Die Schwesternschaft Alpha Kappa Alpha organisiert einen Lauf im Rock Creek Park in Washington D.C.
Kamalas Armee von Schwestern
Die Schwesternschaft Alpha Kappa Alpha organisiert einen Lauf im Rock Creek Park in Washington D.C.
Es ist warm in Washington D. C. Hillary Bree klappt einen Tisch auf, bedeckt ihn mit einem weissen Tuch und reiht darauf Lipgloss auf. Zwischen 11 und 15 Dollar kosten die Kosmetika, die sie in ihrer Studentenwohnung herstellt und auf dem Campus der Howard University verkauft.
Bree hat gerade angefangen, Medizin zu studieren. Sie ist 18, Unternehmerin, und unternimmt alles, damit Kamala Harris, 60, nächste US-Präsidentin wird. Oder wie Bree es ausdrückt: «Meine Schwester ganz oben.»
Die beiden kennen sich nicht, und doch verbindet sie vieles. Wie Bree hat Harris an der Howard University studiert. Wie Bree ist Harris eine kluge schwarze Amerikanerin, die hier in Washington zu ihren Wurzeln fand.
Und beide wollen alles erreichen. Solche Frauen gibt es Hunderttausende. Sie haben die Howard University besucht und sich der legendären Schwesternschaft Alpha Kappa Alpha (AKA) angeschlossen. Sie bilden die geheime Armee der demokratischen Präsidentschaftskandidatin.
Harris nennt sie «meine Familie»: aufgeweckte und selbstbewusste Afroamerikanerinnen, die sie ins Weisse Haus tragen sollen. Und dafür viel tun. Millionen von Dollar haben sie bereits für ihren Wahlkampf gesammelt. Im ganzen Land mobilisieren sie Wählerinnen und Wähler, telefonieren, texten und verbreiten die Botschaft der Kalifornierin über die sozialen Medien.
Studentin Hillary Bree (links) verkauft Lip Gloss aus eigener Herstellung an der Howard University.
Ja, sie sei etwas aufgeregt, gesteht Hillary Bree. Dieses Jahr wählt sie zum ersten Mal. «Und ich glaube, ich werde an der Geschichte mitschreiben.» Sie war noch ein kleines Kind, als Barack Obama, 63, 2009 ins Weisse Haus einzog. «Ich erinnere mich, dass im Fernsehen ein Mann sprach, der aussah wie die Männer in meiner Familie.» Das habe sie geprägt. «Regiert bald eine Frau die USA, eine schwarze Frau, dann ist klar: Selbst für schwarze Frauen ist wirklich alles möglich.»
Sie hat Ambitionen, will Hautärztin werden und einen Kosmetikkonzern aufbauen. Ihr Ansporn? Den gibt ihr Harris. «Kamala zeigt: Wenn du dich anstrengst, kannst du alles erreichen.» Schwarze Frauen müssten in den USA zehnmal härter arbeiten, um ihre Träume zu verwirklichen. «Mit Präsidentin Harris würde sich das ändern», glaubt Bree. «Ihre Wahl wird beweisen: Wir stehen auf derselben Ebene.»
Bree wuchs in Florida auf und besuchte Schulen, an denen die meisten Mädchen glattes Haar, blaue Augen und schmale Hüften hatten. Sie selbst hatte lockiges Haar, war dunkelhäutig, etwas pummelig und hatte dicke Lippen. «Sie haben mich gehänselt, und als ich die besten Noten der Klasse hatte, wurde ich zur Aussenseiterin.»
Die Howard University in Washington D.C.
Bree schrieb sich an der Howard University ein, dem historisch schwarzen College, das oft als «Mekka afroamerikanischer Kultur und Bildung» bezeichnet wird. Schon die Schriftstellerinnen Toni Morrison und Zora Neale Hurston oder New Yorks erster schwarzer Bürgermeister David Dinkins haben hier studiert.
Und eben Vizepräsidentin Kamala Harris. Sie wuchs in Berkeley bei San Francisco im indischen Umfeld ihrer Mutter auf. An der Howard University fand sie zur schwarzen Identität ihres jamaikanischen Vaters. Bei der Schwesternschaft Alpha Kappa Alpha knüpfte sie ein dichtes Netzwerk, auf das sie noch heute zurückgreift. Sie trägt gern die Farben der AKA: Apfelgrün und Lachsrosa.
Am Rand des Campus erinnert ein in Eisen gegossenes Ahornblatt an die Gründung der AKA am 15. Januar 1908. Es war die erste Studentenverbindung für schwarze Frauen, entstanden ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der Sklaverei in einer Zeit, in der schwarze Frauen kaum über die Grundschule hinauskamen. Seither unterstützen sie einander – als Ärztinnen, Wissenschaftlerinnen, Anwältinnen.
Die Jazzsängerin Ella Fitzgerald war ebenso AKA-Mitglied wie die schwarzen Nasa-Mathematikerinnen Katherine Johnson, Dorothy Vaughan und Mary Jackson, die für die ersten Mondlandungen unverzichtbare Berechnungen anstellten. Frauen aus einfachen Verhältnissen, die es zu etwas brachten. Rund 360 000 Mitglieder zählt die Schwesternschaft, alle stehen geschlossen hinter Harris.
Sharon Barry vor ihrem Haus in Maryland.
Eine von ihnen ist Sharon Barry, 62. Sie lebt in einem schmucken Haus in einem Vorort von Washington. In ihrer Stube hängen Familienfotos, die bis in die Zeit der Sklaverei zurückreichen. Sie trägt ein rosafarbenes T-Shirt, das Rosa Parks gewidmet ist – der Bürgerrechtlerin, die verhaftet wurde, weil sie 1955 einem Weissen ihren Platz im Bus nicht abgeben wollte. «Wir haben alles hervorgebracht», sagt Barry. «Künstlerinnen, Politikerinnen, Unternehmerinnen – nur noch keine Präsidentin.»
Ihre Eltern waren einst aus dem Süden nach Ohio gezogen, weil General Motors ihnen dort gut bezahlte Jobs angeboten hatte. An der Howard University habe sie «Freundinnen fürs Leben» gefunden, wie Barry sagt. Kamala Harris sei «my girl». Gleiches Alter, gleicher Campus, gleiche Schwesternschaft. «Wir assen im selben Café, sangen die gleichen Lieder, lasen die gleichen Bücher – es macht mich stolz, sie oben zu sehen.»
Zumal das nicht selbstverständlich ist. Es gab andere Politiker, die Präsident Joe Biden, 81, ersetzen sollten. Dass die Demokraten Harris zur Präsidentschaftskandidatin kürten, sei «mehr als eine göttliche Intervention», sagt Barry. «Wir schwarzen Frauen sagten klar: Ihr könnt Kamala nicht übergehen, sonst wählen wir nicht.»
Die Worte haben Gewicht. Schwarze Frauen sind die treueste Gruppe der Demokraten. Sie haben Bill Clinton, Barack Obama und Joe Biden zum Sieg verholfen. «Wir wollten Kamala, das mussten sie akzeptieren.» Wird sie gewinnen? «Ich bin vorsichtig optimistisch.» Warum vorsichtig? «Hey, das ist Amerika, da kann immer was passieren. Wir werden seit Jahrzehnten gehindert, unsere Stimme abzugeben.»
Wenn Harris ins Weisse Haus einzieht? «Sie wird keine perfekte Präsidentin sein, aber sie wird die Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika sein, nicht des schwarzen Amerikas, nicht des Amerikas der Frauen.»
Olivia Butler, 33, Cameron Butler, 32, und Baby Lillian im Rock Creek Park in Washington D.C.
Der Rock Creek Park liegt am Stadtrand von Washington. Trotz Regen haben sich am Sonntagmorgen Hunderte Frauen versammelt, um fünf Kilometer durch den Park zu laufen. Viele tragen apfelgrüne und lachsrosa T-Shirts: Die Schwesternschaft organisiert den Lauf.
Olivia Butler, 33, geht mit ihrem Mann Cameron, 32, und ihrer einjährigen Tochter Lillian durch den Wald. Sie hat eine eigene Firma und organisiert Events. Wie Harris ist sie in der kalifornischen Bay Area aufgewachsen. An der Howard University sei sie hartnäckig geworden und habe gelernt, sich gegen Widerstände zu wehren. «Seit ich hier studiert habe, kann ich Risiken eingehen, weil ich ein Bewusstsein für unsere Geschichte habe.»
Vom ersten Semester an besuchen alle Vorlesungen über den Sklavenhandel und darüber, wie befreite Sklaven unterdrückt wurden. Über zerrüttete Familien, in denen Väter hinter Gittern statt bei ihren Kinder sind, über brutale Gangs und mangelnde Identität.
Die Sklaverei hinterliess einen Trümmerhaufen. «Die Howard University hat viel dazu beigetragen, aus diesen Trümmern etwas Neues aufzubauen», sagt Olivia Butler. «Wir erhalten hier ein Gefühl von Heimat, ein Gefühl, wieder irgendwo dazuzugehören.» Zu Gleichgesinnten, die sich unterstützen.
Sie blickt auf ihre Tochter, die ihr Mann im Babybjörn vor sich herträgt. «Wenn Kamala gewinnt, hat Lillian ein Vorbild, das mehrere gläserne Decken durchbrochen hat. Sie wird ihr nacheifern, weil sie weiss: Der Himmel ist wirklich die Grenze von allem.»
Tanzgruppe unter der Leitung der Howard-University-Studentin Christiana Copeland (rechts).
Über dem Howard-Campus liegt jugendliche Leichtigkeit. Unter einem Baum trifft sich eine Gruppe zu einer Diskussion. Alle reden über – «Kamala».
Sie sind stolz auf ihre Kommilitonin, weil sie hier herausgefunden hat, wer sie ist, und Spuren hinterlässt.
Christiana Copeland fällt auf: grün gefärbte Haare, ein enges, kurzes Kleid und Turnschuhe, in denen sie über den Howard-Campus tanzt. Laut dröhnt Musik aus einer Boombox. «Als Teenager hatte ich eine Identitätskrise», erzählt die 19-Jährige. «Ich war ständig von Weissen umgeben und habe mich immer angepasst.» Heute studiert sie Psychologie und führt eine Tanzgruppe an. «Die Leute sollen mit mir durch das Tanzen herausfinden, wer sie sind.»
In der Highschool galt sie als laut. Trotz besten Noten – überall eine Sechs – unterschätzten die Lehrer sie. «Sie behandelten mich herablassend, weil ich schwarz bin», sagt sie. «Hier an der Howard University kann ich die Person sein, die ich wirklich bin.»
Copeland hofft, dass ihre Universität bald so berühmt sein wird wie Harvard oder Princeton. «Wir sind vielleicht noch nicht in der gleichen Liga, aber wir sind genauso klug – und Kamala Harris ist der Beweis dafür.»
Schulvorstandskandidatin und Howard University Alumni T. Michelle Colson im Interview mit Reporter Peter Hossli.