«Wir haben in den letzten Jahren nicht gross genug geträumt»

Mit einer pompösen Veranstaltung im Madison Square Garden warb Donald Trump für eine zweite Amtszeit im Weissen Haus. Seine etwas längliche Rede geriet zu einer Anklage gegen Kamala Harris – und zu einem Versprechen für eine bessere Zukunft.

Von Peter Hossli (Text) und Stefan Falke (Fotos)

Zum Abschluss erklang der Klassiker «New York, New York». Ein Sänger stimmte ihn im Madison Square Garden an und trat auf die Bühne neben Donald Trump (78). «Wenn ich’s dort schaffe, dann schaffe ich’s überall», sang er dem New Yorker Präsidentschaftskandidaten ins Gesicht, der gerade eine eineinhalbstündige Rede gehalten hatte. Als wolle er sagen: «Hey, du bist hier in New York reich und berühmt geworden, du kannst auch wieder Präsident der USA werden.»

Es war 20.40 Uhr am Sonntagabend in New York, als Trump mit seiner Frau Melania (54) den Madison Square Garden verliess – die wohl berühmteste Sport- und Konzertarena der Welt. Mitten im liberalen New York setzte der konservative Trump eine Art Schlusspunkt unter seinen Wahlkampf – Blick war dabei.

Alle 20’000 Plätze im Stadion waren besetzt, draussen auf den Strassen verfolgten 75’000 Menschen die Rede auf Grossleinwänden.

Trumps Auftritt war Versprechen und Anklage zugleich. Er erhob schwere Vorwürfe gegen seine Gegnerin Kamala Harris und versprach im Fall seines Wahlsiegs ein besseres Amerika.

New York sei «die Stadt, die ich liebe», begann er. Dann stellte er dem begeisterten Publikum eine einfache Frage: «Geht es euch heute besser als vor vier Jahren?» Ein lautes Nein schallte ihm entgegen. Er nahm es auf und versprach: «Ich werde euch den amerikanischen Traum zurückbringen.»

Um diesen Traum zu beschreiben, zählte er im Stakkato-Rhythmus Adjektive auf: Reicher, grösser, besser, sicherer, mutiger und stärker als je zuvor werde Amerika unter seiner Präsidentschaft sein – militärisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich und gesellschaftlich. «Wir haben in den letzten Jahren nicht gross genug geträumt. Ich lade euch ein, wieder grosse Träume zu haben.»

Fokus auf drei Themen

Wie schon während seines gesamten Wahlkampfs konzentrierte sich Trump auf drei Themen: die Wirtschaft, die Sicherheit der Grenzen und die globalen Kriege.

Mit ihm als Präsident werde er nicht weniger als «ein neues goldenes Zeitalter für Amerika» zurückbringen. Erreichen will er das mit niedrigen Steuern und hohen Zöllen auf Importgüter. Sein neuester Vorschlag: Steuererleichterungen für alle, die Angehörige pflegen. Schon in seinem ersten Amtsjahr würden die Energiepreise um 50 Prozent sinken, weil er reichlich Öl aus amerikanischem Boden fördern werde.

Sobald er wieder im Weissen Haus regiere, werde er die Grenzen sichern. «Was wir jetzt erleben, ist schlimmer als die Inflation, schlimmer als die Wirtschaftskrise», wandte sich Trump anklagend an seine Gegner. «In den letzten vier Jahren hat Kamala Harris das Volk verraten wie niemand sonst in der amerikanischen Geschichte.»

Sie habe ihren Eid, die Grenze zu sichern, gebrochen. Deshalb sei ein Heer von kriminellen Einwanderern ins Land gekommen. Diese werde er sofort abschieben.

«Grob inkompetent»

Sein dritter Punkt betraf die Aussenpolitik. Trump betonte, was er schon oft gesagt habe: «Ich habe nie einen Krieg begonnen, und ich werde nie einen Krieg beginnen.»

Unter Präsident Joe Biden (81) und Kamala Harris sei der Iran stärker geworden, sodass die Hamas Israel angreifen konnte. Das wäre unter ihm nicht passiert. Genauso wenig wie der russische Angriff auf die Ukraine. Er werde den Krieg schnell beenden.

Und Harris? «Sie würde uns in den Dritten Weltkrieg führen», sagte Trump und nannte sie «grob inkompetent».

Er lobte seine Frau Melania Trump dafür, dass ihre Memoiren auf Platz eins der «New York Times»-Bestsellerliste stünden, und dankte dem Unternehmer Elon Musk für sein Engagement im Swing State Pennsylvania.

Zum Schluss ermunterte er die Republikaner, wählen zu gehen und andere zu ermutigen, es ihnen gleichzutun. Er prahlte damit, in allen Swing States in den Umfragen vorne zu liegen, sagte aber: «Tut so, als läge ich hinten – und strengt euch besonders an.»

Der amerikanische Traum werde nur zurückkehren, «wenn wir Kamala Harris besiegen und ihre linksradikale Agenda mit einem Erdrutschsieg stoppen».

New York wurde zur Festung

Noch bevor die Sonne über New York aufging, stellten sich die Anhängerinnen und Anhänger vor den Toren des Madison Square Garden auf. Tausende waren gekommen, um ihr Idol zu sehen.

Dabei dürfte Trump im Bundesstaat New York kaum gewinnen. Er trat hier auf, um Aufmerksamkeit zu erregen – nicht nur in den traditionellen Medien, sondern auch auf den Social-Media-Plattformen. New York eignet sich hervorragend, um Geld für die Wahlkampfkasse zu sammeln.

Die Gegend rund um den Madison Square Garden glich einer Festung. Die Polizei hatte viele Strassen abgeriegelt, selbst für Fussgänger. Am Himmel kreisten Helikopter. Rund um die Sporthalle bildeten sich lange Schlangen. Die Stimmung war ausgelassen.

Um 12 Uhr öffneten sich die Tore. Die Menschen strömten hinein. «Ich bin ein bisschen nervös, so viele Trump-Anhänger mitten in New York zu sehen», sagte die Lehrerin Sherene Sokol (51) aus Poughkeepsie, zwei Autostunden von Manhattan entfernt. Sie sprach aus, was im Wahlkampf von Trump-Anhängern oft zu hören war: «Wir brauchen Trump, weil wir wirklich leiden. Die Leute können sich das Essen nicht mehr leisten.»

Kein gutes Vorbild

Trump sei jemand, «der für die Menschen da ist, ein normaler Typ, der Amerika helfen will», fand sie. Nur eines störe sie: «Ich mag es nicht, wenn er schimpft. Ich bin Lehrerin, und wenn er bellt und andere angreift, ist er kein gutes Vorbild.»

Der 42-jährige Sam Pecoraro, der im Bankensektor arbeitet, unterstützt Trump, weil er China die Stirn biete und sich gegen den «zügellosen Freihandel» wende. Für ihn ist es «phänomenal, dass Trump in diesem ikonischen Stadion auftritt, auch wenn es mehr Sinn machen würde, wenn er in Wisconsin oder Pennsylvania wäre». Auf seinem gelben Pullover trug Pecoraro einen Button mit der Aufschrift «LGBTQ for Trump». Ja, er sei schwul, und er wähle Trump, «weil er nichts gegen Homosexuelle hat».

Seit sieben Jahren fährt Rocky Granata (65) mit einem umgebauten Bus zu fast jedem Auftritt von Donald Trump. Er verkauft T-Shirts, Hüte und Fahnen. Das letzte Mal war er vor acht Jahren in New York, als Trump hier seine Wahlparty feierte. «Damals war die ganze Stadt feindselig», sagt Granata. Jetzt habe er mehrere Tage in Manhattan verbracht. «Es gibt viel Liebe für Trump, und viele haben Angst, öffentlich zu sagen, dass sie ihn mögen. Es gibt viele liberale Leute in New York, die jetzt zu Trump übergelaufen sind.»

Zumindest hatte man an diesem Sonntag Ende Oktober in New York diesen Eindruck.