Russe verunglimpft Schweiz, Amerikaner werden beschuldigt

Die «New York Times» mache aus Schweizern Nazis, berichtet die Website von «20 Minuten». Sie publiziert eine angeblich amerikanische Karikatur, auf der ein Biedermann das Schweizerkreuz zu einem Hakenkreuz veranstaltet. Nur: Die Zeichnung erschien in den USA nicht. Sie stammt aus Russland.

Als «Pickel auf einem Elefantenarsch» bezeichnet ein erzürnter Leser von 20minuten.ch die «New York Times». Der Grund: Die Website der grössten Schweizer Zeitung publizierte am Montagabend unter der Schlagzeile «New York Times macht aus Schweizern Nazis» eine Karikatur, die am 15. Oktober im US-Weltblatt erschienen sein soll. Die Zeichnung zeigt einen älteren Mann mit Hut und Mantel, der mit seinem Regenschirm auf eine Wand zeigt, auf der ein Schweizerkreuz zu einem Hakenkreuz verunstaltet worden ist. «Das Image der Schweiz im Ausland ist schwer angeschlagen», schreibt 20minuten zum Ausriss.

Verständlicherweise lieferten sich 20minuten.ch-Leser just nach der Veröffentlichung eine hitzige Debatte. Innert weniger Stunden gingen im Forum nahezu 300 Kommentare ein. Eine Mehrheit davon beschuldigt die SVP, das Image der Schweiz weltweit getrübt zu haben. Viele Schreiber kritisieren überdies die USA und die «New York Times.» Der Eintrag mit der Karikatur rangierte zuoberst auf der Liste der meistgelesenen 20minuten-Artikel.

Regelmässige «New York Times»-Leser fragten sich jedoch sofort: Ist das eine Fälschung? Nie publiziert die «New York Times» eine Karikatur neben so viel Weissraum. Stattdessen erscheinen Zeichnungen in enger optischer Verbindung mit Kommentaren. Die Meinungsseite der Zeitung ist jeweils schlicht betitelt mit «Op-Ed», nicht wie auf dem publizierten Ausriss zu sehen mit «Opinion & Commentary». Wer am 15. Oktober die Zeitung durchblättert, findet nirgends ein verunstaltetes Schweizerkreuz. Und: Kennen US-Zeichner tatsächlich die Figur des Biedermanns?

Bei der Schweizer Botschaft in Washington – wo die Schweizberichterstattung in den US-Medien genau beobachtet wird – reagiert man erstaunt auf den 20minuten-Eintrag. «Wir haben diese Karikatur in der New York Times nicht gesehen», sagt Pressesprecherin Emilija Georgieva auf Anfrage. «Wir wissen nicht woher dieses Material stammt.»

Eine Nachfrage bei der «New York Times» bringt etwas Licht ins Dunkel. Pressesprecherin Catherine Mathis sagt, sie hätte die Druckversionen der «New York Times» geprüft. «Diese Karikatur ist darin nicht erschienen.»

Weitere Recherchen ergeben: Der Autor der Karikatur ist der in Moskau lebende russische Zeichner Sergei Tunin. Sein Werk wird vertrieben über die Cartoon-Syndication der New York Times Company. Hunderte von Zeitungen haben Zugang zu Tunins Arbeit. Besagte Zeichnung wird seit dem 8. Oktober vertrieben.

Klärung bringt eine Nachfrage bei 20Minuten.ch Die Karikatur erschien nicht in den USA, sondern im «New York Times International Weekly», ein Supplement, das weltweit Zeitungen wie «Le Monde», «El Pais», der «Süddeutschen Zeitung» oder dem «Bulletin of the Philippines» beigelegt werden. «New York Times»-Sprecherin Mathis bestätigt die Veröffentlichung der Karikatur in der Beilage. «Unsere erste Meldung war wohl etwas missverständlich, wir haben das nun korrigiert», sagt der Chef von 20Minuten.ch, Peter Wälty. Nachdem sich ein amerikanischer Hossli.com-Leser bei 20Minuten.ch beschwerte.

Co-Reporting: Marc Neumann