Von Peter Hossli
Alle tragen Rot. Rote Hüte, rote Anzüge, rote Kleider. Ein vierjähriger Junge trägt rote Hosen, die rote Träger halten, dazu eine rote Krawatte. «Wir sind hier, um unseren Präsidenten zu feiern», sagt seine Mutter, die ein rot glitzerndes Gilet trägt. Der Kleine darf heute etwas länger aufbleiben, denn: «Das wird ein historischer Abend.»
Auf ein Comeback von Donald Trump, 78, hat sich die Kongresshalle von West Palm Beach an diesem ersten Dienstag im November eingestellt. Hier feiert der Republikaner das Ende des Wahlkampfs.
Ein Heer von Sicherheitsleuten bewacht die Halle. Hunde schnüffeln nach Sprengstoff, Scharfschützen positionieren sich auf Dächern, und Medienschaffende suchen nach starkem Kaffee.
Früh ist klar: Der New Yorker Immobilien-Tycoon wird einen guten Abend in Florida haben, das zeigen die ersten Resultate. Sie fallen für ihn weitaus besser aus als prognostiziert.
Seine Anhänger essen vegetarische Frühlingsrollen, harten Käse, Trauben und verschiedene Sorten Aufschnitt. Dazu trinken sie amerikanisches Bier und französischen Rotwein.
Kurz vor zwei Uhr in der Früh steht Trump als Sieger fest, gewählt als 47. Präsident der USA. Menschen stossen an, fallen sich in die Arme, jubeln. Eine Stunde später betritt ihr Idol die Bühne, Trump herzt seine Gattin Melania, 54, die künftige First Lady, bedankt sich bei seinen Kindern, dem ganzen Team. Vizekandidat JD Vance, 40, spricht vom «grössten politischen Comeback der amerikanischen Geschichte».
Trump überrascht mit einer demütigen Rede. Er werde das Land «heilen», verspricht er, und schlägt versöhnliche Töne an. Er weiss: Zu Ende geht ein unschöner Wahlkampf, geprägt von Hass und Hysterie. Demokraten verglichen Trump mit Hitler und nannten ihn ein «Krebsgeschwür». Republikaner verunglimpften die demokratische Widersacherin Kamala Harris, 60, als «geistig behindert».
Diese tiefen Gräben gilt es nun zuzuschütten. Was nicht einfach scheint. Zumal die Kluft nicht nur entlang ideologischer, sondern vor allem wirtschaftlicher Grenzen verläuft. Talentierte Menschen in den Zentren New York, dem Silicon Valley und Hollywood galoppieren der weniger gebildeten Bevölkerung im Mittleren Westen oder im Süden davon.
Amerika heute bedeutet: hier die wohlhabenden Eliten. Dort jene, die glauben, abgehängt zu werden.
In der Wahlnacht in West Palm Beach stellt sich Trump vor ein Meer amerikanischer Flaggen auf die Bühne und sagt, er werde im Weissen Haus für alle Bürgerinnen und Bürger kämpfen, damit sie ein besseres Leben haben.
Es wirkt, als würde er eine Gelegenheit wittern, sein politisches Vermächtnis anders zu deuten. Ihm bleiben vier Jahre, um als Präsident das zerrissene Amerika zusammenzuführen.
Schlecht stehen die Chancen nicht. Trump übernimmt am 20. Januar 2025 ein Land in guter Verfassung. Amerika ist innovativ, liberal, führend in Wissenschaft, Forschung und Digitalisierung. Aus dieser komfortablen Situation heraus lässt sich die Spaltung des Landes angehen.
Kurz nach drei Uhr am Mittwoch früh beginnen Kameraleute und Tontechniker, ihr Material zu verstauen. Fast 20 Stunden haben sie in der Kongresshalle von West Palm Beach verbracht. Ein Trump-Fan genehmigt sich ein letztes Bier, der französische Rotwein ist längst getrunken.
Es ist der Schlusspunkt einer merkwürdigen Wahl, bei der viel passierte, die aber inhaltlich wenig hergab.
Zwei Männer versuchten, den republikanischen Kandidaten zu töten. Die Demokraten drängten ihren Kandidaten, US-Präsident Joe Biden, 81, zum Rückzug. Neue Ideen fehlten auf beiden Seiten.
Letztlich gewann Trump, weil er immerfort drei Dinge ansprach, die die Menschen bewegen: die hohen Preise, die Einwanderung, die Kriege, die in der Ukraine und im Nahen Osten toben.
Damit traf er einen Nerv: Trump, der laute Milliardär, der die Leiden des Alltags versteht.
Und Kamala Harris? Sie ist jünger und sympathischer als Trump, ihre Ausstrahlung einnehmender als das finstere Bild des Mannes, der mit sexistischen und rassistischen Sprüchen schockierte wie kein US-Präsident vor ihm.
Harris riss die Demokraten im Juli zwar aus der Biden-Lethargie. Und sie sammelte in kurzer Zeit reichlich Geld. Zuletzt fehlte ihr aber der stichhaltige Grund, warum man sie wählen sollte – ausser, dass sie nicht Trump ist.
Dass das nicht reichen würde, zeichnete sich bereits am hastig organisierten Parteitag der Demokraten im August in Chicago ab. Harris blieb vage, obwohl sie und ihre Mitstreiter Trump in über 100 Reden frontal angriffen.
Trump hingegen zeigte während des gesamten Wahlkampfs überraschend viel Gelassenheit. Ja, er hatte fröhliche, sogar komische Momente. Etwa als er in einem McDonald’s-Restaurant Pommes frittierte und sie durch ein Drive-Thru-Fenster an die Kundschaft reichte. Oder als er eine Pressekonferenz in einem Müllwagen abhielt, nachdem Präsident Biden seine Anhänger als «Müll» gedemütigt hatte.
Es waren Auftritte, die seine Nähe zu den Menschen unterstrichen. Insbesondere in den wahlentscheidenden Schlüsselstaaten wurde er dadurch greifbar.
Anders Harris. Sie gab sich als Kandidatin der Fröhlichkeit aus, schaffte es aber nicht, diese zu leben. Echte Begeisterung kam selten auf. Irgendwie abgedroschen wirkten die alten Grössen, die seit nunmehr 20 Jahren für die Demokraten in den Wahlkampf ziehen: die Obamas, die Clintons, Bruce Springsteen, 75, Oprah Winfrey, 70. Auch von ihnen kam nicht mehr als: Trump verhindern.
Zurück bleibt eine politische Lektion: Gegen jemanden zu sein, reicht nicht, um im Weissen Haus wohnen zu dürfen. Um Amerika zu regieren, muss man diesem Land etwas anbieten.