Damenwahl

Weil viele Frauen ihn für die bessere Wahl hielten, schicken die USA Donald Trump statt Kamala Harris ins Weisse Haus. Wie kam es dazu?

Von Peter Hossli (Text) und Nathalie Taiana (Fotos)

Eine Frau scheiterte bei den US-Präsidentschaftswahlen, weil viele Frauen sich von ihr abwandten. Stattdessen entschieden sie sich für Donald Trump (78), einen Mann, der als sexistisch und frauenfeindlich gilt. Ausgerechnet bei Wählerinnen schnitt Kamala Harris (60) schlechter ab als Joe Biden (81) vor vier Jahren. Während 2020 noch 57 Prozent der Wählerinnen Biden bevorzugten, waren es in diesem Jahr nur 53 Prozent für Harris.

Doch es waren nicht nur die Frauen, die Harris weniger unterstützten. Auch Schwarze, Jugendliche und Latinos wandten sich von ihr ab.

Warum? Die US-Präsidentschaftswahl 2024 wurde zu einem Triumph des Leistungsprinzips – und zu einer Absage an «woke» und die Identitätspolitik. Gewonnen hat, wer als besser wahrgenommen wurde. Dies ist nicht nur negativ, wenn das Ziel eine gleichberechtigte Gesellschaft ist.

Nicht Geschlecht oder Hautfarbe, Herkunft oder Alter zählten – sondern das, was jemand zu bieten hat. Am 5. November war eine Mehrheit der US-Amerikanerinnen und -Amerikaner der Meinung, dass Donald Trump für ihr Leben die bessere Wahl sei als Kamala Harris.

Viele Amerikanerinnen blickten über die abstossende Persona des New Yorker Immobilien-Tycoons hinweg und stellten sich stattdessen die Frage: Wer verbessert meinen Alltag? Der Komiker Bill Maher brachte es nach der Wahl ätzend auf den Punkt: «Die Frauen dachten sich: Ich muss nicht mit ihm ins Bett, aber er sorgt dafür, dass der Kühlschrank voll ist.»

Als der damals 77-jährige Joe Biden im Januar 2021 ins Weisse Haus einzog, versprach er, eine Brücke zu einer jüngeren Generation zu sein. Dieses Versprechen brach er jedoch, als er im April 2023 ankündigte, erneut für das Amt des US-Präsidenten zu kandidieren – obwohl seine körperliche und geistige Verfassung dies eigentlich nicht mehr zuliess.

Damit verhinderte er geordnete Vorwahlen und stürzte seine Partei ins Chaos. Nach einem enttäuschenden Auftritt im TV-Duell gegen Donald Trump im Juni 2024 zog sich Biden schliesslich zurück und empfahl Kamala Harris zur Wahl – obwohl sie als Vizepräsidentin wenig Rückhalt genoss. Ihre Positionen wurden von vielen als zu radikal wahrgenommen, und es fiel ihr schwer, eine Verbindung zu den Menschen herzustellen.

Die konservative Juristin und Kommentatorin Sarah Isgur (42) spricht in dem Zusammenhang von einer «gläsernen Klippe» und betont: «Harris hat nicht verloren, weil sie eine Frau ist – sie hat die Nominierung bekommen, weil sie eine Frau ist.»

Frauen würden oft in Krisenzeiten befördert, was das Risiko erhöhe, dass sie scheitern. «Scheitern sie, sind sie sofort entbehrlich», sagt Isgur. «Schaffen sie es, klopfen sich die Männer, die sie gefördert haben, auf die Schultern.»

Sie ist sicher: «Das amerikanische Volk wird eine Präsidentin wählen, wenn sie die beste Kandidatin ist. Das war bisher nicht der Fall.»

Harris schirmte sich ab

Harris überzeugte als Kandidatin nicht. Sicher, sie hatte wenig Zeit, ein schlagkräftiges Wahlkampfteam aufzubauen. Doch obwohl viele Wählerinnen und Wähler sie nicht richtig kannten, schirmte sie sich ab. Statt Interviews zu geben oder Pressekonferenzen abzuhalten, hielt sie Reden, die vom Teleprompter abgelesen waren und distanziert sowie kontrolliert wirkten. Als dies nicht funktionierte, begann sie Interviews zu geben – mit mässigem Erfolg. Auf die Frage, was sie anders machen würde als Joe Biden, antwortete sie: «Mir fällt da nichts ein.»

Eine Antwort, die als Todesstoss ihrer Kandidatur gilt. Es schien, als hätte sie nicht erkannt, wie unbeliebt Biden in der Bevölkerung war, wie unzufrieden Menschen mit geringem Einkommen mit der aktuellen Lage waren und dass sie sowohl den amtierenden Präsidenten als auch die Vizepräsidentin dafür verantwortlich machten.

Zwar versuchten amerikanische Medien, eine Begeisterung für Harris zu entfachen – vergleichbar mit der Euphorie für Barack Obama (63) im Jahr 2008, als er mit dem Slogan «Yes, we can» ins Weisse Haus einzog. Doch wer nachfragte, merkte: Die Begeisterung galt nicht Harris oder ihren politischen Ideen, sondern allein der Hoffnung, Trump zu verhindern.

Gegen jemanden zu sein, reicht nicht aus, um Präsidentin zu werden.

Harris gab rund 2,5 Milliarden Dollar für ihre Kandidatur aus. Es kostete Millionen, Stars wie Beyoncé (43), Eminem (52), Lady Gaga (38) und Oprah Winfrey (70) dazu zu bewegen, für sie Wahlkampf zu machen. Trump zahlte seinem Personal 10 Millionen Dollar, während sich die Personalkosten bei Harris auf eine halbe Milliarde Dollar beliefen. Traditionell zieht die Person ins Weisse Haus ein, für die Menschen freiwillig arbeiten.

Kamala Harris jedoch kaufte sich die Unterstützung. Folglich war die viel beschworene Begeisterung eine Phantombegeisterung. Konservative Frauen hingegen erkannten, dass Trump durchaus Frauen förderte.

Auf dem Parteitag der Republikaner in Milwaukee Mitte Juli sprachen viele Frauen. Eine der beeindruckendsten Reden hielt die Gouverneurin von Arkansas, Sarah Huckabee Sanders (42). Nach ihrem Auftritt wurde gemunkelt, wann sie wohl für das Präsidentenamt kandidieren werde.

Manche Republikanerinnen trugen einen «Women for Trump»-Knopf am Revers. Sie unterstützten einen Mann, der fünf Kinder mit drei Frauen hat und einer Pornodarstellerin Schweigegeld zahlte – und das in einer Partei, die Moral und die Heiligkeit der Ehe predigt.

Trump als ehrlich wahrgenommen

Trump sei «ehrlich», sagte mir die Anwältin Adrienne King (77) aus dem US-Bundesstaat Hawaii. «Er ist nicht doppelzüngig. Der Mann, den man sieht, ist der Mann, den man bekommt.» Die meisten amerikanischen Politiker seien nett und höflich, bevor sie sich gegenseitig in den Rücken fallen. «Trump ist vieles, aber er ist kein Verräter.» Man könne sich auf ihn verlassen. Ungeschminkt sage er die Wahrheit. «Und das kommt bei Frauen besser an als oberflächliche Heuchelei.»

Reporter Peter Hossli im Gespräch mit Savana May in Milwaukee.

Nicht nur ältere Frauen unterstützten Trump. Die 21-jährige Savana May, die in Kalifornien aufwuchs und in Texas Politikwissenschaften studiert, betont, wie sehr Trump als Präsident Frauen gefördert und zahlreiche Posten mit Frauen besetzt habe. Zudem sei die Arbeitslosigkeit unter Frauen während seiner Amtszeit stark gesunken.

Die Studentin, die in ihrer Freizeit Orientierungslauf betreibt, erinnert sich an ihre Highschool-Zeit, als sie gegen Männer antreten musste und keine Chance hatte. «Trump will verhindern, dass wir gegen biologische Männer antreten müssen», sagt sie. Anders die Demokraten, die trans Frauen im Frauensport zulassen wollten. «Die Demokraten predigen Feminismus, aber sie erlauben uns Frauen nicht einmal, im Sport erfolgreich zu sein.»

Val Biancaniello

Aus Philadelphia war die Atemtherapeutin Val Biancaniello (54) zum Parteitag der Republikaner angereist. Sie habe Trump unterstützt, «weil unter ihm Lebensmittel und Benzin billiger waren. Es war einfacher, eine Familie zu ernähren», sagt die Italoamerikanerin. Die sexuellen Eskapaden des New Yorkers interessierten sie nicht. «Das ist weniger schlimm, als Steuergelder in der Ukraine zu verschwenden.»

«Mangel an starken Männern»

Ähnlich sieht es Marla Brown (54), republikanische Abgeordnete aus Pennsylvania. Für sie sind Familienwerte wichtig. Dass zwei von Trumps drei Ehen gescheitert sind und er immer wieder Affären hatte, verzeiht sie ihm als Mensch. «Ich bin selbst geschieden. Wir alle machen Dinge, die wir bereuen.» Kann sie erklären, warum Trump bei Frauen so gut ankommt? «Weil es in unserer Gesellschaft heute einen Mangel an starken Männern gibt», sagt Brown. «Er verhält sich wie ein richtiger Mann – und dazu gehört, dass er sich um seine Familie kümmert.»

Konservative Werte liegen im Trend. Die erfolgreichste TV-Serie der letzten Jahre war «Yellowstone» mit Kevin Costner als liebendem Patriarchen, der das Land bewahren und die Familie über alles stellen will. «Einige Demokraten wachen endlich auf und erkennen, dass ‹woke› vorbei ist», schrieb die «New York Times»-Kolumnistin Maureen Dowd (72) in einem viel beachteten Essay nach der Wahl.

Eine Partei, die mit Worten und Buchstabenkombinationen um sich wirft, die viele nicht mehr verstehen. Sie spricht nicht von Latinos oder Latinas, sondern von «Latinx», um undefinierte Geschlechter einzubeziehen – Begriffe, die für die Mehrheit der Menschen irrelevant sind. Diversitätsjargon wie BIPOC oder FLINTA «entfremdet die Hälfte des Landes, wenn nicht mehr», so Dowd.

Seit Jahren repräsentieren die demokratischen Präsidentschaftskandidaten die Eliten – ob Michael Dukakis, John Kerry, Barack Obama, Hillary Clinton oder jetzt Harris. Die Arbeiterklasse aber haben sie vergrault und an den Rand gedrängt. «Die Demokraten haben eine Weltsicht angenommen, die von übertriebener politischer Korrektheit, Herablassung und Ausgrenzung geprägt ist.»

Noch im vergangenen Jahr feierte Amerika den Sommer der «girlhood», der Mädchenpower. Taylor Swift (34) füllte die Stadien und prangerte Sexismus an. Gleichzeitig wurde «Barbie» ein Kinohit. Parallel dazu gewannen in den sozialen Medien sogenannte Tradwives an Popularität – Frauen, die sich bewusst für traditionelle Rollenbilder aussprechen. Während viele Medien diesen Trend belächeln, findet er in konservativen amerikanischen Kreisen zunehmend Zuspruch.

Prominente linke Frauen wie die ehemalige First Lady Michelle Obama (60) und die Schauspielerin Julia Roberts (57) richteten Appelle an die Frauen. «Eine Stimme für Trump ist eine Stimme gegen uns», sagte Obama. Roberts erklärte in einem Werbespot, Frauen müssten ihren Männern ja nicht sagen, wen sie wählen.

Doch diese Aufrufe bewirkten das Gegenteil. Viele Frauen fühlten sich bevormundet – und wandten sich von Harris ab. Sie wählten nicht aus weiblicher Solidarität, sondern aus ökonomischer Notwendigkeit. Manche schätzten, wie sehr sich Trump für Mütter einsetzte, andere mochten, dass er als beschützender Mann auftrat.

Gleichzeitig verpuffte der Angriff auf Trumps Persönlichkeit. Die Demokraten hatten diese Debatte bereits vor Jahrzehnten mit Bill Clinton (78) verloren, als sie den damaligen Präsidenten trotz seiner sexuellen Übergriffe auf Frauen verteidigten.

Die 34-jährige Kellnerin Debbie Muta aus Scranton, Pennsylvania, stammt aus einer Familie, die ihr Leben lang demokratisch gewählt hat. Trotz dieser Tradition entschied sie sich für Donald Trump. «Er hat einen guten Job gemacht», sagt sie. Sein clowneskes Auftreten stört Debbie Muta nicht. «Schliesslich strahlt er Selbstbewusstsein aus, er weiss, was er will.»

Debbie Muta