JoAnne Mayer (55) in ihrem Billiardclub in Scranton, Pennsylvania.

Biden hat nicht einmal ein Heimspiel

Die USA sind ein gespaltenes Land. Das zeigt sich besonders deutlich in Scranton, Pennsylvania. Einst dominierten hier die Demokraten, nun erhalten die Republikaner Zulauf. Wen das schmerzt: Präsident Joe Biden, der hier zur Welt kam.

Peter Hossli (Text) Nathalie Taiana (Fotos) 10.07.2024

JoAnne Mayer (55) in ihrem Billiardclub in Scranton, Pennsylvania.

JoAnne Mayer (55) steht hinter einem Billardtisch und versenkt eine dunkle Kugel. Auf ihrem linken Ellbogen hat sie die Nummer 45 tätowiert – weil Donald Trump (78) der 45. Präsident der USA gewesen ist. Sie trägt aus einem Sternenbanner geschneiderte Turnschuhe und eine Mütze mit der Aufschrift «Make America Great Again», dem Motto Trumps. «Ich liebe diesen Mann», sagt Mayer, Besitzerin eines Billardclubs in Scranton im Nordosten von Pennsylvania. «Er muss wieder Präsident werden.» Blick war vor Ort und fühlte den Einwohnern auf den Zahn – mit überraschenden Ergebnissen.

Einst wählte sie Bill Clinton (77), später Barack Obama (62). Dann wandte sie sich von den Demokraten ab. Für Unternehmerinnen wie sie würden sie zu wenig tun. Trump hingegen sei ein erfolgreicher Geschäftsmann, unbesudelt von den Untiefen der Politik. «Er lebt den amerikanischen Traum.» Ihr gefalle, wie forsch er auftrete und seine Meinung sage. «Wir brauchen starke Persönlichkeiten wie ihn.»

Dass Trump ein verurteilter Straftäter ist, stört sie nicht. «Ich würde ihn wählen, selbst wenn er ins Gefängnis muss.»

JoAnne Mayer ist nicht die Einzige, die in Scranton so redet. Und das dürfte US-Präsident Joe Biden (81) sorgen.

Das Geburtshaus von US-Präsident Joe Biden an der 2446 North Washington Street in Scranton, Pennsylvania.

Scranton ist die Hauptstadt von Lackawanna County, einem sogenannten Swing County, einem besonders umkämpften Bezirk im Herzen Amerikas.

Das County gilt als Seismograph für die Wahlen im Herbst, in zweifacher Hinsicht. Zum einen leben hier überproportional viele Arbeiter, die den Kern von Trumps Wählerschaft bilden. Zum anderen ist Scranton die Heimatstadt von Biden. Er selbst bezeichnet sich wechselweise als «Scranton Joe» und «Scranton Boy».

Lange Zeit erhielten die Demokraten in Scranton klare Mehrheiten. Doch die Republikaner holen auf. Es ist längst nicht mehr sicher, ob Scranton noch zu seinem Jungen hält, nach dem eine Autobahn und mehrere Strassen benannt sind.

«Biden Way» heisst die North Washington Avenue im östlichen Stadtteil, wo sich schmucke viktorianische Häuser aneinanderreihen. Bei der Hausnummer 2446 erinnert eine kleine Tafel daran, dass Biden hier zur Welt kam und die ersten zehn Lebensjahre verbrachte. Im Park nebenan spielte er Baseball, ein paar Strassen weiter unten ass er in der Spelunke «Hank’s Hoagies» fetttriefende Sandwiches.

Neben Bidens Geburtshaus mäht Jake Age (66) den Rasen. Schweiss tropft von seiner kahlen Stirn, es ist heiss und schwül. Wie Biden sei er ein «Scranton Boy», sagt Age, der in der Glasindustrie tätig war. Er sei immer hiergeblieben, wählte stets die Demokraten.

Biden war traurig anzuschauen

Doch er hadert. «Mir war es peinlich, den Präsidenten der Vereinigten Staaten im Fernsehduell so schwach zu sehen», sagt er. Oft sei er schlicht nicht in der Lage gewesen, die Fragen zu beantworten. «Das war traurig anzuschauen.»

Abwenden werde er sich aber nicht. «Ich bleibe bei Joe», sagt Age. «Biden ist ein anständiger Kerl, daran ändert auch ein schlechter Auftritt im Fernsehen nichts.» Allzu optimistisch sei er nicht.

Nancy Barrett im Glider Diner in Scranton, Pennsylvania

Zuletzt schickt er die Fotografin und den Reporter in den Glider Diner, ein beliebtes Restaurant, bekannt für Apfelkuchen und Hamburger. An der Bar sitzt Nancy Barrett (77), eine elegante Frau mit gewellten weissen Haaren. Sie wartet auf das Abendessen und gerät ins Schwärmen, wenn sie über Scranton spricht. Hier sei es wichtig, nett und ehrlich miteinander zu sein. «Alle kennen sich, sind verwandt oder verbunden.»

Den Geist der Stadt fasst sie mit drei Buchstaben zusammen: «IDK – irisch, demokratisch, katholisch.» Ein Ort, der dank Kohle, Stahl und harter Arbeit reich geworden ist. Doch er fiel ab, als Kohlegruben schlossen und günstiger Stahl aus Japan und China kam. Viele, die deswegen ihren Job verloren, haben sich von den Demokraten abgewendet und wählen nun Trump.

Ein Abgang in Würde verpasst

Nancy Barrett gehört nicht dazu. Die ehemalige Sekretärin ist Demokratin durch und durch. Sie beschuldigt Trump, Amerika gespalten zu haben. Er stachle die Menschen auf und diese liessen sich von ideologischen Medien blenden.

Und Biden? Die Frage ist ihr unangenehm. Offenbar hegt selbst seine treueste Klientel Zweifel. Er habe sich gut geschlagen im Weissen Haus, betont sie. «Aber er hätte nicht mehr antreten sollen.» Unverständlich, dass seine Familie das zugelassen habe. «Ich wünschte, er hätte sich in Würde zurückgezogen.»

Seth und Laiton Heckman in Scranton, Pennsylvania

Hand in Hand schlendern Seth und Laiton Heckman durch eine Mall in Downtown Scranton. Das Ehepaar aus dem Westen von Pennsylvania verbringt ein Wochenende in der Stadt. Sie sind jung – er 28, sie 27 – und wählen republikanisch. «Was in den letzten dreieinhalb Jahren in Amerika passiert ist, missfällt mir sehr», sagt Laiton Heckman, eine Werberin. Hohe Preise und die Weltlage machen ihr Angst, besonders da sie eine Familie gründen möchte. «Unsere Kinder sollen in einer friedlichen Welt aufwachsen. Das ermöglicht Trump.»

Keine Politik im Diner

Biden hingegen schade Amerika, sagt ihr Mann Seth Heckman, der Autos verkauft. «Der Präsident wirkt gebrechlich, ein solches Bild der Schwäche darf unser Land doch nicht vermitteln.» Seine Frau fällt ihm ins Wort. «Wenn, Gott bewahre, der Dritte Weltkrieg ausbricht, möchte ich nicht mit einer schwachen Person in die Schlacht ziehen, sondern mit jemandem, der stark ist und dem die Menschen aufschauen.»

Reporter Peter Hossli im Gespräch mit Debbie Muta (34) im Neen’s Diner von Scranton, Pennsylvania.

Ab 6 Uhr morgens steht Debbie Muta (34) im Neen’s Diner von Scranton, serviert Filterkaffee, Omeletts und gebratene Eier, dazu Speck, Schinken und gebutterten Toast. «Über Politik reden wir im Diner nicht», betont die Mutter zweier kleiner Kinder. «Das würde zu Streit führen. Bei uns verkehren meinungsstarke und eigensinnige Menschen.» Die Hälfte der Kundschaft wählt republikanisch, die andere demokratisch. Sie selbst ist Demokratin, sagt die Kellnerin, wie schon ihre Eltern und deren Eltern.

Ja, vor vier Jahren hat sie Biden gewählt. Aber sie werden es nicht mehr tun. «Das Alter hat ihn eingeholt, ich will keinen Schwächling im Weissen Haus.» Trotz Familientradition wechselt sie zu Trump. «Er hat es ja gut gemacht.» Sein clowneskes Gebaren stört Debbie Muta nicht. «Letztlich strahlt er Selbstvertrauen aus, er weiss, was er will.» Und das sei ihr lieber als ein Mann, den der Job sichtlich überfordert.

Zack (37) in Circle Drive in in Scranton, Pennsylvania

Das Lokale ist wichtiger als Washington

Das Autokino Circle Drive-In zeigt abends die neuen Blockbuster aus Hollywood. Sonntags halten lokale Händler einen Flohmarkt ab. Wer Krimskrams anbietet, zahlt 20 Dollar. Wer nur kaufen will, zahlt einen Dollar, um das Auto zu parken.

Zack (37) ist ein Verkäufer und etwas spät dran mit seinem Stand. Er trägt kurze Hosen, einen Sonnenhut und am Gürtel eine geladene Pistole. «Wenn man mich angreift, will ich mich verteidigen können.» Unter der Woche verwaltet er Häuser, am Wochenende verkauft er militärische Utensilien, Messer, Gewehrmagazine und Patronen.

Lokale Politik ist ihm wichtiger als das, was in Washington D.C. oder in Harrisburg, der Hauptstadt von Pennsylvania, passiert. «Wir machen hier unser Ding und kümmern uns um uns.» Solange die im Weissen Haus ihm das Leben nicht schwer machen, ist es ihm egal, ob Biden oder Trump dort regiert. Er zeigt einem jungen Mann ein paar Patronen und sagt, beide Kandidaten würden eine Rolle spielen, aufgetragen von den Medien. «Weder ist Biden ein seniler Idiot, noch Trump eine Karikatur eines schmutzigen, chauvinistischen Geschäftsmannes.»

Bruce Smallacombe in Scranton, Pennsylvania: «Das Fernsehduell hat allen gezeigt: Biden ist nicht mehr in der Lage, wichtige Entscheidungen zu treffen. Jetzt halten die Leute die Nase zu und wählen Trump.»

Nase zu und durch

Ein paar Stände von Zack entfernt verkauft Bruce Smallacombe (70) rote Trump-Mützen. Er verbrachte sein ganzes Leben in Lackawanna County, war 16 Jahre lang Bürgermeister von Jermyn, einer der kleinen Städte des Bezirks. Er sei ein konservativer Mensch und liebe Amerika, «die Freiheit», wie er sagt. Wie die meisten Konservativen würde er republikanisch wählen.

Also wieder Trump? «Er ist das kleinere Übel», betont Smallacombe. Sicher, er habe gute Arbeit geleistet als Präsident. Amerika sei sicherer geworden, die Wirtschaft brummte, die Inflation war niedrig. «Aber sein Auftreten ist schrecklich, ich mag seine Persönlichkeit nicht, genauso wenig wie er andere behandelt.» Er hoffte auf andere Republikaner wie Ron DeSantis (45) aus Florida oder Nikki Haley (52) aus South Carolina. «Beide sind besser als Trump.»

Und trotzdem wähle er ihn erneut, sagt Smallacombe und nennt Gründe, die oft zu hören sind. Trump gehe gegen illegale Immigration vor, halte die USA von Kriegen fern, biete China die Stirn. «Und er sorgt dafür, dass der Staat den Menschen nicht zu viel aus der Tasche zieht.»

Trump werde gewinnen, eine echte Wahl sei das nicht mehr. «Das Fernsehduell hat allen gezeigt: Biden ist nicht mehr in der Lage, wichtige Entscheidungen zu treffen. Jetzt halten die Leute die Nase zu und wählen Trump.»