Mit Gespür für die Sache der Frau

Vor fünfzig Jahren wurde in der Schweiz das Frauenstimmrecht angenommen – auch dank der Kampagne von Doris Gisler Truog. Der Kniff der heute 93-jährigen Werberin: Einen versöhnlichen Ton anschlagen, der die Männer zum Umdenken bringt.

Peter Hossli (Text) Mara Truog (Fotos) 07.02.2021

Vor ihr auf dem Tisch liegt ein blaues Wahlplakat. Es zeigt eine kräftige Hand, die einen zarten Strauss Blumen reicht. Dazu der Slogan «Den Frauen zuliebe – ein männliches JA».

«Das war meine beste Kampagne», sagt Doris Gisler Truog. Ganz in Rot gehüllt, sitzt sie am Esstisch in ihrem Haus in Meilen am Zürichsee. «Sie gefällt mir gut, weil alles aus einem Guss entstanden ist.»

Was sie nicht sagt: Vermutlich hat keine andere politische Kampagne die Schweiz stärker verändert. Sie hat massgeblich dazu beigetragen, dass Schweizerinnen und Schweizer heute gleichberechtigt sind. Doris Gisler Truog ist die Mutter der Werbung, die vor fünfzig Jahren zur Annahme des Stimm- und Wahlrechts für Frauen führte. Die Kampagne war ihre Idee, sie setzte sie um, sie schrieb die Texte.

«Ganz ohne Mann ging es nicht», fügt sie an. Ihr Mann habe damals ein Detail vorgeschlagen. Er riet ihr, im ursprünglichen Text «Den Frauen zuliebe – ein kräftiges JA» das «kräftig» durch «männlich» zu ersetzen. Sie nahm das gern an. «Das war eine entscheidende Verbesserung.» Alles, was ihr wichtig gewesen sei, bringe der Satz zum Ausdruck. «Ich wollte die Männer freundschaftlich und sachlich ansprechen, ohne sie lächerlich zu machen.»

Doris Gisler Truog in ihrem Garten in Meilen.

Anfang Jahr ist Doris Gisler Truog 93 Jahre alt geworden. Sie gilt als «Grand Old Lady» der Schweizer Werbung und überzeugt mit körperlicher wie geistiger Vitalität. Elegant führt sie durch ihren Garten, detailreich erzählt sie von früher. Wie sie als Kind während des Kriegs bei Sirenenalarmen in den Luftschutzkeller musste. Dass amerikanische Soldaten, die nach Kriegsende in Zürich weilten, bei ihr als Befreier Europas eine Bewunderung für die USA hinterliessen.

Doris Baggenstoss war 17 und frisch verliebt, als im Mai 1945 der Zweite Weltkrieg endete. Das Frauenstimmrecht sei damals noch kein grosses Thema gewesen. Obwohl manche Frau gehofft hatte, ihr Einsatz in den Kriegsjahren würde mit politischen Rechten abgegolten werden. Längst konnten amerikanische, deutsche oder skandinavische Frauen wählen. Doris trat dem Frauenstimmrechtsverein bei. «Nicht weil ich unterdrückt worden wäre. Männer haben mich immer gut behandelt und oft gefördert, aber ich dachte, die Gleichberechtigung sei doch normal.»

Ihr war es wichtig, eigenes Geld zu verdienen. Sie wollte schreiben, fabulieren, erzählen, sie wollte Journalistin werden. Ihre Mutter hielt dies für eine brotlose Sache und schickte sie in eine kaufmännische Lehre. Eine erste Stelle erhielt sie beim «Schweizer Heim», dem Schwesterheft der «Schweizer Familie». Als eine Redaktorin schwanger wurde, sprang sie ein, blieb und betreute drei Jahre lang die Frauenseiten beider Zeitschriften. Danach übernahm sie als Redaktorin die neue Schweizer Ausgabe der französischen Frauenzeitschrift «Elle».

Mit 24 heiratete sie den Werber Kaspar Gisler, machte sich als Journalistin selbständig und entwickelte ein Flair für Werbetexte. Mit wenig Worten viel sagen und Menschen direkt ansprechen – das gefalle ihr.

Mitte der 1950er-Jahre gründete sie mit ihrem Mann die Werbe- und Public-Relations-Agentur Gisler & Gisler. Der erste grosse Kunde war die Schweizer Käseunion. Kaspar Gisler verfasste einen Spruch, den noch heute viele kennen: «Figugegl – Fondue isch guet und git e gueti Luune.» Ihre Kundenliste liest sich wie das Abbild der Schweizer Wirtschaft: Valser, Bankgesellschaft, Feldschlösschen, Migros. «Wir waren nie abgehoben, sondern nah an den Menschen», erklärt sie den Erfolg. «Unsere Texte waren für echte Menschen gedacht, nicht für Werber.»

Freundliches Sensibilisieren der Männer für Frauenanliegen: Flyer von Doris Gisler Truog zur Abstimmung in der Stadt Zürich 1969.

Zur Kampagne für das Frauenstimmrecht kam sie wegen ihres «losen Mundwerks», wie sie sagt. Im Beisein des damaligen Zürcher Stadtpräsidenten Emil Landolt sprach sie mit Journalisten über die missglückte Kampagne zum Frauenstimmrecht 1966 in Zürich.

Sie schimpfte über die Werbung, die Männer zu Feindbildern stempelte und auf Plakaten eine unglücklich wirkende Frau in der Uniform des Frauenhilfsdiensts zeigte. Tollkühn behauptete sie: «Mit einer besseren Kampagne hätte man diese Abstimmung gewinnen können.»

Stadtpräsident Landolt, der sich unermüdlich für Gleichberechtigung einsetzte und bei der nächsten Zürcher Abstimmung wiederum dem Aktionskomitee vorstand, rief sie Jahre später an: «Du hast doch behauptet, dass das Frauenstimmrecht mit guter Werbung durchzubringen wäre. Willst du es jetzt beweisen?» Sie wollte.

Gisler Truog bietet Kaffee an. Sie beschreibt sich als «eher laue Frauenrechtle rin». Gerade deshalb habe sie der Frauenstimmrechtsbewegung neue Impulse geben können. Als Werberin, die es liebt, etwas zu verkaufen. Sie zog sich zurück und dachte sich eine Strategie aus. Niemand durfte ihr reinreden, was ungewöhnlich war für jene Zeit, in der Teamarbeit wichtiger war als Einzelne. «Ich sagte: ‹Das wird genau so umgesetzt, wie ich es entworfen habe.› Zum Glück war ich Chefin.»

Die Texte verfasste sie am Gartentisch, wobei sie sich vorstellte, einen befreundeten Journalisten vom Frauenstimmrecht überzeugen zu müssen. «Ich wollte eine positive Kampagne machen, ohne die Männer zu beschimpfen», sagt sie. «Es sollte versöhnlich sein.»

Gezielt sprach sie den männlichen Stolz an und fragte die Männer auf einem Flyer: «Verlangen wir zu viel von euch?» Sie appellierte an deren Charakterstärke: «Liebe Männer: bitte seid gerecht!»

Statt Streit wollte sie Zuversicht verbreiten. Was nicht bei allen Frauen ankam. «Einige warfen mir vor, die Kampagne sei zu liebenswürdig», sagt Gisler Truog. «Dabei war das der Schlüssel zum Erfolg. Hätten wir aggressiv geworben wie zuvor, hätten wir erneut verloren.»

Ihre Ziele waren klar: Befürworter an die Urne zu bringen; unentschlossene und gleichgültige Männer aufmerksam zu machen; und mit etwas Charme den Gegnern das Umdenken zu erleichtern.

Ihr Plan ging auf. Im Herbst 1969 nahm die Stadt Zürich die Vorlage an, mit 40 743 Ja-Stimmen zu 21 635 Nein-Stimmen. Das Zürcher Resultat hatte Signalwirkung auf die ganze Schweiz. Gisler ergänzte ihre Werbung für die kantonale und die nationale Abstimmung mit Ansteckknöpfen und Plakaten mit dem Slogan «Es bleibt beim Ja!». Der Kanton Zürich sagte im Herbst 1970 Ja, der Bund am 7. Februar 1971. Stets hingen Plakate mit Gislers Strauss.

Mehr verändert als gedacht
Ihr Mann starb 1971 bei einem Autounfall. Fortan zog sie ihre beiden Töchter alleine auf und führte dazu die damals grösste Werbeagentur der Schweiz. Bis sie sich in den 1980er-Jahren beruflich zurückzog. Später heiratete sie den Psychiater und Bildhauer Arnold Truog, mit dem sie vorher 17 Jahre befreundet war und bis heute eine glückliche Ehe führt.

Die Annahme des Frauenstimmrechts sei «ausgesprochen wichtig» gewesen, sagt sie. Es habe «mehr verändert, als ich dachte». Nicht politisch, sondern persönlich. «Frauen stimmen gleich ab wie Männer, aber das Lebensgefühl ist für uns anders geworden.» Seither musste sie nicht mehr mit einem Mann ins Gemeindehaus, um etwas zu erledigen. «Man fühlt sich als Frau plötzlich ganz.»

In der aktuellen Debatte zwischen den Geschlechtern nerve sie etwas: «Die Tendenz, dass die Männer ständig angegriffen werden», so Gisler Truog. «Es wäre doch wichtig, dass alle am gleichen Strick ziehen.»

Seit 1991 verheiratet: Psychiater und Bildhauer Arnold Truog und Doris Gisler Truog.