Nikolaus Senn gewährte der Berner Zeitung im Juli 2012 ein längeres Interview. Der ehemalige Präsident der Generaldirektion der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) bezeichnete darin Nelson Mandela als «guten Freund». Senn: «Er hatte eine ganz klare Vorstellung davon, was in Südafrika zu tun ist. Ich hätte zwar nicht alles unterschrieben, was er entschieden hat. Aber das war seine Sache und die Sache der Südafrikaner. Über alles gesehen hat er aber viel getan für die Öffnung des Landes.»
Die Aussagen stehen im Kontrast zu einem Interview, das Senn vor dreissig Jahren dem Journalisten Fredy Hämmerli gewährte. Das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» publizierte es am 1. Januar 1983. Es gewährt einen tiefen Einblick in die Denkweise von Schweizer Wirtschaftsführern, die in Südafrika Geschäfte tätigten.
Da das Interview online nicht greifbar ist, publizieren wir hier Auszüge:
Bilanz: Südafrika steckt in einer wirtschaftlichen Krise. Wie beurteilen Sie seine ökonomische Zukunft?
Senn: Kurzfristig durchläuft Südafrika eine ausgesprochen schwierige Periode. Mit einem Aufschwung rechnen auch die Südafrikaner selbst bestenfalls für 1984. Mittelfristig bleibt Südafrika aber eines der interessantesten Länder überhaupt. Es ist mit allen Rohstoffen ausser Erdöl gesegnet. Öl können die Südafrikaner bereits zu einem grossen Teil durch verflüssigte Kohle ersetzen. Zudem profitieren sie von einer sehr liberal geführten Wirtschaft. Insgesamt gebe ich Südafrika also ausgesprochen gute Chancen.
Bilanz: Wie beurteilen Sie die politischen Aussichten einer weissen Regierung?
Senn: Die «kleine Apartheid», die physische Rassentrennung ist am Verschwinden. Die «grosse Apartheid», die volldemokratische Lösung «one man – one vote» wird jedoch noch lange auf sich warten lassen. Aber die Rassenprobleme werden überhaupt nie ganz zu lösen sein. Es handelt sich um eine ganz natürliche menschliche Erscheinung, die überall – selbst in den USA – existiert und von der wir auch nicht ausgenommen sind.
Bilanz: Macht es für Sie einen Unterschied, dass der Rassismus in Südafrika Gesetz ist?
Senn: Diese Gesetze sind im Abbau. In den nächsten Jahren wird auch der «immorality act» verschwinden, der eine gemischtrassige Ehe verbietet.
Bilanz: Die politische Diskriminierung der schwarzen Mehrheit wird dadurch aber nicht beseitigt.
Senn: Die «grosse Apartheid» wird in Südafrika tatsächlich noch auf weite Sicht existieren. Die weissen Südafrikaner haben ihr Land während fast 450 Jahren zu einem reichen Agrar- und Industriestaat aufgebaut. Wenn ich in Südafrika leben würde, wäre ich auch nicht bereit, die Zügel aus der Hand zu geben. Sonst wäre Südafrika schon bald so weit wie Sambia, das am Verarmen ist. Zimbabwe, das vor dem Bürgerkrieg steht, oder Mozambique, das praktisch devisenmässig von Südafrika lebt. Ein Zustand, den die Südafrikaner nicht akzeptieren wollen.
Bilanz: Die Rockefeller-Stiftung, die ja keineswegs links steht, hält einen Machtwechsel für wahrscheinlich und empfiehlt darum, schon heute die Kontakte zu schwarzen Führern der Zukunft zu intensivieren.
Senn: Das sind rein theoretische Überlegungen, die nicht aus der Kenntnis des Landes und seiner Verhältnisse entspringen. «One man – one vote» ist für mich keine Weltreligion. Ein politisches Urteil abzugeben, ist im übrigen nicht Sache der Schweizer Banken und der Schweizer Wirtschaft, sondern wenn überhaupt, der politischen Instanzen. Diese basieren aber auf dem Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder. Warum sollte die Wirtschaft anders handeln? Wir dürften mit 2/3 der Welt keinen Handel mehr pflegen, wenn wir überall unseren eigenen politischen Wertvorstellungen verwirklicht sehen wollen.
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Bilanz: … Ist es angebracht, in einem politischen Spannungsgebiet wie Südafrika ähnliche Risiken einzugehen?
Senn: In Südafrika haben wir noch nie einen Rappen verloren. Nun kann man natürlich sagen, dass sei Übermorgen vorbei – aber das hat man schon vor 15 Jahren behauptet.
Bilanz: Besteht nicht die Gefahr, dass die Schweizer Wirtschaft in Afrika ganz allgemein boykottiert wird, weil die Schweizer Banken so intensive Kontakte zu Südafrika pflegen – ein Boykott, der vor allem die Exportindustrie treffe müsste?
Senn: Solche Boykott-Drohung sind leere Sprüche. Ohne Südafrika würden alle Staaten südlich der Sahara am Hungertuch nagen.
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Bilanz: Haben Sie keine Hemmungen, Anleihen von Unternehmen aufzulegen, die in Südafrika strategische Bedeutung besitzen? Ich denke dabei etwa an die Escom, die auch für Teile des südafrikanischen Nuklearprograms verantwortlich ist.
Senn: Auch das Gold, die Eisenbahnen oder die Ölindustrie sind strategische Bereiche. Die Waffenausfuhr ist schweizerseits ja untersagt. Alle übrigen Wirtschaftsteile sind primär industrieller, zivilen Natur. Wollte man diese Wirtschaftsbeziehungen unterbinden, so müsste konsequenterweise gegen alle Länder der Boykott verhängt werden, die nicht unseren Menschenrechtsvorstellungen entsprechen.