Begegnungen 2011

Journalismus ist gut, wenn er aktuelle Themen mit Menschen plausibel darstellt. Das habe ich im vergangenen Jahr gemacht – zuerst mit dem iPad-Magazin The Collection. Ab September als Autor der Blick-Gruppe. Grossem Dank verpflichtet bin ich Menschen, die mir Zeit gaben und meine Fragen beantworteten.

Eine Auswahl von Begegnungen im Jahr 2011

salari_170“Das ist alles eine grosse Lüge”
Der Botschafter der iranischen Mullahs in Bern über Gaddafi – und das gestörte Verhältnis seines Landes zur Schweiz.
Herr Botschafter, Muslime massakrieren in Libyen Muslime. Wer soll das stoppen?
Alireza Salari: Alle müssen sich jetzt zurückhalten. Und wir müssen sofort aufhören, die Diktatoren zu unterstützen. Verantwortlich für das Chaos sind Grossmächte, die seit Jahrzehnten Despoten helfen.
Ein bekanntes Argument. Das Volk scheint anderer Meinung zu sein. Amerikanische Flaggen brennen keine.
Weil Kolonialisten vortäuschen, dem Volk zu helfen, die Diktatoren zu verjagen. mehr

rhondaRhonda, Gerry and Blaze – The Global Baby
It takes two to start a family – or three, or even four. Take Rhonda and Gerry from Mesa, Arizona. The American couple has tried to have children for years – unsuccessfully. So they hired a surrogate mother in India. And they bought a donor egg. Their son Blaze has a father, a social mother, a surrogate mother and a biological mother. Now another surrogate is pregnant with twins – Blaze’s siblings.
It’s not an unusual story anymore. Each year, thousand of couples travel to India to rent a womb – or to Georgia, to the Ukraine, to Brazil, Poland, or to Thailand. Global fertility tourism has become a ten billion dollar business. more

peteEs schneite die Asche der Zwillinge
9/11 veraenderte das Leben vieler Menschen – auch meines. Vor zehn Jahren berichtete ich vor Ort ueber den Terror. Ein Stück Erinnerung und eine Mediengeschichte.
Die schöne Norwegerin teilte es mir zuerst mit. Die Grafikerin in meinem Büro, mit der ich schon lange hatte sprechen wollen, wozu ich aber zu scheu war. «Ein Flugzeug ist ins World Trade Center geflogen», sagte sie. «Mein Freund beobachtete es vom Fenster aus.» Sie hat einen Freund? Sicher ein Kleinflugzeug, eine Piper, war der zweite Gedanke. «Was für ein Flugzeug?» «Keine Ahnung», sagte sie und verschwand.
Sofort rief ich in Zürich an, auf der Redaktion von «Facts». «Schmitt», meldete sich der Blattmacher. «Ein Flieger steckt im World Trade Center, willst du eine Geschichte dazu?» «Ist etwas weit weg von der Schweiz, vielleicht eine halbe Seite.» mehr

dekkers_170“Jeden Tag wünsche ich mir, ich hätte etwas geahnt”
Die Terroristen von 9/11 lernten bei ihm das Fliegen: Rudi Dekkers, einst Millionär, heute mausarm. Ein Treffen in Florida. Er spreizt die Hände – und offenbart ein intimes wie ekliges Geheimnis. Alle seine Fingernägel sind vollständig abgenagt. «Ich nage nachts, wenn ich nicht schlafen kann.»

Schlafen kann Rudi Dekkers (55) seit zehn Jahren nicht mehr. Seit ihn am 12. September 2001 ein FBI-Agent frühmorgens anrief. Ererfuhr: Den Terroristen, die am Tag zuvor in New York Jets ins World Trade Center flogen, hatte er das Fliegen beigebracht. mehr

blocher_170Blochers Wahrheit
Seine Chancen, in den Ständerat gewählt zu werden, hält er selber für gering. Schuld gibt SVP-Stratege Christoph Blocher den Medien. Und er fordert, die Löhne der Bundesräte zu halbieren.
Wie viel sollte ein Nationalrat denn verdienen?
So viel, dass er halbtags arbeiten muss, keinesfalls mehr als 100000 Franken. Heute haben die Räte bezahlte Zeit für unnötige Sitzungen und zu viele Gesetze. Wir sollten zudem die Saläre der Bundesräte halbieren, von 500000 auf 250000 Franken.
Warum? Ein Bundesrat verdient weniger als CEOs grosser Firmen.
Das Bundesratsamt muss auch ein Ehrenamt sein. Ein Dienst am Land.
Dann kommen nur noch Reiche wie Sie rein?
Was? Kann einer mit 250000 Franken Lohn nicht anständig leben? Verdienen Sie denn mehr?
Leider nicht.
Können Sie anständig leben?
Es geht, ja.
Also, sehen Sie. Ein schweizerischer Bundesrat verdient mehr als der amerikanische Präsident.
Das stimmt.
Ich habe noch nie einen hungernden US-Präsidenten gesehen.
Gibt der US-Präsident das Amt ab, verdient er sehr viel mehr als ein alt Bundesrat.
Unsere Bundesräte können ja auch Reden für 50000 Franken halten.
Ein US-Präsident spricht nicht unter 200000 Dollar.
Wenn er Dumme findet, die das bezahlen, soll er dies tun. Aber es ist nicht gut, wenn die Leute wegen des Lohns Bundesrat werden. Die meisten verdienen jedenfalls als Bundesrat mehr als zuvor. mehr

probst_16020 Milliarden für Verdingkinder?
Jahrzehntelang profitierte die Schweiz von Verdingkindern. Jetzt fordern sie Geld. Ihnen stehen mindestens 20 Milliarden Franken zu.
Morgens um vier steigt Charles Probst aus dem Stroh, reibt sich die Augen, reckt den Rumpf. Er hustet, klettert barfuss die Leiter ­hinunter in den Viehstall, greift zur Mistgabel – und putzt hinter zwanzig Kühen dampfenden Dung weg.
Um sieben, Probst schuftet seit drei Stunden, bringt ihm der Bauer ein Stück beinhartes Brot. Er weicht es in Wasser auf, verschlingt es. Dann eilt er auf den Acker, spannt ein Pferd vor den Pflug, ruft «hü».
Das geschah 1938 auf einem Hof im Oberaargau. Acht war der Junge eben geworden. mehr

hossli_ermottiUm 12.06 Uhr steigt Ermotti auf die dunkle Bühne
Hustend eilt Sergio Ermotti die Treppe hoch, hält die Hand vor den Mund. Zwischen zwei Fingern hält er ein abgebissenes Salzgebäck. Er hat sich daran verschluckt. «Hello, Sir», grüsst ein Wächter und zieht für den UBS-Chef eine Spiegeltüre auf. Sie führt in den Empire Room, einen pompösen Saal mit gewölbter Decke im Erdgeschoss des Waldorf Astoria, des ehrwürdig abgetakelten Luxushotels an der Park Avenue in New York.
Zum «Investor Day» lädt die UBS an diesem trüben Donnerstag, zur Tagung für Investoren. mehr

kilchsperger170Strom im Kopf
Mit 38 erkrankte Daniel Kilchsperger an Parkinson. Bald schaffte er den Alltag nicht mehr ohne fremde Hilfe. Jetzt liegen zwei Drähte in seinem Kopf. Stromstösse erlauben ihm ein beschwerdefreies Leben.
Er setzt sich auf die Türschwelle, schiebt die Füsse in die Turnschuhe, schnappt mit beiden Händen die Schuhbändel. Im Nu ziehen die Finger sie zu perfekten Schlaufen.
Ohne fremde Hilfe schafft Daniel Kilchs­perger wieder die Banalität des Alltags.
Vor drei Monaten noch hatte er steife Glieder. Der linke Arm schlug mal aus, mal hing er einfach runter. Kaum kontrollieren konnte er die Finger. Zwanzig Minuten brauchte er, um die Socken überzustreifen. mehr

christian_stiefel_170Herr über 635 Milliarden
Wie bescheiden die Schweiz zuweilen ist, zeigt der Weg zu den Einflussreichen. Mitten ins behäbige Bern führt er, vorbei am billigen asiatischen Take-Away – Menü: Fr. 8.80 –, hinauf zur zweiten Etage, ins schlicht möblierte Büro.
«Grüezi», grüsst Christian Stiefel (54), ein kräftiger Mann mit solidem Händedruck, der Anzug sitzt, ohne allzu edel zu sein. Ab Januar führt er die Swissholdings, den Verband der Industrie- und Dienstleistungskonzerne in der Schweiz.
Eine geballte Macht vertritt Stiefel – die wichtigsten Unternehmen der Schweiz. Riesen wie Roche und Novartis, Nestlé, Schindler oder Sulzer. Allesamt Firmen, die weltweit tätig sind. Darunter viele, die ihre Muttergesellschaft in den USA haben und von der Schweiz aus Geschäfte in Europa lenken. mehr

blocher_hossli_170Begegnung mit einem Verlierer, der ein Sieger sein will
Wer den Verlierer nach der Niederlage trifft, erwartet eine gebrochene Figur. Dazu Einsicht, vielleicht Demut – und den Willen, eigene Fehler einzugestehen.
Eine Erwartung, die sich im dritten Stock des Bundeshauses rasch zerschlägt. Höchst agil und selbstsicher begrüsst SVP-Nationalrat Christoph Blocher Reporter und Fotograf, lädt zum Espresso aus dem Plastikbecher ins karge Sitzungszimmer der SVP. An den Wänden hängen alte Wahlplakate, im Regal stehen Bierdosen. mehr

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