An der mazedonisch-griechischen Grenze.
Das Jahr, das war – Winter 2016
Klaus Schwab redet über die vierte industrielle Revolution, Roger De Weck über die Zukunft des Fernsehens. In Mazedonien wollen Taxifahrer am Leid der Flüchtlinge verdienen. Und der Chef von Notenstein kauft nur Schweizer Aktien.
An der mazedonisch-griechischen Grenze.
Beim Journalismus zählen einzig die Geschichten. Und Geschichten sind dann gut, wenn Menschen sie erzählen. Das waren einige der Begegnungen im Winter-Viertel von 2016.
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«Kreative Zerstörung schafft neue Jobs»
Roboter statt Menschen? Mittelstand bedroht? Demokratie in Gefahr? WEF-Gründer Klaus Schwab (77) über die vierte industrielle Revolution. Foto: Pascal Mora
Herr Professor Schwab, wie viele Menschen nehmen am WEF, dem World Economic Forum, teil?
Klaus Schwab: Mehr als 2500. Wir versuchen stets, die Zahl auf 2500 zu begrenzen. Es gibt aber immer wieder Personen, die wir nicht zurückweisen können.
Und wie viele Roboter kommen dieses Jahr nach Davos?
Einige. So stellen die amerikanische Carnegie Mellon University und die koreanische Universität Kaist ihre Roboter vor.
Und wann bleiben die Politiker und Manager ganz zu Hause und schicken stattdessen ihre Roboter?
Nie! Roboter werden immer ihre Assistenten bleiben – sehr intelligente Assistenten. Das Bedürfnis persönlicher Begegnungen nimmt aber eher noch zu.
Am ersten WEF-Tag reichen Sie und Ihre Frau jedem Gast die Hand. Wann erledigen das Roboter?
Es hätte nicht den gleichen Effekt. Begrüssen wir die Gäste, fühlen sie sich wohl. Macht das ein Roboter, wirkt das sensationell. Mir sind Menschen lieber. mehr
“Ich habe noch nie gewonnen, ohne zu kämpfen”
SRG-Generaldirektor Roger de Weck (62) über sein Angebot an private Verlage – und den kompletten Umbruch der Medienbranche. Foto: Sabine Wunderlin
Die SRG geht in die Offensive. Sie bietet privaten Verlagen eine Kooperation an. Diese sollen SRG-Beiträge in ihre Web-sites einbinden können. Und Sportrechte gemeinsam auswerten. Zudem offeriert die SRG den Privaten auf technologischer Ebene Hilfe und auf SRF Info Sendeplätze. Mit der Swisscom und Ringier – dem Verlag der Blick-Gruppe – will die SRG eine Werbeplattform schaffen. Das stösst bei anderen Verlagen auf Widerstand.
Herr de Weck, seit wann packt Sie die griechische Mythologie?
Roger de Weck: Mein Griechischlehrer konnte die gesamte Odyssee auswendig erzählen. In der Stunde vor den Ferien hat er sie jeweils deklamiert. Das weckte Liebe.
Sie wissen offenbar viel über das alte Troja. Sie setzen Schweizer Verlagen ein trojanisches Pferd ins Haus, in dem Sie ihnen SRG-Videos zur Verfügung stellen.
Ein trojanisches Pferd ist hohl. Unsere Angebote sind substanziell.
Es ist ein Trick. Die SRG will an den Werbeeinnahmen partizipieren, die ein Verlag mit ihren Videos erzielt. Mit dem Angebot hebelt die SRG das Online-Werbeverbot aus.
Wir haben jetzt elf Kooperations-Vorschläge gemacht. Sie sind Win-win. In härteren Zeiten und im globalisierten Wettbewerb sollten die Schweizer Medien einander stärken. Uns geht es nicht um zusätzliche Einnahmen. Wir wollen unter vernünftigen Bedingungen gut zusammenarbeiten. Die Einnahmen sind minim. mehr
“Meine Waffe ist die Sprache”
Damit der öffentliche Raum sicher bleibt, setzt die Stadt Zürich auf kulturelles Verständnis. Nachtpatrouille mit einem arabischen Jugendarbeiter. Foto: Joseph Khakshouri
Es ist Mitte Januar, die Nacht auf Samstag, doch in der Tiefgarage duftet es weihnächtlich. Unter den wuchtigen Blöcken der Hardau in Zürich West lassen junge Burschen einen Joint kreisen. Ein Mädchen, sie ist 19, trinkt Bier. Musik dröhnt aus dem Auto, das die Kids aus Schlieren ZH in die Stadt brachte.
«Hallo, ich bin der Hamed», grüsst Hamed Selim (48). «Wie gehts?» – «Bist du ein Schmier?», fragt eine Junge. «Nein, wir sind nicht von der Polizei!» Selim lacht: «Habt ihr ein Fahrkonzept?» – «Ja, ich werde fahren», sagt ein Junge. «Dann trinkst du heute nichts?» – «Nein.» – «Gut!»
Es ist kalt, kurz vor Mitternacht. Auf den Strassen liegt Schnee. Selim ist mit Anneliese Bögli (28) unterwegs, beide tragen dunkle Jacken mit der Aufschrift «sip züri», das steht für «Sicherheit Intervention Prävention». Aufgaben der Sozialen Einrichtung und Betriebe der Stadt Zürich: Öffentliche Räume beobachten, Konflikte schlichten, eingreifen, aber nie physisch.
«Wir haben keine Pfeffersprays», sagt Selim. «Meine Waffe ist die Sprache.» mehr
«Gesünder, reicher, gescheiter»
Die Stadt Zürich soll zu Europas Silicon Valley werden. Lino Guzzella erklärt, warum das für die ganze Schweiz wichtig ist. Foto: Pascal Mora
Lino Guzzella ist verspätet. Der Präsident der ETH Zürich steckt im Stau. «Schnee!», sagt sein Sprecher. Er öffnet Guzzellas Büro, platziert den Reporter auf den Sessel des Präsidenten – und wählt dessen Handynummer.
Guten Morgen, Herr Guzzella …
Lino Guzzella: … Sorry, ich stecke fest!
Kein Problem. Sind Sie ein Vorbild für das Zürich von morgen?
Nein, überhaupt nicht.
Wie digital ist Ihr Leben?
Ich bin kein IT-Spezialist (IT = Informationstechnologie; Red.), aber wie alle modernen Menschen benutze ich digitale Hilfsmittel.
Reicht es, Zürich in die digitale Zukunft zu führen?
Nein. Die digitale Zukunft ist für die Schweiz entscheidend – nicht nur für Zürich. Die traditionelle Industrie kommt unter Druck …
… Alstom entlässt gerade im Aargau rund 1300 Mitarbeiter.
Wir müssen weiter in die Maschinen- und Elektroindustrie investieren – aber gleichzeitig neue Bereiche erschliessen. Die digitale Welt eröffnet riesige Chancen für die Schweiz.
«Wir sind alle Frank Underwood»
Hollywood-Star Kevin Spacey zog das WEF in den Bann. Er war der König von Davos. Foto: Pascal Mora
Kevin Spacey setzt sich hin, zückt das Telefon – und fotografiert die Zuschauer im Saal. «Jetzt knipse mal ich», witzelt der Star aus Hollywood.
Wie keiner zog Spacey (56) das diesjährige WEF in seinen Bann. Er huschte durch Hotels, ass im Weinkeller des Steigenberger, sang in einer Bar, redete über die Zukunft des Kinos, warb für eine Sicherheitsfirma. Ständig waren die Kameras auf den Star von «House of Cards» gerichtet. Spacey gibt in der US-TV-Serie den machtversessenen und skrupellosen Politiker Frank Underwood. Der steigt bis ins Weisse Haus auf – und bringt alle anderen zu Fall.
Die Serie sei der Realität näher, als viele denken würden, sagte Spacey in Davos GR. «Underwood ist überall, in jedem von uns steckt ein bisschen Frank», so Spacey auf einem Podium. «Wer aufsteigt, wirft andere zu Boden.»
Spielt die Flüchtlings-Krise der Schweiz in die Hände?
Bundesrat Didier Burkhalter über Schweizer Hilfe im Iran und EU-Problem. Er lässt kein gutes Haar an der Durchsetzungs-Initiative. Kuscheljustiz sei zwar falsch – aber falsche Härte noch viel schlimmer. Foto: Pascal Mora
Herr Bundesrat, der deutsche Präsident Joachim Gauck hat gesagt, es brauche eine Begrenzung der Aufnahme von Flüchtlingen. Ist das ein Wendepunkt der europäischen Flüchtlingspolitik?
Didier Burkhalter: Soll diese Krise gelöst werden, dann muss man für den Frieden sorgen. Die Quelle des Problems ist der Krieg. Wären Sie Syrer, Herr Hossli, würden Sie Ihr Land ebenfalls verlassen. Seit fünf Jahren tobt Krieg, das Land ist zerbombt. In Jordanien habe ich syrische Flüchtlinge getroffen. Sie haben mir gesagt, sie möchten eigentlich zurück. Aber sie glauben nicht mehr an eine Perspektive.
Wie kann Europa darauf reagieren?
Es reicht nicht, irgendetwas zu machen – wir müssen Frieden machen. Die Menschen sollen wieder an ihre Zukunft glauben.
«Zeichnen spendet Trost»
In einem Transitcamp in Mazedonien halten Flüchtlingskinder ihre Ängste und Hoffnungen auf Papier fest. Künstler: unbekannt.
Pingu fällt auf den Schnabel. Ein Mädchen lacht, ein Junge grölt. «Thany!», rufen Kinder im Chor. Das ist Arabisch und heisst: «Nochmals!»
Ein gutes Dutzend Kinder sitzt auf grünen und roten Plastikstühlen und sieht auf den Bildschirm, der an der Container-Wand hängt. Darauf flimmern Trickfilme. «Pingu», «Tom und Jerry», wieder «Pingu». Für ein paar Stunden «erleben die Kinder etwas Normalität in einer abnormalen Situation», sagt Jesper Jensen (61). Der gross gewachsene Däne leitet den Unicef-Kinderhort im Transitlager Vinojug an der griechisch-mazedonischen Grenze. «Einen kinderfreundlichen Ort» nennt er den Cointainer, wo Mütter und Kinder verweilen, aber keine Väter.
Jensen betreut Kinder auf der Flucht, syrische, irakische und afghanische. Boote brachten sie und ihre Eltern über die Ägäis. Hier in Mazedonien ruhen sie sich ein paar Stunden aus. «Wer flieht, verliert seine Fixpunkte, alles scheint ständig in Bewegung», sagt Jensen. Seit 1990 ist er humanitär tätig. «Ich helfe Menschen, sich selbst zu helfen.» Im Irak arbeitete Jensen, in Pakistan, im Kosovo, im Kongo und Ruanda.
Business in der Krise
An der griechisch-mazedonischen Grenze blüht das Geschäft mit den Flüchtlingen. Derweilen bereitet sich Mazedonien auf eine Zunahme vor. Foto: Pascal Mora
Mindestens sieben Tage will Giorgi (29) auf den Schienen ausharren. Er spricht Deutsch, lebt im mazedonischen Grenzort Gevgelija, einem Brennpunkt der Flüchtlingskrise. Giorgi fährt Taxi. Er gesteht: «Wie andere auch will ich an Flüchtlingen verdienen.»
Es ist Samstagnachmittag, Ende Januar, frühsommerlich warm. Giorgi blockiert mit 20 anderen Taxifahrern beim Bahnhof die Geleise, um den Zügen den Weg zum Durchgangscamp an der mazedonisch-griechischen Grenze zu versperren. Hunderte von Flüchtlingen warten dort auf die Reise nach Norden.
Täglich wollen 3000 Flüchtlinge über die griechisch-mazedonische Grenze. Ein solcher Ansturm bedrohe Europa langfristig, wie inzwischen viele glauben. Für das mausarme Mazedonien – Bruttosozialprodukt pro Person: 4840 Dollar – sind die Flüchtlinge auch ein Wirtschaftsfaktor. Die Fahrt nach Serbien kostet 25 Euro, ob im Zug oder im Taxi; 75000 Euro bringt der Flüchtlingsstrom täglich. «Davon wollen wir Taxifahrer die Hälfte», fordert Giorgi. «Die Regierung darf nicht sagen, alle müssen im Zug reisen.» Er kann mit Flüchtlingen 150 Euro pro Tag verdienen, so viel wie sonst pro Monat. «Ich will auch leben.»
«Für meine Kinder kaufe ich nur Schweizer Aktien»
Der CEO von Notenstein La Roche über die Konsolidierung der Finanzbranche – und wie er das Geld seiner vier Kinder anlegt. Foto: Pascal Mora
Herr Künzi, wie lange wird Ihre Visitenkarte noch gültig sein?
Adrian Künzi: Wir sind sehr zufrieden mit unserem Namen. Er wird noch lange Bestand haben.
Zuletzt brauchten Sie oft eine neue Karte. Aus Wegelin wurde Notenstein, aus Notenstein Notenstein La Roche. Was sagt das über Ihre Branche aus?
Dass es eine grosse Dynamik gibt, und dass Neues entsteht. Der Strukturwandel bietet also Chancen.
Ihr Mutterhaus ist nochmals eine andere Bank, die Raiffeisen. Haben Sie nie Identitätsprobleme?
Ganz und gar nicht. Das verbindende Element unserer Gruppe ist das unternehmerische Denken. Das starke Mutterhaus im Rücken hilft uns, den Veränderungsprozess aktiv mitzugestalten.
Ihre Bank steht beispielhaft für den Umbruch des Bankenplatzes. Wen kaufen Sie als Nächste?
Eine Bank, die bezüglich Kultur und Kundensegment zu uns passt. Eine Bank wie die La Roche.
Bei Krisen schaut sie hin
Regine Kilchenmann ist 33 Jahre alt – und betreut für die Deza das heikle Dossier der Syrienkrise. Die humanitäre Helferin kam in Afrika zur Welt und leistet Grosses. Foto: Pascal Mora
Erleichtert langten die Mütter zu, als die Lastwagen im syrischen Madaya eintrafen – und Brötchen verteilten. Strahlend bissen ihre Kinder rein. Gleichzeitig fuhren Helfer der Uno und des Roten Kreuzes 400 ausgemergelte Syrer aus der belagerten Stadt ins Spital.
Dass diese Woche Esswaren nach Madaya rollen durften – dafür setzte sich auch die Schweiz ein. 24 Stunden bevor Damaskus die Lieferungen bewilligte, sass Regine Kilchenmann in einem Hotel in Teheran und verhandelte mit der syrischen Regierung. Ob das Treffen den Durchbruch brachte, darüber will die 33-jährige Emmentalerin nicht einmal spekulieren. Diskretion ist Pflicht in der humanitären Diplomatie. Nur etwas sagt sie: «Die Schweiz wird wahrgenommen.» Weil sie neutral und unabhängig sei, was zentral ist im seit fünf Jahren tobenden Bürgerkrieg.
In der Schweiz kennen wenige den Konflikt so gut wie Kilchenmann. Seit Mai führt sie den Syrienkrise-Desk der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). An der Wand ihres Büros hängt eine Karte, die den Nahen Osten abbildet. Derzeit seien 13,5 Millionen Syrer auf der Flucht, steht da, die meisten von ihnen im eigenen Land.
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