“Yes, she can!”

Elegant, cool und glatt: Die Obamas begeisterten die Menge in Chicago und gaben Kamala Harris ihren Segen. Berührt hat am zweiten Abend des Parteitags ein anderer: Harris' Ehemann Doug Emhoff hielt eine Liebeserklärung an seine Frau.

Von Peter Hossli (Text) und Nathalie Taiana (Fotos) aus Chicago

Keiner der 25000 Plätze im United Center in Chicago blieb frei. Menschen sassen auf Treppen, blockierten Gänge und standen – um einen Einheimischen zu hören. Kurz nach 22 Uhr betrat Barack Obama (63) die Bühne des Parteikonvents der Demokraten in Chicago – und begeisterte das Publikum. Seinetwegen sind sie gekommen, seinetwegen haben Millionen Amerikaner den Fernseher eingeschaltet.

Während US-Präsident Joe Biden (81) am Vorabend noch kurz vor Mitternacht sprechen musste, als gehöre er nicht mehr dazu, bekam Ex-Präsident Obama einen Spot zur besten Sendezeit.

Mit einem «Ich fühle mich gut» begann er, wirkte cool, elegant, glatt.

Sein Lob für Biden und dessen Rückzug als Präsidentschaftskandidat schien ehrlich gemeint, auch wenn Obama ihn dazu gedrängt haben soll.

Ein frontaler Angriff auf Donald Trump

Schnell verfiel der Ex-Präsident in das, was auf dem Parteitag der Demokraten offenbar wichtiger ist als die eigene Kandidatin: Er griff Donald Trump frontal an, beschimpfte den Republikaner als «78-jährigen Milliardär», der ständig jammere, Verschwörungstheorien verbreite und die reproduktiven Rechte weiter einschränken wolle. Geschickt streute er Sätze ein, die Wirkung zeigten: «Wir brauchen nicht noch einmal vier Jahre Chaos, wir haben es schon einmal erlebt, und wir wissen: Die Fortsetzung ist meistens noch schlimmer.»

Er sprach viel mehr über Trump als über Kamala Harris. Sein Lob für sie klang etwas schal. Die Vizepräsidentin sei bereit für den Job im Weissen Haus, alles, was sie habe, habe sie sich erarbeitet. Seinen Vizekandidaten Tim Walz (60) hingegen «liebe» er. «Er ist ein Typ, der in der Politik sein muss, der weiss, wer er ist und wo er hingehört.»

Wie einst als Präsident sprach Obama langatmig, klang wie ein guter Prediger, der Worte geschickt zu Sätzen und Abschnitten zu verknüpfen weiss, der die richtigen Pausen setzt und den Applaus geniesst – und bei dem man sich dann doch fragt: Steckt zwischen den schönen Worten auch Substanz?

Nach gut zwanzig Minuten kam der Satz, auf den alle gewartet hatten. «Yes she can», ja, Kamala Harris kann es, sagte er in Anlehnung an seinen berühmten Satz «Yes we can». Als er dann die Rezepte aufzählte, wirkte Obama wie der ältere Mann, der der jüngeren Frau seine Taktik aufzwingen wollte.

Ganz zum Prediger wurde er gegen Ende seiner knapp 40-minütigen Rede, als er den Appell wiederholte, den er vor zwanzig Jahren bei seinem Eintritt in die Politik formuliert hatte: Die Spaltung Amerikas müsse aufhören. Ja, das sei möglich, weil alle Amerikaner das gleiche Ziel einer noch besseren Gemeinschaft anstrebten. Aber nur Harris könne es erreichen.

 

Um zu gewinnen und ein gerechteres Amerika zu schaffen, müssten die Demokraten hart arbeiten. Sein Appell: «Let’s get to work.»

Seine Frau Michelle Obama (60) hatte ihn vorgestellt. «Etwas Magisches liegt in der Luft – die ansteckende Kraft der Hoffnung». Sie glänzte mit einem Satz: «Hope is making a comeback» – die Hoffnung kehrt zurück, eine Anspielung auf den Wahlslogan ihres Mannes. Dann machte sie Harris gross und Trump klein, wobei sie mit dem Republikaner weit mehr Zeit verbrachte als mit der Kalifornierin. Sie nannte ihn «rassistisch» und «frauenfeindlich» – und warf Trump vor, andere Menschen kleinzumachen. «Das ist das Gegenteil von dem, was wir unseren Kindern beibringen.» Die Wahl werde ein «harter Kampf». Sie sagte: «Sitzt nicht herum, tut etwas!» Eine Parole, die der ganze Saal wiederholte.

Liebeserklärung vom Second Gentleman

Vor den Obamas glänzte Doug Emhoff (59), der Ehemann von Harris, dem ersten Second Gentleman, der nun der erste First Gentleman werden will.

Seine Rede war überraschend witzig – und berührend liebevoll. Er erzählte von seiner Jugend in New Jersey, wie seine Freunde von damals immer noch seine besten Freunde seien. Sagte, wie sehr er Kamala Harris schätze. Wie sie seine Patenfamilie zusammenhielt, wie sie die «Momala» seiner beiden Kinder wurde, seine Mutter Kamala.

Er stellte seine Eltern vor, die seit 70 Jahren verheiratet sind. «Meine Mutter ist die Einzige, die glaubt, dass Kamala die Glückliche ist, weil sie mich geheiratet hat.»

Er outete sich als Nirvana-Fan, bedauerte seine Scheidung und erzählte vom Blind Date mit Harris, dass sie ihm damals ihre Telefonnummer gegeben habe. Und dass er ihr um 8.30 Uhr morgens eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen habe, die Kamala ihm an jedem Hochzeitstag vorgespielt habe.

Das nächste Mal am Donnerstag. An diesem Abend wird er seiner Frau zuhören, wie sie die Nominierung annimmt. «Kamala Harris war die richtige Person für mich in einer schwierigen Zeit meines Lebens, und sie wird die richtige Person für Amerika in einer schwierigen Zeit sein.»

Roll Call mit Rock ‘n’ Roll

Begonnen hatte der Abend mit den ordentlichen Geschäften. Die rund 4700 Delegierten wählten beim sogenannten «Roll Call» Harris offiziell zur Präsidentschaftskandidatin und Tim Walz (60) zu ihrem Stellvertreter. Zu rockigen Klängen von Eminem und Bruce Springsteen stimmte ein Bundesstaat nach dem anderen für Harris/Walz. Zuletzt wählte Harris’ Heimatstaat Kalifornien.

Kurz darauf standen Harris und Walz auf einer Bühne in Milwaukee, Wisconsin – und nahmen die Nominierung an, live übertragen in die Arena nach Chicago. «Ihr werdet den Second Gentleman bald hören», machte Harris auf ihren Mann Doug Emhoff (59). «Und wir sehen uns in zwei Tagen in Chicago.»