Nahost-Konflikt wird zum Albtraum für Kamala Harris

Widerstand von Links: Am Parteikonvent der Demokraten kommt es täglich zu grossen Protestmärschen. Sie richten sich gegen die Israel- und die Einwanderungspolitik von Kamala Harris.

Von Peter Hossli (Text) und Nathalie Taiana (Fotos) aus Chicago

Sie ist mit dem Nachtbus aus St. Paul, Minnesota, nach Chicago gekommen. Seit Sonnenaufgang steht Diane Schrack (68) am Strassenrand in der Nähe des Union Parks – und hält ein Schild hoch. «Die Demokraten sind die Völkermord-Partei.» Hinter ihr versammeln sich Tausende, viele tragen Palästinensertücher und Fahnen, einige sind vermummt.

Schrack zeigt ihr Gesicht. «Ich bin hier, um gegen den Präsidenten zu demonstrieren, der Waffen nach Israel schickt – und damit für den Völkermord in Gaza verantwortlich ist.» Die Demokraten seien eine Partei, «die vorgibt, für Menschenrechte einzustehen, aber nicht aufhört, Bomben in Kriegsgebiete zu verkaufen».

Helfen die Demonstranten Trump?

Und was sagt sie zur Aussage von Kamala Harris (59), Demonstrantinnen wie sie würden Donald Trump (78) zum Sieg verhelfen? «Sagen Sie Frau Harris, dass Trump derzeit keine Waffen schickt. Die Demokraten sind die Kriegspartei.»

Was Schrack sagt, denken in Chicago viele, die während des Parteikonvents der Demokraten täglich auf die Strasse ziehen.

Für Harris ist das ein Albtraum.

Die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten ist zwischen zwei Fronten geraten. Der linke Flügel ihrer Partei und die arabisch-muslimische Community lehnen die Israel-Politik von US-Präsident Joe Biden (81) ab. Das könnte sie vor allem im Swing State Michigan Stimmen kosten, wo rund 300’000 arabische Amerikaner leben.

Harris versucht, sich von Biden zu distanzieren, ohne die jüdischen und israelfreundlichen Wählerinnen und Wähler zu verärgern. Diese fordern von Harris ein klares Bekenntnis zur jahrzehntelangen Allianz zwischen den USA und Israel.

Junge lehnen Waffenlieferungen nach Israel ab

Insbesondere um die Stimmen junger Menschen muss die Demokratin fürchten. Laut einer am Montag veröffentlichten Umfrage der Universität von Chicago lehnen 36 Prozent der Amerikaner unter 40 Jahren jegliche Militärhilfe für Israel ab, 33 Prozent sind dafür.

Der Konflikt hat das United Center erreicht, das Sportzentrum, in dem die Demokraten ihren Parteitag abhalten. Einige Delegierte tragen Anstecknadeln mit der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand in Gaza. Andere halten täglich eine Mahnwache für die seit dem 7. Oktober getöteten Israelis und Palästinenser. Pro-israelische Gruppen betonen derweil, Harris dürfe sich von den Linken nicht einschüchtern lassen.

Was angesichts der täglichen Aufmärsche in Chicago schwierig scheint. Der Trucker Dave Marlow (34) trägt ein offenes Hemd, in der Hand hält er eine palästinensische Fahne. Er ist aus Atlanta, Georgia, einem wahlentscheidenden Swing State, angereist. «Es ist wichtig, dass die Menschen in Sicht- und Hörweite des Parteitags protestieren», sagt er.

Die Demokraten seien zurecht wieder zuversichtlich, Trump stoppen zu können. «Aber das werden wir nur schaffen, wenn Kamala Harris sich ändert und nicht die Politik von Biden fortsetzt.»

«Opportunistin Harris»

Marlow widerspricht der These, dass der linke Flügel der Demokraten Trump den Sieg beschere. «Es ist Kamala Harris, die Trump zum Sieg verhilft, weil sie ihre Israel-Politik nicht ändert. Eine Mehrheit der Amerikaner lehnt sie ab.»

Zumal eine andere Israel-Politik viele Junge an die Urnen und Harris Stimmen bringen würde, betont Marlow. «Aber je länger sie sich weigert, das Richtige zu tun, desto näher rückt eine zweite Trump-Präsidentschaft.» Das hoffe er zwar nicht. Aber: «Im Moment kann ich keinem der beiden meine Stimme geben.»

Widerstand aus dem linken Lager erfährt Kamala Harris nicht nur wegen ihrer Israelpolitik. Die Lehrerin Montana Hersh (30) ist aus Minneapolis nach Chicago gekommen, um eine liberale Einwanderungspolitik zu fordern. Präsident Biden habe Trumps Mauer an der mexikanischen Grenze weiter gebaut und gehe genauso entschieden gegen Einwanderer vor wie die Republikaner. «Biden und Harris haben das Asylrecht stark eingeschränkt, wir fordern eine Legalisierung für alle.»

Von Harris sei sie enttäuscht. Seit sie Kandidatin der Demokraten sei, habe sie in Werbespots harte Massnahmen gegen illegale Einwanderer gefordert, um Kritik von Trump zu vermeiden. «Das ist Opportunismus, den wir nicht akzeptieren.»

Die Juristin Coleen Rowley (69) steht mitten auf der Ashland Avenue. «Hup für einen Waffenstillstand», heisst es auf ihrem Schild. Wenn jemand hupt, strahlt sie. Eine Woche nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 begann sie gegen die amerikanische Israel-Politik zu demonstrieren. «Kamala Harris ist nicht anders als Biden.»

Sie lehne Kriege generell ab.«Leider sind beide Parteien zu Kriegsparteien geworden – sie unterscheiden sich nicht in ihrer Aussenpolitik.»

Jahrzehntelang habe sie Demokraten gewählt, seit dem Drohnenkrieg des damaligen Präsidenten Barack Obama (63) könne sie das nicht mehr. Wen wählt sie jetzt? Sie sagt, was viele der Demonstranten sagen: «Jill Stein» – die 74-jährige Kandidatin der Grünen.

Es sind Stimmen, die Kamala Harris nicht erhält.