Verzweifelte Mutter: Halimo (35) ist im neunten Monat schwanger und ihre Tochter Hamda (2) stark unterernährt.
«Wir haben alles verloren»
Schlimmste Dürre in Afrika seit 70 Jahren. Darunter leider vor allem Kinder und Mütter.
Verzweifelte Mutter: Halimo (35) ist im neunten Monat schwanger und ihre Tochter Hamda (2) stark unterernährt.
Sie nimmt ihr Baby in die Arme und trottet davon. Einfach so. Weil Halimo (35) nicht mehr kann. Das Leben überfordert sie.
Sie lässt sich auf dem staubigen Boden von Ceeldheer nieder, einem Dorf im Osten von Somaliland. Und sie weint.
Halimo ist im neunten Monat schwanger. Jederzeit kann das Kind zur Welt kommen. Ihre Tochter Hamda (2) isst seit Tagen nichts mehr. Sie hat Durchfall, erbricht Nacht für Nacht. «Hamda muss gesund sein, bis das neue Baby zur Welt kommt», wimmert die Mutter. «Sonst sterben beide.»
Hamda ist akut unterernährt wie schätzungsweise 40’000 Kinder in Somaliland. Hinzu kommen 280’000 Kinder, die starken Hunger leiden.
«Die schlimmste humanitäre Krise seit 70 Jahren»
Zuerst sterben die Tiere, dann die Menschen: Ein Kamel vermodert in der Steppe von Somaliland.
Die Mutter legt ihr Kind vor sich in den Sand. Als wolle sie ihm sagen: Es geht nicht mehr, vielleicht ist es besser, du stirbst. Eine Mitarbeiterin des Hilfswerks Save the Children setzt sich zu Halimo, redet mit ihr. Schliesslich nimmt die Mutter die Tochter wieder zu sich und schliesst sie in die Arme.
Die Mutter ist der Verzweiflung nahe, weil die Zweijährige die Erdnussbutterpaste nicht isst, die sie im Feldspital von Save the Children erhalten hat. Seit zwei Wochen betreibt das Hilfswerk in Ceeldheer diese mobile Klinik, in Somaliland gibt es 19 davon. Rund 20’000 Menschen fanden so bisher medizinische Hilfe.
Die Feldspitäler sollen verhindern, dass hungernde Kinder wie Hamda in Spitalpflege müssen. Pfleger messen und wägen Neugeborene und Teenager. Ärzte untersuchen sie, verschreiben Medikamente, Apotheker geben sie aus.
Hamda ist zu klein, zu leicht, zu dünn
Der Warteraum befindet sich im Freien. Mütter und Töchter tragen lange bunte Kleider, die Söhne kurze Hosen und T-Shirts. Eine Krankenpflegerin misst den Umfang von Hamdas Ärmchen, notiert Gewicht und Grösse auf ein Krankenblatt. Fazit: Hamda ist zu klein, zu leicht, zu dünn.
Warteraum des Feldspitals in Somaliland: Halimo wartet im freien, bis sie ihre geschwächte Tochter Hamda einem Arzt zeigen kann.
Fünfzig Ziegen besass ihre Mutter vor einem Jahr. Mit deren Milch und Fleisch ernährte sie ihre fünf Kinder. Brauchte sie etwas, verkaufte sie eine Ziege. Die Dürre, bereits im dritten Jahr, raffte das Vieh dahin. Nun hat Halimo nichts mehr.
Höchstens eine Mahlzeit am Tag
Längst isst ihre Familie nur noch Reis, höchstens einmal pro Tag. Den Kindern fehlen wichtige Nährstoffe, deshalb ist Hamda krank.
Ihre Mutter trägt sie in den Behandlungsraum mit drei Tischen: Links sitzt der Arzt, ganz rechts die Hebamme. Beide untersuchen Mutter und Kind, verschreiben Medikamente. In der Mitte sitzt der Apotheker, dem Halimo die Rezepte zeigt. Er händigt ihr Pulver und Pille aus.
Hamda ist zu schwach, um zu essen
Draussen erhält die Mutter Erdnusspaste im Beutel und kalorienreiche Biscuits. Sie wäscht ihre Hände, reisst den Beutel auf, drückt Paste raus. Die Kleine nimmt einen kleinen Bissen, trinkt ein bisschen Wasser. Aber sie ist viel zu schwach, um zu essen.
Zu schwach, um zu essen: Halimo versucht ihrer Tochter Hamda Erdnusspasta zu füttern.
Die Mutter versucht es ein zweites Mal. Vergeblich drückt sie dem Mädchen Paste in den Mund. Hamda mag nicht essen.
Muss das Kind ins Spital? Die Frage des Reporters ist zu viel für die Mutter. Weinend geht sie davon.
Männer helfen kaum
Später erzählt sie, wie sehr die Dürre das Leben aller verändert hat. «In den letzten zwölf Monaten haben wir alles verloren.» Halimo ist auf sich allein gestellt. Ihr Mann arbeite kaum, er hilft ihr nicht mit den Kindern. «Klar möchte ich, dass er mir hilft», sagt Halimo. «Männer tun das hier nicht.»
Männer zeugen Kinder in Somaliland. «Unter der Dürre leiden die Frauen besonders», sagt Hebamme Ayan (25). Sie behandelt Halimo. «Sie gebären viel mehr Kinder», sagt sie. Weil ein natürliches Verhütungsmittel wegfällt: das Stillen.
Viele Mütter sind zu schwach, um zu stillen. Das verringert den Abstand zwischen den Geburten. Viele bringen alle zwölf Monate ein Kind zur Welt. «Die Männer akzeptieren es nicht, wenn ihre Frau mal Nein sagt», so Ayan. Zudem liege der Fokus jetzt auf der Dürre, für Familienplanung und Verhütungskurse habe niemand Zeit.
Halimo steht auf, hält ihre Tochter fest bei der Hand. «Sie muss überleben», sagt sie. «Und wenn sie es tut, wird sie Ärztin.»
Bald eine Ärztin? Halimo wünscht sich für ihre Tochter eine bessere Zukunft.