Bundesrat Didier Burkhalter auf der Terrasse des Kursaals in Bern.

“Reisen Sie ruhig als Journalist in die Türkei”

EDA-Chef Didier Burkhalter appelliert an die Politik, die humanitäre Hilfe für die Hungerkrise in Afrika zu erhöhen – und den Konflikt mit der Türkei zu entspannen.

Peter Hossli (Text) Pascal Mora (Fotos) 25.03.2017 Blick

Bundesrat Didier Burkhalter auf der Terrasse des Kursaals in Bern.

Herr Bundesrat, die Welt redet über Trump und Erdogan. Warum nicht über die 20 Millionen Afrikaner, die wegen einer schlimmen Dürre derzeit Hunger leiden?
Didier Burkhalter:
Eine gute Frage. Die Verhältnismässigkeit ist abhandengekommen. Spannungen scheinen mehr zu packen. Es ist offenbar einfacher, über Konflikte zwischen Regierungschefs zu reden als über die furchtbaren Dinge, die in vielen Ländern passieren.

Warum interessieren Populisten uns mehr als hungernde schwarze Kinder?
Die Krisen der letzten Jahre haben viele Menschen müde gemacht. Zumal es offenbar keine Lösungen gibt. Nehmen Sie die Ukraine oder Syrien. Es ist schrecklich, was ich jetzt sage: Daran hat man sich gewöhnt.

In Afrika ereignet sich die schlimmste humanitäre Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs …
Wir Politiker stehen in der Pflicht, darüber müssen wir reden und zeigen, was passiert. Und die Schweiz ist bereit zu helfen, das spüre ich bei den Menschen.

Aber was ist zu tun?
Es braucht so rasch wie möglich humanitäre Hilfe. Wir organisieren deshalb in Genf auf Bitte der Uno eine internationale Geberkonferenz für den Jemen. Aber es braucht nicht nur Nothilfe. Es ist wichtig, dauerhaft in diesen Regionen zu sein. Wir haben deshalb die Mittel für die betroffenen Regionen erhöht.

Die Schweizer sind bereit, das zu bezahlen?
Für die humanitäre Hilfe finden sich im Parlament Mehrheiten, bei der Entwicklungshilfe ist es manchmal schwieriger. Wenn wir beides zusammen einsetzen, kurz- und langfristige Massnahmen verbinden, können wir wirklich etwas bewegen.

Genau vor einem Jahr sagten Sie, alles andere als Frieden in Syrien sei eine Katastrophe. Warum haben wir immer noch keinen Frieden?
Weil wir zu viele unterschiedliche Interessen und zu wenig Vertrauen haben. Aber die letzte Gesprächsrunde in Genf verlief besser als erwartet. Jetzt müssen wir noch härter für eine friedliche Lösung arbeiten.

Die Waffen sind ruhiger geworden. Die Schweiz prüft, ein Büro für humanitäre Hilfe in Damaskus zu eröffnen. Wann ist das möglich?
Wir sind auf gutem Weg, aber ein Datum kann ich nicht nennen. Es ist ein Hürdenlauf, aber wir wollen das für die Menschen vor Ort machen.

Aus europäischer Sicht ist die Frage der syrischen Flüchtlinge zentral. Wie stabil ist das Flüchtlingsabkommen zwischen Europa und der Türkei?
Das Abkommen ist relativ stabil. Aber die Spannungen zwischen der Türkei und Europa machen alles ziemlich gefährlich. Umso wichtiger ist, dass wir uns dafür einsetzen, etwas Ruhe und Vernunft in die Diskussion zu bringen.

Wie erklären Sie die verbale Eskalation zwischen europäischen und türkischen Politikern?
Ehrlich gesagt, hat sie mich überrascht. Verantwortlich sind die Wahlen in den europäischen Ländern und die Abstimmung in der Türkei. Erstaunlich ist die Geschwindigkeit, wie es zu den Spannungen kam.

Hat Ihr jüngstes Treffen mit dem türkischen Aussenminister die Situation entspannt?
Die Spannungen waren Teil der Diskussion, vor allem die harschen Worte, die fielen. Jetzt muss wieder Normalität einkehren.

Ist das überhaupt noch möglich?
Ja. Ich teile die Meinung des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier dazu: Die Türkei ist ein Land, das in den letzten Dekaden sehr wichtige Fortschritte gemacht hat. Jetzt ist eine gefährliche Zeit, und viel könnte verloren gehen. Nun müssen alle verantwortlichen Personen einen Beitrag zur Vernunft beisteuern.

Nationalräte der Aussenpolitischen Kommission werfen Ihnen vor, Sie hätten beim Anberaumen des Treffens eigenmächtig gehandelt und sie nicht vorab informiert.
Die inhaltliche Diskussion haben wir am Montag geführt. Und dann kam alles sehr kurzfristig zustande. Aussenminister Mevlüt Cavusoglu war in Washington, ich in Paris. Es war unsicher, ob wir uns überhaupt treffen können. Es ist aber wichtig, den Dialog zu intensivieren.

Wie intensiv ist er?
Wir sehen uns fast jeden Monat, telefonieren regelmässig. Normal ist, dass zwei Aussenminister in einer abnormalen Situation mehr Kontakte haben. Man muss miteinander reden und nicht aneinander vorbei.

Über was haben Sie gesprochen?
Über vieles: die kurdische Frage, unsere Sorge über die vielen Entlassungen und Verhaftungen, über die Todesstrafe in der Türkei und dass wir keine geheimdienstlichen Aktivitäten wollen in der Schweiz.

Ist es okay, wenn türkische Politiker in der Schweiz Werbung machen?
Der Rahmen dafür sind die Meinungsäusserungsfreiheit, die Sicherheit und die Einhaltung des Rechts. Alles darf nicht gesagt werden. Ist die Sicherheit gefährdet, geht das nicht. Die vermuteten nachrichtendienstlichen Tätigkeiten der Türkei sind nicht zulässig.

Haben Sie das dem türkischen Aussenminister gesagt?
Das habe ich ihm mehrmals gesagt.

Die Türkei lässt kritische Journalisten verhaften. BLICK rief Türken in der Schweiz zu einem Nein zur neuen Verfassung auf. Raten Sie mir davon ab, als Journalist in die Türkei zu reisen?
Nein, reisen Sie ruhig in die Türkei. Das muss möglich sein. Ihre Frage ist aber sehr wichtig. Denn wenn wir Schweizer die Meinungsfreiheit hochhalten, dann können wir von den anderen Ländern erwarten, dass sie das ebenfalls tun. Auch von der Türkei.

Was ist Ihre Prognose – wird die neue türkische Verfassung angenommen?
Anfänglich schien es, es gebe ein Nein. Aber die Konflikte mit Deutschland und den Niederlanden könnten die Stimmung kippen.