Holz auf Abwegen
Bündner Waldbesitzer verschachern ihr subventioniertes Holz zum Veredeln ins Ausland. Die Holzbauer kaufen es zu horrenden Preisen zurück. Ein Unternehmer will das ändern.
Es riecht nach nassen Fichten, Baumaschinen röhren. Funken sprühen. Es sind Funken, die «einen problematischen Zustand» beenden sollen, wie es Enrico Uffer sagt. Der Unternehmer führt über eine Baustelle am Dorfrand von Savognin GR. Auf ihr steht eine hohe Halle, auf dem blitzblanken Boden ist ein Sägeroboter ausgelegt. Bald wird er in 60 Sekunden Holzstämme zu Brettern filetieren. Ein Sägewerk entsteht.
Uffer redet Rätoromanisch, mit den Reportern aus dem Unterland spricht er Bündner Dialekt. Ein Skandal sei es, dass seine eigene Branche jahrelang nicht in Sägereien investiert habe und die Waldbesitzer gezwungen gewesen seien, «unsere Ressourcen viel zu billig ins nahe Ausland zu verkaufen». Das Holz, das an Hängen und entlang der Maiensässe wächst. «Nach dem Holzschlag verladen sie die Stämme auf Lastwagen und verscherbeln sie grösstenteils nach Italien, Österreich und Deutschland, statt sie hier zu veredeln», sagt Uffer, 51.
Weil ihn das ärgert und weil er sich als Holzbauer mitverantwortlich fühlt, will er den grotesken Kreislauf brechen. Mit dem Sägeroboter in der Halle.
Uffer betreibt in vierter Generation ein Holzbauunternehmen in Savognin. Aus Tannen fertigt sein Betrieb kleine und grosse Häuser, tischlert Möbel und baut Pavillons, wie sie an Konzerten oder am Weltwirtschaftsforum in Davos stehen. In einem Konferenzraum projiziert der Patron Zahlen auf einen Bildschirm. Sie offenbaren sonderbare Handelswege. Für durchschnittlich 55 Franken pro Kubikmeter verkauften die Förster heimische Fichten jahrelang an ausländische Sägereien. Die Holzbeigen, an denen Reisende auf dem Weg nach Savognin vorbeifahren, stehen bereit für den Abtransport ins Ausland, wo sie geschnitten und getrocknet werden.
Je nach Grad der Veredelung und der Qualität muss Uffer das Bündner Holz für bis zu 800 Franken pro Kubikmeter zurückkaufen – mehr als 14-mal teurer. Der Holzwirtschaft und somit dem Kanton entgehe eine gewaltige Wertschöpfung. Jährlich fast 40 Millionen Franken.
Nicht nur ökonomisch sei das unsinnig. «Auch ökologisch ist es ein Irrsinn.» Von Diesel betriebene Lastwagen karren nasses Holz – also vornehmlich Wasser – durch Alpentäler. Eine Fahrt kostet mehr als die gesamte Fracht. Ennet der Grenzen entstehen Produkte, welche die Laster wieder zurückkarren, damit Handwerker sie in der Schweiz als «nachhaltiges Schweizer Holz» verbauen können.
Enrico Uffer in seinem Sägewerk in Savognin / GR.
Die Kunden nehmen es hin, weil sie es nicht wissen. Dabei sei es «eine Mogelpackung», sagt Uffer. Als würde man Rohmilch aus Schweizer Ställen nach Bayern bringen und sie zehnmal teurer als Joghurt zurückkaufen. «Alle reden von regionalen Produkten, nur beim Holz zählt das wenig.» Werde tonnenweise Holz hin- und hergefahren, seien die viel gepriesenen Holzhäuser keineswegs ökologischer als ein hergebrachter Betonbau.
Falsch ist der Vergleich mit der Milch nicht. Subventionen aus Chur und Bern ermöglichen die Transporte. Fast zwei Drittel des Bündner Waldes gelten als Schutzwald. Er soll Erdrutsche verhindern, Lawinen stoppen, vor gefährlichem Wind schützen. Dafür gibt es staatliche Gelder. Für die Pflege der bewaldeten Gebiete erhielten Bündner Waldbesitzer 2021 rund 62 Millionen Franken von Bund und Kanton, so das Bundesamt für Umwelt. Damit bekommen sie doppelt so viel wie die Walliser und dreimal so viel wie die Berner. «Wir Bündner gehen nach Bern, machen beim Finanzausgleich die hohle Hand und verschachern unsere Rohstoffe ins Ausland, ohne uns an der regionalen Wertschöpfung zu beteiligen», so Uffer.
Rund 91 Prozent des Bündner Waldes gehören den Gemeinden. «Manche Waldbesitzer kümmern sich nicht darum, was mit dem geschlagenen Holz passiert», sagt Uffer. Viel bleibe liegen, was dem Wald schade. Von den 375000 Kubikmetern, die der Kanton jährlich erntet, gelangen 130000 als Holzenergie in Öfen. Rund 190000 sind für den Bau geeignet, davon gelangen gerade einmal fünf Prozent in Bündner Sägereien. Ein kleiner Teil der frisch geschlagenen Rundhölzer geht in andere Kantone, das meiste ins Ausland.
Holz ist weltweit gefragt. Bauherren mögen den Werkstoff. Umweltschützerinnen betonen, wie nachhaltig er sei. Die Schweiz ist führend im Holzbau. Auf dem früheren Sulzer-Areal in Winterthur ZH entsteht das höchste Holzgebäude der Welt. Architekten konzipieren das Dock A des Flughafens Zürich aus Holz. Fichten sind besonders beliebt. Wegen des Klimawandels werde der gefragte Nadelbaum in 40 bis 50 Jahren wohl nur noch im Alpenraum wachsen, glaubt Uffer. «Umso wichtiger ist es, dass wir in den höher gelegenen Bündner Tälern die Bäume besser verwerten und damit den Schweizer Markt bedienen.»
Einfach ist das nicht. Es mangelt an Werken, die Stämme verarbeiten können. Nötig sind dafür zwei Schritte. Jeder verteuert die Ware. In einem ersten Veredlungsschritt trocknen die Sägereien die Hölzer und schneiden sie zu rechteckigen Brettern. In einem zweiten Schritt hobeln, leimen und fräsen Spezialisten die Planken zu Halbfabrikaten. Sägereien in Deutschland, Österreich und im Südtirol können das.
Auf der Bündner Branche lastet ein Konkurs. Ende 2010 ging eine von österreichischen Investoren betriebene Grosssägerei in Domat/Ems bankrott. Der Kanton verlor gut 23 Millionen Franken, was Förster, Säger und Holzveredler noch immer verunsichert. «Die Pleite von Domat/ Ems hat das Vertrauen zerrüttet», sagt Uffer. Lange habe es niemand gewagt, in eine neuartige Sägerei zu investieren. Bei den Gemeinden sei man sich «gewohnt, dass der Wald keinen Gewinn abwirft», sagt Silke Schweizer, Geschäftsführerin von Selva, dem Verband der Waldeigentümer Graubünden. «Es hat niemanden interessiert, wie gross die rote Zahl ist.» Bis zu 80 Prozent der Kosten deckt die öffentliche Hand.
Sie begrüsst Uffers neues Werk. «Alle wollen mehr Swissness beim Holz.» Der Unternehmer will in verschiedenen Regionen drei Sägereien bauen, damit es genug Holz hat für die zweite Veredlung. Aus den Schnittabfällen – rund 40 Prozent eines Baums – gewinnen sie Energieprodukte wie Pellets, Schnitzel oder Pflanzenkohle. Später soll ein weiteres Werk in der Nähe von Chur entstehen, um das gesamte in Graubünden verarbeitete Holz zu veredeln. Die Halbfabrikate sollen von dort auf dem Schienenweg in die ganze Schweiz transportiert werden.
Das Sägewerk Resurses in Savognin, GR
Es ist kalt an diesem Januartag in der fast fertigen Sägerei, die den bedeutungsschweren Namen Resurses trägt. «Mit diesem Werk wollen wir Vertrauen schaffen», sagt Uffer. Er zeigt auf den Roboter, der die Holzstämme zuschneiden wird, pro Jahr 70000 Kubikmeter. Die Maschine soll die Skepsis entkräften, dass das Projekt an den hohen Schweizer Löhnen scheitern werde. Höchstens zehn, oft nur sieben Personen werden in der Sägerei arbeiten. Die Lohnkosten betragen zwischen 10 und 12 Prozent des kalkulierten Ertrags. Beim gescheiterten Werk in Domat/ Ems waren es 20 bis 25 Prozent.
Scheitern ist nicht erlaubt, weiss Uffer. Bewusst bindet er die Förster und die Waldbesitzer in sein Projekt mit ein. Er garantiert ihnen die Abnahme ihres Holzes zu marktgerechten Preisen. Und über eine Stiftung soll jährlich eine halbe Million Franken in Umweltprojekte rund um den heimischen Wald fliessen. «Ich will zeigen, dass alle am gleichen Strick ziehen und alle profitieren können: Waldbesitzer, Veredler, die Baubranche – und die Öffentlichkeit.»
Rund 36 Millionen Franken kosten die Sägerei und die angeschlossene Energiezentrale. Für ein KMU ist das viel Geld. Am Projekt beteiligt sind deshalb fünf KMU und zwei Finanzinvestoren. «Menschen mit Bezug zum Wald», sagt Uffer – dazu solche, die mit Geld umgehen können und wissen, was Start-ups brauchen.
Auf öffentliche Gelder verzichtet Uffer beim ersten Werk Resurses. «Vertrauen kann man nicht auf Kosten der Steuerzahler wiederherstellen.» Bei diesem Projekt sei es ohnehin einfacher gewesen, die Umweltverbände einzubinden als die Behörden. Pro Natura oder WWF hätten lösungsorientierte Vorschläge gemacht, die kantonalen Behörden eher abgeraten und Probleme hervorgehoben.
Der Kantonsförster klingt versöhnlicher. «Wir unterstützen das Projekt, es hilft dem Ausbau und der Vervollständigung der Holzkette», sagt Urban Maissen. «Es sichert Arbeitsplätze und erhöht die regionale Wertschöpfung, und wir hoffen, es wird weitere Investitionen in anderen Regionen geben.»
Ab April sägt der Roboter. Uffer rekrutiert Personal in der Südostschweiz und im nahe gelegenen Veltlin. Er bietet die Viertagewoche an, damit etwa italienische Mitarbeiter vier Nächte daheim und drei in Surses verbringen können.
Er sucht digital versierte Holzarbeiter. Sie scannen jeden Stamm ein und suchen im dreidimensionalen Bild mit einem Röntgengerät nach Metallsplittern im Holz – von fehlgeleiteten Schüssen. Jedes Gramm Holz, welches abfällt, fangen Maschinen auf, um es zu Wärme, Pellets und Pflanzenkohle zu verarbeiten. Der Arbeitsplatz des Sägers erinnert an das Cockpit eines Jets.
Sägerei und angegliederte Energiezentrale ähneln einem Schweizer Uhrwerk. «Es ist komplex, bis alles zusammenspielt. Läuft es, ist es wunderschön.» Holzspäne wischt hier niemand zusammen. Die Roboter arbeiten sauber, die einen sägen, die anderen putzen.
Bündner Holz, das nach Italien transportiert wird.