Peter Hossli blickt von Mexiko durch den Grenzzaun in die USA. Foto: Stefan Falke

Das Jahr, das war – Herbst 2016

Eine Kohle-Stadt hofft auf Trump. An der mexikanisch-amerikanischer Grenze will niemand eine Mauer. Warum sterben so viele Amerikaner durch Waffen? Und Trump wird US-Präsident.

15.12.2016

Peter Hossli blickt von Mexiko durch den Grenzzaun in die USA. Foto: Stefan Falke

Beim Journalismus zählen einzig die Geschichten. Und Geschichten sind dann gut, wenn Menschen sie erzählen. Das waren einige der Begegnungen im Herbst-Viertel von 2016.

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Wo Trump der Messias ist

Nirgendwo hat Donald Trump mehr Anhänger als in Grundy, Virginia. Die Kumpel glauben, er rette die Kohle. Foto: Stefan Falke

Ein Klirren zerschlägt die idyllische Stille. Es ist der schrille Ton des Förderbandes, das schwarzes Geröll aus dem Berg zieht. «Weniger als früher», sagt Danny Tucker (53), die Stimme und das gebräunte Gesicht rau, die Augen sanft. «Aber noch reicht es.»

Noch lebt Grundy in den Appalachen, will Tucker damit sagen. Aber der Tod liegt bereits in der Luft.

Vor zwei Jahren kaufte er die Mine in Virginia. Täglich gibt sie 1000 Tonnen schwarzes Gestein her. Vierzig Prozent davon kann er als Schwarzkohle verkaufen. Ein gutes Geschäft? «Schon lange nicht mehr», so Tucker. Er betreibt es, weil er nicht anderes will. In fünfter Generation ist er Kumpel. Eine sechste, fürchtet er, wird es nicht geben. «Der Präsident zerstört die Kohle.»

Weil Barack Obama (54) ein Grüner sei und Erdgas fördere.

Dann sagt Tucker, was in Grundy jeder fast jeder laut sagt: «Unsere einzige Chance ist – Trump.»

«Heute ballert jeder drauflos»

Amerika ist bis an die Zähne bewaffnet. Gewalt wütet in schwarzen Innenstädten. Kinder schiessen auf Kinder. Eine Augenschein in Cincinnati. Foto: Stefan Falke

Schweiss rinnt von tätowierten Schultern. Aus Lautsprechern hämmert Hip-Hop. Heiss und schwül ist es im Gym am Stadtrand von Cincinnati. Es heisst «Hope» – Hoffnung. Hier heizt Steve Sherman anderen ein. «Hey, noch einmal, drück, hart, go man», sagt er zu Frankie, der Gewichte stemmt.

Jeden Tag ist Sherman hier. Er boxt mit Jungs aus dem Quartier, spielt Basketball, hebt Hanteln. Und er redet mit ihnen. Über die Strasse, über Drogen, über Waffen. «Sind sie hier, töten sie nicht, und sie werden nicht getötet.»

Sherman weiss, wovon er spricht. Jahrelang war er der Haschkönig von Cincinnati, schoss, wurde getroffen. Nun versuche er, «den Krieg von Cincinnati» zu beenden. Einfach ist das nicht. «Wir schlugen uns noch mit Fäusten, heute ballert jeder gleich drauflos», sagt er. «Waffen? Die sind überall.»

Eine Grenze gegen den Hass

Sie ist 3200 Kilometer lang, trennt zwei Nationen, schürt Ängste. An der Grenze aber leben die Menschen zusammen. Foto: Stefan Falke

Salomon (53) erhält fünf grüne 20 Dollar-Scheine – bar auf die Hand. Er rückt den Hut zurecht, die Abendsonne blendet. Müde trottet er von der Arbeitsvermittlung weg, einer Holzhütte am Stadtrand von Calexico (USA).

Zehn Stunden lang hat Salomon Broccolipflanzen gesetzt, für zehn Dollar die Stunde. Nun fährt er mit Freunden nach Hause. In ein anderes Land.

Salomon lebt in Mexiko und arbeitet in Amerika, seit 30 Jahren überquert er täglich die Grenze. Legal.

Und doch ist Salomon Teil des US-Wahlkampfs geworden. Als «faul» hat Donald Trump (70) Menschen wie ihn bezeichnet. Mexikaner, die über die Grenze in die USA kämen, seien «Vergewaltiger» und «Mörder».

Die Entscheidung fällt auf dem Schlachtfeld

Seit drei Jahren reist der Schweizer Diplomat Manuel Bessler regelmässig nach Syrien und verhandelt mit der Regierung. So selbstsicher wie jetzt hat er das Regime noch nie erlebt.

Kaum hatte er die libanesische Grenze nach Syrien überschritten, erblickte Manuel Bessler (58) ein Café der US-Kette Dunkin’ Donuts. «Dahinter hingen grosse Fotos von Präsident Assad.»

Nach nur vierzig Minuten Fahrt erreichte der Delegierte des Bundesrates für humanitäre Hilfe die syrische Hauptstadt Damaskus. «Verblüffend normal ist der Alltag», so Bessler. Jetzt sitzt er wieder in seinem Berner Büro, eben zurück aus Syrien, wo seit fünf Jahren der Bürgerkrieg tobt – mit weit über 400 000 Todes­opfern. Genaue Zahlen fehlen.

Aus einem regionalen Konflikt ist ein «Weltmachtkampf» gewor-den, wie «Der Spiegel» schreibt. Wo Russen, Amerikaner, Iraner und Saudis um Einfluss pokern. Und wo deshalb Millionen leiden müssen.

Dennoch sagt Bessler: «In Damaskus sind die verstopften Strassen das Schlimmste.» Seit drei Jahren reist er nach Sy­rien, sein Auftrag: humanitäre Diplomatie. Oft verhandelt er mit dersyrischen Regierung. Stets geht es um besseren Schutz für die Zivilbevölkerung und besseren Zugang für humanitäre Helfer.

Volle Pulle

Es sind rollende Gladiatoren, sie messen sich im härtesten Sport der Welt, in Rollstuhl-Rugby. Besser bekannt als Murderball. Nun könnte eine Frau die Schweiz an die Weltspitze führen. Foto: Pascal Mora

Pfiff. Der Ball fällt. Hände hecheln hoch. Toni Schillig (39) boxt ihn dorthin, wo er sofort hinrollt: nach vorne. Ein Italiener ist vor ihm da, krallt sich das Leder, wirft es über den Schweizer hinweg. Ein anderer fängt es, rollt über die Grundlinie. Pfiff. Tor.

Eins zu null. Italien führt im ersten Spiel der EM in Nottwil LU. Acht Nationen kämpfen diese Woche um den Aufstieg. «Rollstuhl-Rugby» steht auf dem Plakat, «Murderball» nennen es die Spieler – das Mordsspiel.

Das dritte Viertel läuft. Schillig luchst einem Italiener den Ball ab, dreht sich nach links, schaut, wirft, rollt, erhält den Ball zurück, rollt. Pfiff. Der Ausgleich zum 29:29.

Murderball widerlegt jedes Klischee über Behinderte. Ein knallharter Sport. Mitleid deutet er in Ehrfurcht um. Acht Spieler geben alles, hetzen übers Parkett, donnern, kippen einander um. Immerzu sind sie in Bewegung.

Wo Trumps Mauertraum endet

Mit einer 3200 Kilometer langen Mauer will der Republikaner Donald Trump Mexikaner von den USA fernhalten. Dass dies nicht geht, zeigt ein Besuch in der mexikanischen Grenzstadt Tijuana.

Ein holpriger Weg führt vorbei an Blechhütten und stinkendem Müll. Wegen Schlaglöchern kommt der Geländewagen nur langsam voran. Kinder spielen auf steil abfallenden Schotterstrassen Fangen. Nido de las Águilas heisst das Quartier in der mexikanischen Grenzstadt Tijuana – Adlernest. «Einer der ärmsten Orte Mexikos», sagt Architekt und Stadtplaner René Peralta (47). Und doch zentral für die US-Wahlen. «Hier zeigt sich: Trumps Pläne sind sinnlos.»

Wie ein Fallbeil liegt eine verrostete Metallwand auf dem staubigen Boden. Es ist die Grenze zwischen Mexiko und den USA. An diesem unwegsamen Flecken endet plötzlich die Wand. «Hier zeigt sich, es ist gar nicht möglich, eine durchgehende Mauer zu bauen wie Trump sie anpreist», so Peralta. Dabei ist die Mauer entlang der mexikanisch-amerikanischen Grenze die grosse Idee von Donald Trump (70).

Apokalypse Now

Um US-Präsident zu werden, muss der Republikaner Donald Trump in Florida gewinnen. So richtig begeistern mag er nicht. Er zeichnet ein düsteres Bild von Amerika – und schüchtert Reporter ein. Foto: Stefan Falke

Das weisse Käppi schützt das blonde Haar vor der gleissenden Sonne. Der oberste Hemdknopf ist offen, die Krawatte bleibt im Flugzeug.

30 Grad und schwül ist es zur Mittagszeit in Miami. Und Trump verkündet in der Hitze Floridas den Untergang Amerikas. «Es ist unsere letzte Chance», schreit der republikanische Präsidentschaftskandidat. Und meint sich selbst.

Vielleicht 3000 Menschen johlen, während er die Apokalypse verkündet. «Gewinnen wir nicht, gehen die USA unter.»

Trump? Sieht sich als Retter der Nation.

«Kein Land des Hasses»

Mit optimistischen Auftritten kontert Hillary Clinton ihren Gegner Donald Trump. Amerika habe ein grosses Herz und keinen kleinen Geist. Foto: Stefan Falke

Sie endet zuversichtlich. «Liebe triumphiert über Hass», sagt Hillary Clinton (69), reckt die Arme zum wolkenlosen Himmel. Und tut, wovor sich Donald Trump scheut. Was er nie tut.

Sie steigt vom Podium und nimmt ein Bad in der Menge. Schüttelt Hände. Posiert für Fotos. Lacht. Und plaudert.

Clinton geht auf Tuchfühlung mit den Menschen. «Zurück!», sagt sie den breitschultrigen Agenten hinter ihr. Nicht nur für TV-Kameras ist sie nach Winterville gereist. Sondern auch für ihre Anhänger.

Und für Stimmen. Gewinnt die Demokratin am Dienstag hier in North Carolina, zieht sie als erste Frau ins Oval Office des Weissen Hauses ein. Verliert sie, wird es knapp.

«Polarisierung macht mir Sorgen»

Botschafter Martin Dahinden bereitet sich mit seinem Team sowohl auf Hillary Clinton als auch auf Donald Trump im Weissen Haus vor. Foto: Stefan Falke

Herr Botschafter Dahinden, wer wird neuer Präsident der USA?
Martin Dahinden: Es ist eine spannende Wahl, eine Prognose wage ich nicht.

Warum nicht?
Das ist nicht meine Aufgabe. Die Wahlen verfolge ich für die Schweizer Regierung, nicht für die Öffentlichkeit.

Sie sind ein politischer Mensch. Wie schwierig ist es, sich da nicht öffentlich zu äussern?
Das gehört zu meinem Job. Weder ich, meine Kollegen in Bern noch die Bundesräte reden über Kandidaten oder ihre Aussagen.

Aber Sie werden das Ergebnis kommentieren?
Nicht öffentlich.

Wenn Trump hier gewinnt, ist er Präsident

Bucks County, Pennsylvania – der entscheidende Bezirk. Wer hier, im Nordosten des Landes gewinnt, zieht ins Weisse Haus ein. Bei den Republikanern scheint die Begeisterung grösser als bei den Demokraten. Foto: Stefan Falke

Verloren wirkt das «Happy Nails and Spa»-Schild am Strassenrand. Mit «Hillary Clinton»-Plakaten ist es behangen. Längst dient das Nagelstudio als Wahlkampfbüro – als vielleicht wichtigstes der USA.

Elaine Stone stösst die Türe auf. Hellblaue Clinton-Schilder begrüssen die zierliche Frau. «Hey, wie kann ich helfen?», grüsst sie zurück.

Die Anwältin ist aus Washington D. C. nach Doylestown gereist. Vier Stunden war sie unterwegs. «Weil es jetzt um alles geht.»

Am Wochenende mobilisiert sie Wähler. «Wenn nötig bleibe ich bis Dienstag.» Bis zur Wahl. «Kleider habe ich genug dabei.»

“Das Land ist froh, wird endlich gewählt”

Am Dienstag 8. November 2016 findet die US-Präsidentschaftswahl statt. Endlich! So denken viele Amerikaner, denn der Wahlkampf war oft am Thema vorbei.

Jetzt herrscht das Ich-Imperium

Warum ein lauter, obszöner New Yorker amerikanischer Präsident werden konnte. Foto: Stefan Falke

Verloren liegt ein zerknüllter Haufen «Hillary for President»-Leibchen auf der 34. Strasse in New York. Adrett gekleidete Menschen strömen daran vorbei, die meisten von ihnen Frauen. Nur noch «five dollar, five dollar» will der Verkäufer für ein T-Shirt.

Ausverkauf in der Wahlnacht. Morgen will das keiner mehr. «Morgen ist Hillary Präsidentin», kreischt eine New Yorkerin. «Yeaaaaah!»

In der Hand hält sie eine der begehrten Karten für die Wahlfeier von Hillary Clinton (69), «für die Siegesfeier», sagt sie. «Das ist historisch.» Miterleben, wie die erste Frau die Wahl ins Weisse Haus annimmt.

«Trump muss Amerika jetzt vereinen»

Donald Trump gewinnt die US-Präsidentschaftswahl gegen die Demokratin Hillary Clinton. Morgens kurz nach zwei Uhr gesteht die ehemalige First Lady ihre Niederlage ein. Die Videoanalyse.

Herr Premierminister, wie viele serbische Bodyguards begleiten Sie in die Schweiz?
Aleksandar Vucic:
 Keine!

Fühlen Sie sich denn hier sicher?
Warum sollte ich mich hier nicht sicher fühlen?

Unlängst berichteten serbische Medien, die CIA wolle Sie beseitigen. Fürchten Sie um Ihr Leben?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die CIA dahintersteckt.

In einem Belgrader Vorort seien eine Panzerfaust, Handgranaten und ein Scharfschützengewehr gefunden worden.
Das nehme ich sehr ernst. Aber das war kein Attentatsversuch auf mich, sondern auf die Institutionen unseres Landes.

Der künftige US-Präsident Donald Trump telefoniert derzeit mit etlichen Staatschefs. Wann sind Sie an der Reihe?
Einen Termin habe ich noch nicht. Aber ich hoffe, wir werden uns bald sprechen und später treffen.