Fifa-Generalsekretärin Fatma Samoura jongliert den Ball auf dem Fifa-Feld in Zürich.

“Ich hab nie mit Puppen ge spielt”

Fatma Samoura hat in 67 Ländern gelebt, hungernde Kinder ernährt und Wahlen beobachtet. Nun soll die Frau von Welt das angeschlagene Image des Weltfussballs aufbessern.

Peter Hossli (Text) Benjamin Soland (Fotos) 26.03.2017 SonntagsBlick

Fifa-Generalsekretärin Fatma Samoura jongliert den Ball auf dem Fifa-Feld in Zürich.

Eine Assistentin stellt eine Tasse Grüntee auf den Tisch. «Madame Samoura ist gleich hier», sagt sie.

An der Wand hängen schwarzweisse Fotos, die kickende Kinder am Strand zeigen. «Penalty» heisst sinnigerweise das Sitzungszimmer im ersten Stock des Fifa-Hauptgebäudes in Zürich. Durchs Fenster ist der Zoo zu sehen.

Den «Penalty» betritt Fatma Samoura (55) fünf Minuten verspätet. «Entschuldigen Sie», sagt die Fifa-Generalsekretärin. Die erste Frau, die den Weltfussballverband führt.

Sie trägt einen Hosenanzug, am Revers haftet das goldene Fifa-Logo. Ihr Händedruck ist kräftig, sie grüsst Französisch, sagt Sorry, weil sie nicht Deutsch spricht, sie könnte Italienisch, wir einigen uns auf Englisch.
«Ich bin Weltbürgerin», sagt sie. Eine globale Nomadin. In 67 Ländern hat sie gelebt. «Wenn ich nicht will, muss ich nirgends im Hotel schlafen, ich habe überall Freunde.»

Nun lebt sie in Zürich – «eine sehr schöne Stadt, für die ich zu wenig Zeit habe» –, ihre 14-jährige Tochter geht hier ans Gymi. Ein Sohn studiert in Spanien, ein anderer in Kanada. Ihr Mann besucht sie oft.

Wo ist ihre Heimat? «Auf der ganzen Welt», sagt Samoura. Zwei Länder seien ihr besonders nah: Madagaskar, die Insel an der Ostküste Afrikas, und Djibouti am Horn von Afrika. An beiden Orten war sie für die Uno unterwegs, überwachte dort Wahlen und linderte Hunger.

«Ein Zuckerschlecken» hingegen sei das Leben in der Schweiz. Im Vergleich zu Afghanistan und Nigeria, zum Tschad oder Äthiopien, wo Samoura lebte. «Hier funktioniert alles, meine Tochter ist erstmals in ihrem Leben allein mit öffentlichen Bussen unterwegs, zuvor brachten sie Chauffeure in gepanzerten Autos zur Schule.»

Untypisch ist ein solches Leben nicht für eine Diplomatin. 21 Jahre war die Senegalesin für die Uno tätig. Letztes Jahr berief sie Fifa-Präsident Gianni Infantino (47) überraschend zur Generalsekretärin. Die Reaktionen waren durchzogen. Infantino wolle sich mit ihr afrikanische Stimmen sichern. Eine Frau könne die angeschlagene Fifa kaum retten. Geschweige denn eine ohne Bezug zu Fussball. Alles falsch, sagt sie. «Ich bin seit 29 Jahren mit einem Fussballer verheiratet, da kann ich dem Fussball nicht ausweichen», sagt Samoura. «Wir schauen abends keine Filme, wir suchen im TV europäische und afrikanische Spiele.»

Fünf Jahre lebte sie in Rom, arbeitete am Sitz des WFP, des Welt­ernährungsprogramms der Uno. «Dort habe ich die Schönheit des Fussballs so richtig entdeckt. Du vergisst nie, wenn du mit 60 000 Tifosi im Stadion warst und siehst, wie 90-jährige Frauen sich begeistern.»

Samoura kam in Dakar zur Welt, der Hauptstadt Senegals, «dem langweiligsten Ort des Landes», sagt sie. «Dort sind die Menschen hochnäsig, blicken auf die ländliche Bevölkerung runter.» Das tue sie nicht.

Sie wuchs mit einer Schwester und sieben Brüdern auf. «Ich habe nie mit Puppen gespielt.» Mit sechs Jahren fing sie an zu kicken. «Meine Brüder wollten mich ins Goal stellen, aber ich habe mich geweigert, ich will Tore schiessen», so Samoura. «Ich wollte die Stürmerin sein.»

Sie trinkt Tee, spricht besonnen, selbstbewusst, wählt Worte bedacht. Bei Fragen zu Fussball wird sie zur Diplomatin, bei persönlichen gibt sie gern Auskunft.

Sie mag nicht sagen, wer aus ihrer Sicht der beste Spieler aller Zeiten ist. «Sage ich, welchen Fussball ich mag, weiss jeder, welches mein Lieblingsteam ist.» Sie möge afrikanischen Fussball «für das Ambiente, europäischen für die Technik». Welche Spiele mag sie? «Faire», was sie als Generalsekretärin sagen muss. Und holt doch zur Standpauke aus. «Heute lässt sich jeder fallen, ich mag das nicht. Heute spielt jeder auf Zeit, das mag ich nicht. Heute legen sich alle mit den Schiedsrichtern an, das mag ich nicht.»

Klipp und klar sagt sie, was sie nicht mag – selbst in einer Männerwelt. «Ich habe keine Komplexe. Bin ich im Recht, lasse ich es alle wissen.» Von zu Hause habe sie das. «Mein Vater half mir, eine starke Frau zu werden», so Samoura. «Er hat mir gesagt: du musst immer für deine Rechte kämpfen.» Nicht die Mutter, der Vater bereitete sie auf die Männerwelt vor. «Meine Mutter war die Freundin meiner Brüder, ich war die Freundin meines Vaters.»

Sport stählte sie zusätzlich. Sie spielte gegen Jungs Fussball, gegen Männer Tennis. Sie schwimmt, reitet, wirft Körbe. «Ich war immer die einzige Frau, ob ich Düngemittel verkaufte oder bei der Uno Millionen von Menschen vor dem Hungertod rettete.»

Nach 112 Jahren bei der Fifa die Herrschaft der Männer zu durchbrechen, sei nichts Besonderes. «Die Welt ändert sich, der Fussball öffnet sich der anderen Hälfte der Menschheit», begründet sie ihre Wahl. «Der Fussball akzeptiert Frauen.»

Das reiche ihr nicht. Sie will den Frauen-Fussball weiter fördern, bis 2026 sollen 60 Millionen lizenzierte Mädchen und Frauen kicken – und endlich mehr Geld erhalten. «Ich suche gezielt Sponsoren für Frauen», sagt die Generalsekretärin. «Heute finanziert die Männer-WM den Frauen-Fussball. Es ist mein Traum und mein Ziel, dass die WM der Frauen selbsttragend wird.»

Samoura hatte einen exzellenten Ruf in der Uno. Der Ruf der Fifa hingegen ist ramponiert. Ihr langjähriger Präsident Sepp Blatter (81) ist gesperrt, der Start von Nachfolger Infantino von negativem Beigeschmack begleitet.

Trotzdem folgte Samoura dessen Ruf. «Wegen seinen Reformen», sagt sie. «Und weil es nach solchen Fehlern nur besser werden kann. Die Vergangenheit hat uns eine Lektion erteilt, daraus lernen wir.»

Trotz allem, sagt sie: «Der Fussball und die Fifa sind nach wie vor sehr starke Marken.» Der Fifa gehe es besser als vor einem Jahr. «Aber es braucht noch viel Arbeit, um das ganze Vertrauen bei den Sponsoren ganz herzustellen, um die Moral beim Personal zu heben.» Sie betont: «Die Sponsoren sind wieder da.» Details nennt sie nicht. «Wir reden offen über Probleme, wir verringern das Risiko des Betrugs, es gibt bessere interne Kontrollen.»

Ihr Verhältnis zu Präsident Infantino sei «problemlos». Zumal die Rollen klar verteilt seien. «Der Präsident und der Fifa-Rat geben die Richtung vor, ich führe aus», so Samoura. Die Frau arbeitet, die Männer entscheiden? «Nein, sie geben die Richtung vor und ich arbeite mit 500 Menschen zusammen.»

Wie Samoura fing einst Blatter als Generalsekretär bei der Fifa an. Später wurde er Präsident. Ein Vorbild für Samoura? «Dafür bin ich zu alt, es ist nicht mein Ziel, Präsidentin zu werden. Eines Tages gibt es eine Fifa-Präsidentin.» Aber, sagt die Diplomatin diplomatisch. «Noch hat die Fifa ja einen Präsidenten.»

Sie schnürt sich die Fussballschuhe an, tritt auf den Rasen beim Fifa-Gebäude – und jongliert den Ball.