Von Peter Hossli (Text und Fotos)
Einfach ist es nicht, die Klub-Weltmeisterschaft der Fifa zu finden. Von der Wall Street führt die Subway zur Port Authority, zum verkehrsreichsten Busbahnhof der Welt in Midtown Manhattan. Von 223 Gates kommen hier täglich rund 8000 Busse an oder fahren ab.
Welcher Bus fährt zum Metlife Stadium, wo nächstes Jahr der WM-Final stattfindet und heute um Mittag Palmeiras gegen Al Ahly spielt? Der beste brasilianische Klub gegen den besten Klub Afrikas?
Zu wissen scheint es niemand. Es ist halb 9 Uhr, vereinzelt irren Männer und Frauen in roten und grünen Trikots, den Farben der beiden Klubs, durch die Port Authority. Sie fragen Polizisten, Chauffeure und Putzequipen. Die einen schicken sie zur 42. Strasse, andere zur 40. Strasse. Ein Schild verwirrt, statt zu klären. Fifa-Mitarbeiter, die helfen könnten? Fehlanzeige.
Kurz nach 9 Uhr passiert, was in New York oft geschieht: Das Chaos löst sich wie von Geisterhand geführt auf. Ein paar Fans bilden vor dem richtigen Gate eine Schlange, andere folgen ihnen. Alle erhalten ein grünes Armbändchen, das nach dem Spiel die Rückfahrt garantiert.
Seit einer Woche läuft in den USA die Fifa-Klub-WM 2025 mit Teams aus allen Kontinenten der Welt. Zumindest in Europa erntet das Turnier mehr Häme als Lob. Es sei sportlich wertlos. In US-Stadien entstehe keine echte Stimmung. Wer will so viel Fussball schauen?
Zum Beispiel Isabela Aimola. Die 14-jährige Schülerin wartet zusammen mit ihren Eltern und Grosseltern auf den Bus. Aus São Paulo ist die Familie nach New York gereist, um ihr Team spielen zu sehen. «Oh, ich liebe Palmeiras», sagt das Mädchen. Hier in den USA sei alles etwas grösser als in Brasilien, dafür weniger gefährlich.
Ihr Vater Neto Aimola (46) verkauft in São Paulo amerikanische Autos. «Dieses Turnier ist sehr wichtig für uns Brasilianer», erklärt er. «Wir messen uns gerne international. Das geht nirgends besser als hier.»
Das war die ursprüngliche Idee von Sepp Blatter (89), als er die Klub-WM vor 25 Jahren erfand. Der damalige Fifa-Präsident wollte der europäischen Dominanz eine globale Champions League entgegensetzen. Das erste Turnier in Brasilien geriet zu einem Fiasko mit finanziellen Problemen und geringer Aufmerksamkeit. Über einen Nischenevent mit einem halben Dutzend Teams kam die Klub-WM nie hinaus.
Jetzt versucht es ein anderer Walliser: Gianni Infantino (55), seit 2016 Fifa-Präsident mit globaler Sicht, macht daraus ein Mammutspektakel mit 32 Klubs in Gruppen- und K.-o.-Runde. Finanziert wird es grösstenteils von Saudi-Arabien.
Ob das jemanden stört, kümmert den ägyptischen Arzt Mohammad Attia (49) nicht. Er trägt die roten Farben von Al Ahly. Sechs Tage verbringt er in New York, «ein Lebenstraum geht in Erfüllung», wie er sagt. Wegen des Turniers sei er erstmals in den USA. Er mag die Klub-WM. «Menschen aus aller Welt haben gemeinsam Freude am Fussball – das ist angesichts der vielen Kriege doch wichtig.»
Attia steigt in den Bus und setzt sich neben Matheus Peixoto aus São Paulo, der heute seinen 18. Geburtstag feiert: mit einem Spiel des Klubs, den er schon als kleiner Bub verehrte. Auch er ist erstmals in New York, bleibt sieben Tage, schaut sich zwei Spiele an. Sein Eindruck? «Alles ist gut organisiert», sagt Peixoto. «In Brasilien ist es komplizierter, ein Spiel anzuschauen, die Polizei ist viel strenger.»
Der Bus fährt los, sobald er voll ist. Die Klimaanlage surrt. Es ist bitterkalt, viele binden sich Schals um. Portugiesische Wortfetzen vermischen sich mit arabischen. Im Schritttempo zwängt sich der Bus durch die 41. Strasse, lässt das Empire State Building und die Glastürme entlang des Hudson Rivers hinter sich, taucht in den Lincoln Tunnel ein und fährt nach New Jersey.
Die Fahrt führt durch dunkle Tunnel und über angerostete Brücken durch eine unwirtliche Sumpflandschaft. Ein Niemandsland mit unzähligen Abzweigungen, in dem sich selbst ortskundige New Yorker oft verfahren. Hier verschwanden in der TV-Serie «The Sopranos» die Mafiosi.
Die Fahrt offenbart die brüchige amerikanische Infrastruktur: aufgerissene Strassen, bröckelnde Geländer, billige Motels und fettige Imbissbuden. Nach 20 Minuten hält der Bus auf dem Parkplatz des Metlife Stadiums. Am Himmel hängt fast regungslos ein Helikopter.

Pünktlich um 10 Uhr öffnen die Tore. Die Sicherheit ist typisch amerikanisch: freundlich, nicht aufdringlich, aber doch wirksam. Am Eingang schnüffelt ein Spürhund nach Bomben, ein paar bewaffnete State Troopers von New Jersey – Kantonspolizisten – gehen zu Fuss durch die Fans. Sie lachen und lassen sich mit ihnen fotografieren. Die Sicherheitskontrolle dauert knapp 20 Sekunden.
Hinter den Metalldetektoren üben sich die Fans in Aktivitäten für ihr Instagram-Konto: Sie spielen auf Mini-Feldern Fussball, Tischfussball, posieren vor einer Wand mit Vereinszeichen ihrer Teams. Hunger stillen ist teuer: Sandwich 24 Dollar, Burger 20, Bier 15, Softeis 8.

Die Klub-WM dient als Generalprobe für die WM 2026 in den USA, Mexiko und Kanada. Erobert werden soll der letzte weisse Fleck auf der Fussball-Landkarte: Amerika. Ein wirtschaftlicher Riese, in dem sportlich Basketball, Baseball und Football regieren – in den Stadien wie vor den Bildschirmen.
Seit sechs Jahren lebt der Ägypter Adel Nail (38) in North Jersey, wo er als Fitnesstrainer arbeitet. Seine Tickets kaufte er im April, als sie für 250 Dollar auf den Markt kamen. «Jetzt kann man sie für 80 Dollar kaufen», sagt er. Da sich die Nachfrage in Grenzen hielt, senkte die Fifa die Preise. «Für mich kein Problem», sagt Nail, der zum roten Trikot eine Nemes trägt, die charakteristische Kopfbedeckung der Pharaonen. «Ich will das auf keinen Fall verpassen, vielleicht spielt Al Ahly ja erst in 20 Jahren wieder in den USA.»
Nicht nur der Parkplatz ist grosszügig angelegt. Das Stadion verfügt über hohe Räume, saubere Toiletten, helle Gänge. Etwas fällt auf: Die Football-Poster der New York Giants und der Jets hängen noch immer. Niemand nahm sich die Mühe, sie durch Fussballbilder zu ersetzen.
Innerhalb des Stadions bieten lokale Imbissbuden amerikanisches Fast Food an: New Yorker Cheesesteaks, Hot Dogs, Nudeln und Dumplings. Den Getränkestand im Bauch des Stadions betreibt Pepsi, nicht der Fifa-Sponsor Coca-Cola. Weil Pepsi immer dort ist.

Neben ihm steht Michael Moses (39) für ein Wasser an. Seit 19 Jahren lebt der Therapeut in New York, längst ist er Amerikaner geworden. Heute hat er freigenommen, weil sein Herz noch immer für Al Ahly aus Kairo schlägt. «Ich bin ein grosser Fan meines Heimatvereins», sagt er und betont: «Das ist der Klub des Jahrhunderts in Afrika.» Nicht mal Real Madrid habe mehr nationale Titel gewonnen als Al Ahly. «Wir sind die Nummer 1 in Afrika.»
Als eine Stunde vor Spielbeginn die amerikanische Nationalhymne erklingt, erhebt sich Moses und singt mit. Die Stimmung ist ausgelassen, friedlich, das Wetter heiss und schwül. Perfekter Sound klingt aus den Lautsprechern. Das Stadion fasst 80 000 Zuschauer, gefüllt sind nur die unteren Ränge. Es wirkt zu einem Viertel gefüllt. 35 179 Fans seien da, sagt der Stadionsprecher.
Um 11 Uhr 17 betreten die Mannschaften das Feld. Die Fans führen Choreografien auf, tanzen, singen, schreien. Obwohl sie 250 Dollar für einen Sitzplatz bezahlt haben, stehen sie 90 Minuten lang.

In der Pause eilen viele in einen klimatisierten Raum mit Bar und Essensstand, um der schwülen Hitze zu entkommen.
Durch ein Eigentor gehen die Brasilianer in der 48. Minute in Führung. Das 2:0 fällt in der 61. Minute nach einem Konter.
Bevor der Schiedsrichter wieder anpfeifen kann, erscheint auf Tausenden Handys im Stadion eine Warnung. Über dem Metlife Stadium haben sich dicke Quellwolken gebildet, die sich in Blitz, Donner und starkem Regen zu entladen drohen. Die Spieler verschwinden in den Katakomben, die Fans müssen die Ränge verlassen und im Gewölbe des Stadions Schutz suchen.
Nach 25 Minuten kommt die Entwarnung per Handy. Das Stadion füllt sich wieder. Zehn Minuten später pfeift der Schiedsrichter an. Just als die Gefahr vorüber ist, fallen die ersten Regentropfen.
Nach 96 Minuten ist Abpfiff. Palmeiras gewinnt 2:0.

Ganz anders der Verkehr. Die Strassen, die nach New York führen, sind verstopft. Über eine Stunde dauert die Rückfahrt. Kaum ist man dem Bus entstiegen, holt einen der New Yorker Alltag wieder ein: hektisch, laut, stinkig. Immer etwas los.
Von der Fussball-WM aber ist in der Stadt nichts zu spüren.
Was bleibt? Globaler Klubfussball ist nicht nur eine europäische Angelegenheit. Die Fans von Al Ahly und Palmeiras sind genauso begeistert wie jene von Barcelona oder Bayern München.
Sicher, der Fussball war auf einem weniger hohen Niveau als in der Champions League, aber die Freude am schönen Spiel war genauso gross.
