Herr Rösler, Sie sind das neue Gesicht des Weltwirtschaftsformus (WEF). In Davos moderieren Sie Gespräche zur Wirtschaft. Das wird jetzt schwierig werden.
Philipp Rösler: Das wird ganz und gar nicht schwierig werden, da wir über alle Themen reden.
Der Anschlag in Paris verlegt den Fokus klar auf den Terrorismus.
Die Überschrift des Jahrestreffens in Davos lautet «Neue Kontexte». Es geht um wirtschaftspolitische Entwicklungen, die Euro-Zone, globales Wachstum. Zentral sind dabei Diskussionen über geopolitische Entwicklungen – und den Kampf gegen gewaltbereiten Extremismus.
Wie ändert Paris das WEF?
Es war stets klar, dass wir über den IS reden, über Russland, und die Ukraine und über Konflikte im südchinesischen Meer. mehr
“Schlechte Werbung für Deutschland”
Neuer Pegida-Rekord in Dresden: 25000 Menschen demonstrieren gegen die «Islamisierung Europas» – und für direkte Demokratie.
Klar, sagt der Arbeiter, er sei wütend. «Multikulti stoppen, meine Heimat bleibt deutsch», steht auf dem Schild, das er in den Dresdner Nachthimmel hebt. «Merkel, Sie können uns mal», heisst es auf dem Plakat seines Kumpels.
Es ist Montag, in der sächsischen Hauptstadt seit Oktober Pegida-Abend. «Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes» marschieren gegen «die Islamisierung». Gestern waren es 25 000 – so viele wie nie zuvor. Auf Transparenten halten sie die Namen jener 17 Menschen hoch, die Terroristen letzte Woche in Paris töteten.
Aus Nürnberg angereist ist Chorleiter und Musiker Heinrich Eberhardt (68). Der beleibte Mann mit Bart und Beret fürchtet «eine islamische Unterwanderung in Europa». mehr
“Wir sind keine Marionette der Russen”
Serbien ist mit Russland befreundet und will in die EU. Der serbische Premierminister Aleksandar Vucic über den Spagat seines Landes.
Herr Vucic, wie trifft Serbien die Frankenstärke?
Aleksandar Vucic: Rund 22 000 Serben haben Hypotheken in Schweizer Franken. Sie sind jetzt sehr verzweifelt und fürchten um ihr Haus. Wir versuchen, ihnen so gut wie möglich zu helfen. Alles bezahlen können wir nicht.
Welche Folgen hat das Ende des Mindestkurses für Serbien?
Unsere Wirtschaft hängt mehr am Euro als am Franken. Auf den Strassen in Belgrad kaufen die Leute jetzt aber mehr Dollar und Franken als Euro. Zuvor wechselten sie Dinar jeweils in Euros. mehr
“Ein Satiriker sollte nicht töten”
Der Berner Satiriker Andreas Thiel (43) hat in einem Artikel scharf über den Islam gerichtet. Jetzt reagiert er auf die Anschläge in Paris.
Herr Thiel, was hat das Attentat in Paris bei Ihnen ausgelöst?
Andreas Thiel: Trauer und Mitleid für die Opfer wie für die Täter.
Mitleid mit den Tätern?
Jetzt, wo sie tot sind, werden sie bereits festgestellt haben, dass auf sie nicht das Paradies wartet.
Sondern?
Vermutlich die nächste Wiedergeburt, und das so oft, bis sie gelernt haben, den Mitmenschen nicht mit Wut, sondern Liebe zu begegnen.
Bundesrätin Doris Leuthard schrieb auf Twitter, Satire sei kein Freipass. Ihre Reaktion?
Ich befürchte jetzt, dass Leuthard ein Gesetz machen wird, das ihre Energiepolitik vor Satire schützt.
Welche Grenzen muss Satire einhalten?
Ein Satiriker sollte nicht töten. mehr
Februar
“Es herrschen Schock, Angst und Chaos”
Der starke Franken verschärft die prekäre Lage im Tessin: Grenzgänger nehmen Tessinern noch mehr Jobs weg. Löhne sinken. Die Finanzbranche darbt, der Tourismus leidet.
Gemüse lädt sie in ihren VW-Beetle, Fleisch, Öl und Waschmittel. Für 50 Franken hat Maria Heussi (59) im Supermercato in Ponte Tresa (I) eingekauft. «In Lugano gibts dafür viel weniger», sagt die Krankenpflegerin. Dreimal die Woche fährt sie nach Italien, postet hier alles, was sie isst. «Weil ich arbeitslos bin.» Keine Arbeit habe sie wegen den «Frontalieri», den Grenzgängern. «Die Chefs im Spital sind alles Italiener, ist eine Stelle frei, holen sie ihre Freunde.»
Wenige Kilometer östlich, ennet der Grenze in Caslano TI, kassiert Luciana Scalise (36) Bares für Benzin. Seit 15 Jahren arbeitet sie an der Schweizer Tankstelle. Der Liter Super 95 kostet 1.31 Franken oder 1.22 Euro. «Der Euro-Preis ist tiefer, wir wollen italienische Kunden halten», sagt Scalise. Sie lebt bei Como, fährt 40 Kilometer zur Arbeit und 40 Kilometer nach Hause – und hat Existenzängste. mehr
“Bundesrat und Unterhändler haben versagt”
EMS-Chefin Magdalena Martullo über die Krisen-Regierung und ihr politisches Engagement – und warum das Ende des Mindestkurses gut ist für die Schweiz.
Frau Martullo, ein Jahr nach Annahme der Einwanderungsinitiative weiss niemand, wie wir sie umsetzen sollen. Wer hat versagt?
Magdalena Martullo:Verantwortlich ist der Bundesrat. Er hat den klaren Auftrag, fristgerecht eine Lösung zu bringen. Dabei müssen die Bilateralen erhalten und gleichzeitig die Einwanderungsinitiative umgesetzt werden.
Dann hat der Bundesrat versagt?
Er hat Vorschläge immer wieder angekündigt, aber bis jetzt kam nie etwas. Es reicht nicht,
in Brüssel Leute zu treffen – und dann zu sagen, man habe unterschiedliche Positionen. Versagt haben bis jetzt der Bundesrat und die Unterhändler.
Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft. Ging ein Jahr verloren?
Noch haben wir Zeit zur Umsetzung. Aber der Bundesrat und die Politik in Bern tragen sicher nicht viel zur Glaubwürdigkeit der Schweiz bei. mehr
“Es gibt wohl keine Rezession”
Nach dem Frankenschock hofft Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann auf Wachstum dank Europa und Amerika. Er ist verhalten optimistisch.
Herr Bundesrat, Sie sind liberal. Warum lehnen Sie ein Sparprogramm beim Bundespersonal ab?
Johann Schneider-Ammann: Wer hat Ihnen gesagt, ich wolle nicht sparen?
Es stand in der «SonntagsZeitung».
Ich nahm das mit grossem Erstaunen zur Kenntnis. Falsche Behauptungen lasse ich mir nicht bieten. Deshalb stellte ich klar: Es stimmt nicht. Seit Jahren unterbreite ich übrigens Vorschläge, um sinnvoll staatliche Kosten zu senken.
Trotz Dementi beharren die Journalisten auf ihrer Version. Wer sagt die Wahrheit?
Der Bundesratssprecher hat besagten Artikel ebenfalls dementiert. Journalisten haben in Demokratien eine grosse Verantwortung.
Sie könnten derzeit ein Kind vor dem Ertrinken retten – und würden dafür trotzdem kritisiert werden. Warum?
Die jetzige Situation ist schwierig. Über Nacht erstarkte der Franken. Die Wettbewerbsfähigkeit leidet. Bringt der Wirtschaftsminister nicht sofort eine Verbesserung, hagelt es Kritik. Die Ungeduld ist riesig. mehr
Offline
Journalist Peter Hossli ist seit 21 Jahren im Netz. Nun steigt er sechs Tage lang aus, legt iPhone und Tablet zur Seite, lässt Twitter allein. Mitten in der Stadt, bei der Arbeit.
Der Ausstieg bedingt ein Ritual. Wie beim Samurai vor der Schlacht.
Das Postfach ist geleert, jedes Mail beantwortet, die Termine fixiert und auf Zetteln notiert. Eine Taschenlampe liegt auf dem Nachttisch, ein Wecker, dazu ein Kompass. Eine Karte der Stadt Zürich ist gekauft. Gibt es eigentlich das Kursbuch der SBB noch?
Dann – es ist Samstagabend nach der Arbeit – aktiviere ich die Abwesenheitsnotiz:
Vielen Dank für Ihr Mail. Leider kann ich es derzeit nicht lesen. Bis am 6. Februar bin ich offline. Sie können mich per Fax erreichen unter der Nummer +41 44 259 86 42; und zu Bürozeiten über den Festnetzanschluss.
Ob heute noch jemand weiss, wie man einen Fax verschickt?
Eine letzte Meldung auf Twitter geht online: «Offline.»
Um Mitternacht ist Schluss, mein iPhone schwarz, das WLAN beim Laptop deaktiviert. Das Netz – weg.
Ein erster Gedanke: Verloren. mehr
März
“Ich hatte recht”
Keiner kritisierte die Banker lauter als Jean Ziegler. Mit teuren Klagen bremsten sie ihn aus. Jetzt rehabilitieren ihn HSBC-Enthüllungen.
Jean Ziegler klaubt eine vergilbte Visitenkarte aus der Tasche. Sie gehört einem Kommissar der Genfer Polizei. «Ihn rufe ich jeweils an, bevor ich öffentlich auftrete.» Der Achtzigjährige – Professor, Linker und Nestbeschmutzer der Nation – benötigt Polizeischutz. Noch immer. «Lese ich irgendwo vor, stehen häufig zwei Wächter hinter mir.» Wegen Büchern, die kritisch mit der Schweiz, den Bankiers, unserer Nähe zu Hitler umspringen.
An der Uno in Genf empfängt er, in einem hellen Saal im Palais des Nations mit hoher Decke und Möbeln aus edlen Hölzern. Gut sichtbar der Mont Blanc über dem Lac Léman. Gut gelaunt der Gastgeber.
Er hat recht behalten. Die Bücher, derentwegen die Polizei ihn schützt, waren der Wahrheit näher als viele in der Schweiz wahrhaben wollten. Der einstige «Verleumder» und «Verräter» ist eine Art Prophet geworden. «Machen Sie mich ja nicht zum Helden», entgegnet Ziegler. «Ich bin doch nicht mutig.» mehr
Auf der Flucht
Die Terrorbande Islamischer Staat (IS) mordet, plündert und vergewaltigt. In Kurdistan finden über eine Million Menschen vor ihr Schutz. Ein Augenschein.
Fliegen umschwirren ihr dichtes dunkles Haar. Feucht und kalt ist der Beton, auf dem sie kauert. Sie klaubt eine zerrissene Bluse aus der Plastiktüte. «Schauen Sie», schluchzt Xoxe, «das Loch ist ganz klein, sie hätte nicht sterben müssen.» Wie sechzig sieht die Vierzigjährige aus. Sie erzählt. «Um zwei Uhr früh griffen sie uns an.» Granaten trafen ihr Haus, eine Gewehrkugel ihre Tochter. Xoxe hält einen vergilbten Ausweis in den Händen. Zu erkennen ist das Gesicht einer schönen jungen Frau, das Haar schwarz, die Augen neugierig. «Bahran heisst sie», sagt ihre Mutter. «Sie fiel einfach zu Boden.»
Sie fuhr sie ins Spital, wo die Schergen warteten – und die Ärzte vertrieben. Bahran († 20) verblutete in den Armen ihrer Mutter. «Um acht Uhr war sie tot», sagt Xoxe. «Ich war ganz allein mit ihr.» Tränen kullern über die rechte Wange. «Alle Ärzte waren geflohen.» mehr
Lernen gegen den Terror
Der IS hat sie vertrieben, sie waren Zeugen brutaler Akte – wie Kinder im Nordirak den Gräueln trotzen und von einer besseren Zukunft träumen.
Kinder kreischen. Buben in dicken Pullis spielen Fangen. Bis die Männer sie mit Stöcken in Zelte treiben.
Es ist kurz nach zehn Uhr, die Pause an der Schule im nordirakischen Lager Arbat ist zu Ende. Lehrer weisen 1250 Buben der ersten bis zur neunten Klasse Zelten zu.
Bei den ganz Kleinen sitzen 156 Schüler gemeinsam in einem Zelt. Es riecht nach ungewaschenen Kindern. Ein Mann mit buschigem Schnauz erteilt Rechenunterricht. Auf Arabisch zählt er bis zehn. Vorne sprechen sie ihm artig nach, hinten treiben sie Schabernack. «Viel profitieren die Kinder nicht», sagt der Lehrer. «Aber sie kommen trotzdem.»
Es sind vertriebene Schüler. Sie lernen, um den Terror zu vergessen. Die meisten wohnten in und um Tikrit, der westirakischen Stadt und Heimatort von Ex-Diktator Saddam Hussein († 69). mehr
«Wir lebten 100 Jahre friedlich zusammen»
Nordirakische Katholiken finden in Erbil Schutz vor ISIS-Schergen – in Containern. Ein Besuch in Kurdistan.
Zwei Frauen kauern auf dem Boden des geheizten Containers. Sie füllen Weinblätter mit Gemüse, bereiten die orientalische Vorspeise Dolma zu. An der Wand hängt ein vergilbtes Foto von Papst Franziskus. Auf zwei Betten sitzen neun Menschen. Es sind arabische Katholiken. Sie alle entkamen dem Tod nur knapp.
Achtzig Kilometer flohen sie, von Qaraqosh nach Erbil. Die ISIS-Terrorbande hatte letzten August die grösste christliche Stadt im Irak angegriffen. «Die Granaten schlugen nach der Morgenmesse in unserer Kirche ein», sagt Bashar Kthya (41), der Bischof von Qaraqosh. Trauer liegt in den Augen des ruhigen Mannes. Er hockt auf einem Plastikstuhl, das Kollar ist schmutzig. «Sie ermordeten die Männer, klauten unsere Frauen.» mehr
Mai
“Wir dürfen die Krise nicht herbeireden”
Eveline Widmer-Schlumpf über die Erbschaftssteuer, ihren Job als Bundesrätin und den harten Franken.
Frau Bundesrätin, kann man in Zürich wohnen und für Graubünden im Nationalrat sitzen?
Eveline Widmer-Schlumpf: Ja, klar. Unser System sieht das vor. Das Volk entscheidet, von wem es gut vertreten sein will – und ob eine Person sich starkmacht für die kantonalen Anliegen.
Sie sind Bündnerin. Würden Sie eine Zürcherin wählen?
Ich habe stets nach klaren Eckwerten gewählt, das mache ich weiterhin so.
Besagte Zürcherin ist Ems-Chefin und Milliardärin Magdalena Martullo-Blocher. Ausgerechnet ihr Vermögen wollen Sie vor einer nationalen Erbschaftssteuer schützen.
Verschiedene Leute haben grosse Vermögen. Dafür haben sie in den Kantonen bereits Vermögenssteuer bezahlt, ebenso Einkommens- und Gewinnsteuern. mehr
Wir, die einsamen Streber von Mailand
Ein Besuch an der Expo in Mailand offenbart einen Ort zum Weglaufen: den Schweizer Pavillon.
Sie redet perfekt in vier Sprachen. Den Mahnfinger erhebt die adrette Schweizerin in knalligen Buchstaben auf ihrem T-Shirt: «Gratis?», heisst es dort. Entscheidend ist das Fragezeichen. «Sie dürfen so viel mitnehmen, wie sie wollen», stellt sie den Besuchern des Schweizer Pavillons an der Expo 2015 in Mailand (I) frei.
Sie grinst und zeigt auf die mit Nescafé-Röhrchen gefüllten Kartons. Im Saal nebenan liegen gedörrte Apfelringli in den Schachteln. Einen Raum weiter wird Salz angeboten, im nächsten gibt es Wasser in Plastikbechern.
Jeder kann sich die Taschen füllen, und mancher tut es gierig. Gier aber – und das ist die Lektion – hat Konsequenzen. mehr
“Wir wollen, dass Blatter wieder gewählt wird!”
Sie büffeln, wo einst der Fifa-Präsident zur Schule ging. Was denken elf Visper Kinder über den mächtigen Walliser?
Im Nu sind die kleinen Hände oben. «Wer von euch will, dass Sepp Blatter erneut zum Fifa-Präsidenten gewählt wird?» Elf Kinder strecken sofort auf. Elf von elf.
Es geht sie etwas an. «Verliert er nächste Woche die Wahl, erhält unsere Schule einen neuen Namen, daran gewöhnen will ich mich nicht.»
Das sagt Michelle, das Mädchen ist elf, geht in die 5. Klasse – und besucht wie die anderen zehn Knirpse das «Primarschulhaus Sepp Blatter». Es steht seit 1907 unter der Dreikönigskirche in Visp VS. An einem Masten flattert eine vergilbte «Fifa Fair Play»-Fahne. mehr
Juni
“Ich habe kein einziges Geheimnis mehr”
Er gehört zu den besten Komikern der Gegenwart: John Cleese über die 20 Millionen Dollar, die er seiner Ex zahlen musste, die Schweiz und wie ihn die Welt nach seinem Tod ehren soll.
Guten Morgen, Mister Cleese.
John Cleese: Oh, guten Tag, Sie rufen ja pünktlich an, halt typisch Schweizer.
Sie sind aber rasch beim Klischee.
Ganz und gar nicht. Zürich und die Schweiz gefallen mir ausserordentlich gut. Wäre ich noch jung, würde ich sofort in die Schweiz ziehen. Es ist das beste Land Europas.
Wie kommen Sie denn darauf?
Die Schweiz ist perfekt organisiert und stabil, die Menschen sind sehr anständig und fleissig, und all das beflügelt die Künste.
Sie wären sicher willkommen. Warum ziehen Sie nicht einfach hierher?
Weil es in der Schweiz viele furchtbar kalte und nasse Tage gibt.
England ist in diesem Punkt nicht besser.
Oh, England ist ganz schrecklich, deshalb verbringe ich den Winter ja in Kalifornien.
Genug Small Talk: Hand aufs Herz, Mister Cleese, wie viel Geld verstecken Sie auf Schweizer Banken vor Ihrer Ex-Frau?
Nichts! Rein gar nichts! Meine Ex hat viel mehr Geld als ich, und das ist nicht etwa ein schlechter Witz. Es ist die brutale Wahrheit. In den letzten sieben Jahren musste ich 20 Millionen Dollar zusammenkratzen – und alles ihr überweisen. mehr
“Zum Glück bin ich noch am Leben”
Die amerikanische Fotografin Lynsey Addario hält Kriege, Terror und Hunger fest. Sie blickt auf die Welt der Frauen – und versucht, die Leidenschaft für ihren Beruf mit einem normalen Leben zu verbinden.
Frau Addario, Sie spürten Ihren ungeborenen Sohn erstmals kicken, als Sie über die Grenze nach Somalia reisten. Was haben Sie dabei gedacht?
Lynsey Addario: Für mich war das eine schwierige Zeit. Ich erlebte die Schwangerschaft als etwas Zwiespältiges, lange habe ich sie verdrängt. Ich wollte zwar eine Familie, aber es war mir schleierhaft, wie ich gleichzeitig Fotografin und ständig unterwegs sein konnte. Mir fehlten echte Vorbilder. Es gab keine andere Fotografin, die so wie ich arbeitete und eine Familie hat.
Wie gingen Sie mit dieser Ambivalenz um?
Indem ich einfach weiterarbeitete, an denselben Orten, wo ich normalerweise fotografierte.
Es gibt Leute, die Sie als leichtsinnig bezeichnen. Schliesslich ist Somalia eines der gefährlichsten Länder der Welt.
Wer das sagt, vergisst, dass Frauen in Somalia schwanger sind und jeden Tag Kinder zur Welt bringen. Warum kümmern die sich nicht um die schwangeren Frauen in Somalia, die unter diesen Umständen gebären?
Aber sind Sie denn leichtsinnig?
Nein, als das sehe ich mich nicht. Ich war vier Tage in Somalia und habe dort die Folgen der schweren Dürre fotografiert. Gefechte gab es keine. mehr
“Sonst stirbt Italien”
Tausende Flüchtlinge kommen übers Meer. Alle wollen nach Mailand – und von dort weiter in den Norden.
Fünf Minuten verspätet verlässt der Regionalzug die Stazione Centrale in Mailand (I). Ziel: Chiasso TI. Fünf junge Männer teilen sich zwei Abteile. Vier Eritreer, dazu ein Nigerianer mit Sonnenbrille. Er heisst Clever (23) und grinst. «Diese Reise habe ich schon oft gemacht.» In Monza (I) steigt er aus. Seine Arbeit ist getan, er brachte die Menschenfracht aus Afrika auf den Zug in die Schweiz.
Vor sechs Tagen bestiegen die vier Eritreer in Libyen einen Kahn. Ihr Traum: «Ich will ein besseres Leben, ich will Asyl in der Schweiz», sagt Fasha (25). Er half in Asmara bei Geburten, in der Hauptstadt Eritreas.
Der Weg zum Glück ist beschwerlich. Auf See streikt der Motor, richtungslos treibt das Schiff im Mittelmeer. Bis die deutsche Marine 600 Passagiere aufgreift. Zwei Tage später aber sind alle dort, wo sie hinwollen: am Bahnhof in Mailand. mehr
Juli
Griechen ringen um Stolz, Würde und Respekt
Athen am Tag, bevor Griechenland zahlungsunfähig wurde.
Ein Gitterrost hängt an der Tür. Die Attica Bank in Athen ist geschlossen. Wie jede Bank in Griechenland. Wir klingeln. Ein Bankmanager öffnet, trägt T-Shirt statt Anzug. «Wir sind zu!» Warum? Die Frage nervt ihn. «Verschwinden Sie, oder ich rufe die Polizei.»
Blank liegen die Nerven in Athen. Einigt sich die Regierung an diesem milden Dienstag nicht mit seinen Schuldnern, ist das Land pleite.
Vor den Bancomaten bilden sich lange Schlangen. Maximal 60 Euro darf ein Grieche pro Tag abheben. Eine 50-Euro-Note oder drei 20er. «Man verliert seine Würde, wenn man sein eigenes Geld nicht mehr holen darf», sagt Buchhalterin Mara (42). Sie möchte den Euro behalten. «Weil ich in Europa bleiben und nicht Afrika beitreten will.» mehr
August
“Wir wollen zu Angela Merkel”
Bis 3000 Flüchtlinge pro Tag strömen über die mazedonisch- serbische Grenze. Dort ist ihre Reise aber nicht zu Ende. Alle wollen nach Deutschland.
Eine Brücke unter der Autobahn von Skopje nach Belgrad gestern Nachmittag. Der kleine Bus hält. «Geradeaus, dann rechts, dort ist der Bahnhof», geheisst der mazedonische Polizist den Fahrer. Fünf Minuten später steigen 25 Menschen aus, alles Syrer aus Aleppo, Frauen, Männer, junge und alte, dazu viele Kinder.
Es eilt. Maximal fünfzehn Minuten dürfen sie sich beim Bahnhof Slanishte aufhalten. Sie erhalten Wasser, etwas zu essen, Windeln für die Babys, können ihre Mobiltelefone aufladen. Das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat Toiletten und Zelte aufgestellt. mehr
Karawane der Hoffnung
Auf der Flucht – von Mazedonien nach Serbien.
Noch ist es ruhig am Bahnhof Tabanovtse an der mazedonisch-serbischen Grenze. Händler bringen in Schubkarren Wasser und Kekse. «In zehn Minuten kommt der Zug», sagt einer. Er weiss es, weil ein Informant von ihm im Zug ist. Kurz vor halb zehn heult die Pfeife der Lokomotive. Ein junger Mann steckt den Kopf aus einem verrosteten Waggon. «Are we here?», ruft er. «Sind wir hier?» – «Ja», sagt ein Polizist. «Los, alle aussteigen!»
Hunderte von Menschen strömen auf den Bahnsteig, darunter Kinder und gebrechliche Alte.
Die meisten sind in Syrien aufgebrochen, andere in Afghanistan und im Irak. Auf der Balkanroute reisen sie nach Europa. In der Türkei bestiegen sie Boote nach Griechenland, sind nun in Mazedonien, bald in Serbien. mehr
Europas Schande in Belgrad
Mitten in der serbischen Hauptstadt hausen Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Umständen. Und warten auf ihre Weiterreise.
Zur Flucht gehört die Angst. Und Hassan (40) hat riesige Angst. Er kauert auf dem Boden des Busbahnhofs von Belgrad, es ist kurz nach acht Uhr morgens. In der Nacht kam er in der serbischen Hauptstadt an. Im Arm schläft Tochter Haula (10), «mein Baby», wie er sagt. Hinter ihm sitzt seine Frau Nahid (41), das Haar hat sie mit einem Kopftuch bedeckt.
Und weil sich Hassan fürchtet, lügt er den Reporter an. «Ich stamme aus Syrien», sagt er zuerst. Später korrigiert er sich: Aus dem Irak ist er geflohen. Da derzeit vor allem Syrer auf der Balkan-Route unterwegs seien, habe er gelogen. «Iraker fallen eher auf, niemand will auf dieser Reise auffallen, wir wollen nur überleben», sagt Hassan. mehr
Der Schritt nach Europa
An der serbisch-ungarischen Grenze interessiert vor allem eine Frage – nehmen die Ungarn Fingerabdrücke?
Nur der Wind ist zu hören am Tor zu Europa. Stumm schreiten neun Syrer auf die ungarische Grenze zu. Die Geleise weisen der fliehenden Familie den Weg. Es ist heiss, ihre Kleider sind patschnass. Fünfzig Meter, dann sind sie in der Europäischen Union.
Plötzlich ist die Stille weg, zu hören sind nun wimmernde, heulende, schreiende Kinder. Mädchen und Buben, die nicht mehr weiter können, die schon seit Tagen wandern, Blasen an den Füssen haben, deren Müttern die Kraft fehlt, sie zu tragen.
Ihre Gesichter sind staubig, ihre Kleider und Haare müffeln. Aus vollen Windeln rinnt Urin. Und doch haben die Kleinen ihre Menschlichkeit behalten. Sie lachen über die schweizerdeutschen Worte des Reporters, strahlen, wenn er ihnen Bilder seiner eigenen Töchter zeigt. mehr
September
Wo Kinder wieder lachen können
Kein Land nimmt aktuell mehr Flüchtlinge auf als Deutschland. Wie geht eine Kleinstadt damit um, wenn ein Viertel der Bevölkerung plötzlich Syrer sind?
Nuri ist sechs Jahre alt, hat dunkle Kulleraugen – und weiss sich zu helfen. «Halt!», ruft sie und stoppt die Schaukel mit ihren kleinen Fingern, zwängt sich zwischen zehn Kindern in den vollen Korb. «Jetzt kannst du anschieben!» Von hinten zieht Jakob (10) die Schaukel hoch, lässt sie los. Die Schar jauchzt und johlt: «Schneller!»
Wenige Tage zuvor weinten die Kinder noch. Am Budapester Bahnhof, unter Brücken, auf Gummibooten. Sie hatten Angst, waren müde, ihre Füsse schmerzten. Von Syrien kamen sie auf der Balkanroute nach Europa. Jetzt sind sie in Deutschland, «in Sicherheit», so Nuris Vater, ein Automechaniker aus Damaskus. Die Kinder sind nun dort, wo sie wieder lachen können. mehr
“Vielleicht schulden sie Schleppern ja Geld”
Der FC Bayern München lädt Jugendliche Flüchtlinge zum Training ein. Die Bayern-Trikots durften die Flüchtlinge nicht behalten.
Der knallrote Mannschaftsbus hält an der Säbener Strasse, dem Trainingsgelände von Bayern München. Nicht hoch bezahlte Fussball-Stars steigen aus. Sondern 30 Jungs im Alter von 14 bis 17 Jahren. Aus Syrien sind sie nach Deutschland geflohen, aus Afghanistan, Pakistan und Irak. Allein kamen sie an, ohne Eltern, ohne Geschwister. Von diesen unbegleiteten Flüchtlingen gibt es in München rund 1200.
Die Bayern gingen Anfang September auf die Stadt München zu, fragten an, wie sie helfen könnten. «Wir wollen ein Zeichen setzen», sagt der ehemalige Bayern-Präsident Uli Hoeness. Er sitzt wegen Steuerbetrug eine fast vierjährige Haftstrafe ab, darf aber tagsüber das Gefängnis verlassen. Der Freigänger ist bei Bayern jetzt zuständig für das Projekt mit jungen Flüchtlingen. «Flüchtlingskinder sollen sich in Deutschland wohl fühlen.» mehr
“Frauen können alles haben”
Die mächtigste Frau im Schweizer Sport: Monisha Kaltenborn leitet einen Rennstall, ist stets auf Achse – und hofft, dass ihre Kinder ihr das nicht übel nehmen.
Frau Kaltenborn, warum tun sich Schweizerinnen so schwer mit Macht und Einfluss im Sport?
Monisha Kaltenborn: Ich bin nicht so sicher, dass Ihre These stimmt!
Die Mächtigste ist eine indische Österreicherin, nämlich Sie!
Vielleicht gäbe es ja eine Schweizerin, die meinen Job gerne macht.
Was können Sie gut, dass Sie so mächtig geworden sind?
Macht erwirbt man nicht. Das Umfeld muss mitspielen. Es braucht jemanden, der einem die Macht gibt.
Wie bewusst haben Sie denn Macht angestrebt?
Es war nie meine Priorität. Es ist wichtiger, ein Ziel zu haben und dieses konsequent zu verfolgen. mehr
“Ich hatte Angst, sie führen ihn in Handschellen ab”
Vier Sponsoren fordern von Sepp Blatter den sofortigen Rücktritt. Seine Tochter Corinne verteidigt ihn und greift die Bundesanwaltschaft an.
Frau Blatter Andenmatten, wie reagierte Ihr Vater auf den Besuch der Bundesanwälte?
Corinne Blatter Andenmatten: Er wirkte schockiert und enttäuscht. Zumal ihn niemand im Voraus informiert hatte.
Was normal ist bei Strafverfahren.
Wäre er angefragt worden, weitere Dokumente rauszugeben, hätte er das sofort getan. Er hat immer kooperiert. Nun wurde er komplett überrumpelt.
Auch Platini?
Das weiss ich nicht. Die Bundesanwälte wussten wohl: Als Fifa-Vizepräsident ist er in Zürich.
Was dachten Sie, als Sie Ihren Vater sahen?
Ich hatte Angst, dass sie ihn jetzt in Handschellen abführen. Er sagte nur: «Ich glaube, es ist ein Traum.» Ein Bundespolizist beruhigte mich, er könne nach der Einvernahme nach Hause.
Es stand nie zur Diskussion, er werde in U-Haft genommen?
Nein. mehr
“Mitleid hasse ich wie die Pest”
Paraplegiker-Pionier Guido A. Zäch über Schicksal, Sex von Querschnittsgelähmten und sein Leben als Verurteilter.
Herr Zäch, was kann ein Rollstuhlfahrer alles nicht tun?
Guido A. Zäch: Es gibt keinerlei Grenzen. Der Mensch findet im Kopf statt – nicht in den Armen und Beinen.
Das sagt einer, der selbst nicht im Rollstuhl sitzt.
Tausendfach habe ich mitgelitten. Bei einer Querschnittslähmung sind ja nicht einfach die Beine weg, sondern das Empfinden im unteren Teil des Körpers. Ich helfe, mit dieser Situation umzugehen.
Als Fussgänger können Sie einem Rollstuhlfahrer gar nicht auf Augenhöhe begegnen.
Deshalb beuge ich stets ein Knie, wenn ich mit einem spreche.
Ein Kniefall ist ein schmaler Grat zwischen Mitleid und Respekt.
Mitleiden ja, aber ich hasse Mitleid wie die Pest. Niemand will bemitleidet werden. mehr
“Ich, Avi Rivkind, hätte Hitler das Leben gerettet”
Avi Rivkind ist einer der besten Notfallchirurgen der Welt. Und er behandelt selbst jene, die ihn töten wollen. Jetzt stellt er sich für viele Opfer der neuen Gewaltwelle in Israel ein.
Avi Rivkind weiss, was er tut. «Ich rette Leben», sagt der grosse Mann mit den grossen Händen. So einfach ist das.
Schon Tausenden hat er das Leben gerettet. Rivkind, der im Zürcher Hotel St. Gotthard frühstückt, ist Notfallchirurg in
Jerusalem. «Wir bereiten uns auf viele Opfer vor», sagt er. Eine neue Gewaltwelle rollt über Israel. Und doch bleibt Rivkind gelassen. Sein Grundsatz: «Ich glaube an das Leben, und ich tue alles, um es zu erhalten.»
Wie macht er das? «Ich kämpfe gegen den Tod», erklärt der Arzt. Er leitet die Trauma-Abteilung des Hadassah Medical Center, eine der grössten medizinischen Einrichtungen im Nahen Osten. Wer sich schwer verletzt, ist bei ihm in guten Händen. Das Hadassah hat eine der höchsten Überlebensraten, höher als viele britische und US-Spitäler. Weltweit bildet er Chirurgen aus. «Unser Personal ist gut», so Rivkin. «Die alten Ärzte haben das Sagen.» Erfahrung rette Menschen. Er selbst ist 65, will operieren «bis 120», sagt er. «Meine Hände sind ruhig, und ich werde jedes Jahr besser.» mehr
November
«Ich sah 5000 nackte Frauen an einem Tag»
Der «Playboy» verzichtet künftig auf Nacktfotos. Sein erster deutscher Chefredaktor Fred Baumgärtel erklärt, wie sich das Bild der Frau in den Gedanken der Männer verändert hat.
Herr Baumgärtel, wie gut sind die oft gepriesenen Interviews im «Playboy» wirklich?
Fred Baumgärtel: Die Interviews waren stets das Beste am ganzen Heft. Da haben sich die Autoren ungeheuer viel Mühe gegeben. Einige dauerten mehrere Tage. Ernest Hemingway liess sich eine Woche lang befragen.
Welches war rückblickend das beste «Playboy»-Interview?
Es war eine Sensation, als US-Präsident Jimmy Carter sagte, er hätte Gedanken, die an seiner Ehe vorbeizielten. So etwas hätte ein deutscher Bundeskanzler nie sagen können.
Künftig kann man solche Interviews ungestört lesen. Der US-«Playboy» druckt bald keine nackten Frauen mehr, die ablenken.
Aber er druckt weiterhin Fotos schöner Frauen. Und die können durchaus ablenken. Beim «Playboy» lesen alle mit dem einem Auge – und schauen mit dem anderen hin. mehr
Willkommen in Sumte
Ein deutsches Dorf erhält zehn Mal mehr Flüchtlinge als Einwohner – und freut sich am Boom dank Zuwanderung.
Goldgelbe Blätter fallen von den Bäumen, Gänse ziehen über die Elbe gen Süden, Holstein-Kühe grasen. Im Café treffen sich Rentner zum Kränzchen. Und sagen, was sie denken.
Es geht um «die Fremden» im Dorf, dem norddeutschen Sumte. «Da passen doch keine 1000 rein», fängt einer an. «Wir warten seit Jahren auf nächtliche Beleuchtung, jetzt sind Flüchtlinge da, und sie kommt sofort.» – «Für Griechen, Banken, Flüchtlinge ist Geld da, nicht aber für uns.» – «Bei denen ist Krieg, die brauchen doch Hilfe.» – «Jede Minute bricht in Deutschland einer ein, aber die Polizei kümmert sich nun um Flüchtlinge.» – «Die Sache kippt, weil das Volk nichts kriegt.» mehr
Mission Brüssel
Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann reist zur Europäischen Union – und wirbt für die Interessen der Schweiz.
Der Tag des Bundesrats beginnt in der Nacht. Dienstag, vier Uhr morgens: Wirtschaftsminister Johann-Schneider Ammann (63) erwacht in Langenthal BE. Ein Chauffeur fährt ihn im dunklen Audi 8 zum Flughafen Bern-Belp. Sieben Mitarbeiter warten beim Tor 2, dem Eingang der Schweizer Flugwaffe. Sie betreibt den Bundesrats-Jet, die dreistrahlige Falcon 900EX Baujahr 2008. Einst flog damit Fürst Albert II. (57) von Monaco. Der Bund kaufte ihn 2013 für 35 Millionen Franken.
Am Himmel funkeln Sterne. Es ist noch dunkel, als der Wirtschaftsminister um 5.51 Uhr vor dem Flugzeug hält – eine Minute später als geplant. Pilot Hauptmann Reto Köpfli (45) begrüsst ihn. Er wird den Bundesrat nach Brüssel fliegen. Er trägt die Ausgangsuniform – üblich, wenn Magistraten dabei sind. «Brauchen wir den Mantel?», fragt Schneider-Ammann – und lässt den Mantel in Bern. Pass- und Sicherheitskontrollen sind nicht nötig. mehr
“Das sind Mörder, keine Muslime”
Die arabische Gemeinde in Paris ist verunsichert – und will Radikale in den Vororten stoppen.
Es ist kein normaler Sonntag in Barbès, dem beliebten Quartier in Paris, in dem viele Araber leben. Die Zigarettenhändler beim Métro-Stopp fehlen, mancher Basar ist zu. Polizisten patrouillieren.
«Klar haben wir Angst», sagt Ali (54). «Viele sehen in uns das Böse.» Aus Pakistan kam er vor 20 Jahren nach Paris. Ali verkauft Krimskrams. «Machen Sie kein Bild von mir, verschweigen Sie den Namen des Ladens.»
Er weiss: Eine Terrorgruppe, die sich Islamischer Staat nennt, hat am Freitag 129 Menschen ermordet. Seither stellen viele in Europa den Islam unter Generalverdacht. Aber: «Das waren keine Muslime, das waren Mörder.»
Vor seinem Laden zieht Messoud an einer Zigarette. Er ist 83, kam in Algerien zur Welt, einer einstigen Kolonie. Muslime wie er gehören seit Generationen zu Frankreich. «Barbaren» nennt er die Terroristen. «Ich bin Muslim, nicht sie.» mehr
Schweizer Hilfe ohne Grenzen
Die Schweiz ist angekommen auf der Balkanroute. Fünf Experten des Schweizerischen Korps für Humanitäre Hilfe sind seit Mitte November im winzigen slowenischen Grenzort Sentilj tätig.
Hannah (32) braucht einen neuen BH. Ihr alter riss in Serbien. Die Syrerin steht nun im slowenischen Durchgangslager an der Grenze zu Österreich. Mit dem Finger zeigt sie auf die Tafel mit Piktogrammen. Hosen, Schuhe, Jacken, Taschen und Unterwäsche sind abgebildet. Eine Helferin in gelber Weste bringt ihr eine Schachtel mit zerknüllten BH.
Hannah wühlt darin. Neben ihr auf dem Tisch strahlt Musa, wie neun Monate alte Buben strahlen, wenn jemand sie anlacht. «Seid ihr endlich fertig?», keift ein slowenischer Soldat. Hannah versteht nichts. Sie hat Angst, spürt den kalten Atem des vermummten Mannes. Vor zwei Wochen erst floh sie vor Bomben des syrischen Regimes.
Hannah wühlt nun hastiger, lässt Musa kurz aus den Augen. Der lacht – und fällt vom Tisch. Er schreit. mehr
Dezember
“Menschen sind brutaler als Tiere”
Gino Strada operierte mehr als 30000 Opfer bewaffneter Konflikte. Er fragt: Sind wir zu dumm, um die Gewalt zu stoppen?
Doktor Strada, warum ziehen Sie in den Krieg?
Gino Strada: Es ist nötig. Dort hat es viele Verwundete, aber wenige Ärzte.
Sie selbst haben 30000 Kriegsopfer operiert …
… es sind mittlerweile wohl mehr, aber ich habe aufgehört, zu zählen …
… wie ertragen Sie solches Leid?
Es ist schwierig und schockierend. Aber leider habe ich mich daran gewöhnt.
Weil Krieg Ihr Alltag ist?
Seit 25 Jahren verbringe ich jährlich zehn Monate in Kriegsgebieten. Ob meine Heimat Italien oder Afghanistan ist, weiss ich nicht mehr. Der Krieg ist meine Realität, meine Arbeit. mehr
“Ich glaube nicht an die Hölle, nur an den Himmel”
Morgen urteilt die Fifa über Sepp Blatters Sperre. Gestern ging der Walliser mit seiner Enkelin in den Zirkus, trank Whisky – und gab sich zuversichtlich.
Fröhlich ist die Stimmung im Zirkus Salto Natale in Kloten ZH. Der Fifa-Präsident lässt sich im Sessel nieder. «Bringen Sie mir einen Whisky», bittet Sepp Blatter (79) die Kellnerin. Er wirkt an diesem Samstag entspannter als in den Wochen zuvor.
Im Zirkus sei er «für meine Enkelin», sagt er. «Das ist eine Einladung für Selena. Sie ist in der Schule gemobbt worden.» Warum das? «Weil ihr Opa ein schlechter Mensch sein soll, ‹der Gangster der Nation›. Das hat sie sehr getroffen, so dass sie die Schule wechseln musste, von Sion zurück nach Visp.» Selena hat drei Freundinnen eingeladen. mehr
Fotos: Jorma Müller, Nicolas Righetti, Adam Berry, Thomas Lüthi, Remy Steinegger, Sabine Wunderlin, Marco Zanoni, Gerry Nitsch, Pascal Mora, Peter Gerber, Joseph Khakshouri, Benjamin Soland, Toto Marti, Stefano Schröter, Yann Castanier