Von Peter Hossli
Nun will Vizepräsidentin Kamala Harris (59) ins Weisse Haus einziehen. Eine klare Botschaft fehlt ihr. Blick zeigt auf, welche Herausforderungen sie in den nächsten Wochen angehen muss.
Vor vier Jahren scheiterte ihre Kandidatur, weil sie kein packendes Thema hatte. Keinen dringenden Grund, warum sie Präsidentin sein soll. Weil sie immer wieder neue Themen besetzt, haftet ihr der Ruf der Opportunistin an. Wo sie steht, ist unklar. Zumal sie nur vier Jahre im Senat sass und später als Vizepräsidentin stets loyal die Politik Bidens verteidigte.
Zur Welt kam Harris 1964 in Oakland im US-Bundesstaat Kalifornien. Ihre Eltern waren beide in die USA eingewandert, die Mutter aus Indien, der Vater aus Jamaika. Sie studierte Politikwissenschaft und Jura, diente als Staatsanwältin von San Francisco und Kalifornien. In dieser Rolle machte sie sich einen Namen als Schrecken der Wall Street. Sie verklagte Grossbanken wie JP Morgan Chase und die Bank of America.
Weil sie die Hochfinanz ins Visier genommen hat, wird sie von den Republikanern als radikale Linke dargestellt. Aber nicht nur deswegen.
Politisch ist Kamala Harris ein Gegenentwurf zu Donald Trump. Sie will schärfere Waffengesetze und ein uneingeschränktes Recht auf Abtreibung. Will Trump die Steuern senken und die Vorschriften für Unternehmer lockern, sieht Harris noch höhere Steuern vor als Biden. Weil die Demokraten strengere Regeln fordern, laufen Unternehmer aus dem Silicon Valley zu Trump über. Darunter Tesla- und X-Besitzer Elon Musk (53).
Trump wie Harris gelingt es, Frauen zu mobilisieren – er die konservativen, sie die liberalen.
Grosse Differenzen bestehen bei der Energiepolitik. Harris setzt auf Wind und Sonne. Fracking, das Herauspressen von Öl aus Schiefer und Sand, will sie verbieten. «Drill, Baby, Drill» ist dagegen Trumps Schlachtruf. Er will so viel Öl wie möglich in den USA fördern.
Eine Präsidentin Harris würde auf globale Allianzen setzen. Trump betonte auf dem Parteitag letzte Woche, keine Kriege mehr für andere Länder führen zu wollen.
Wenige Stunden nach Bidens Rückzug als Präsidentschaftskandidat begannen die Republikaner, Harris anzugreifen. Sie setzen auf drei Themen. Die Vizepräsidentin ist zuständig für die Situation an der Grenze zu Mexiko. Harris habe ein Chaos angerichtet und sich nicht genug darum gekümmert, so Trump. Deshalb seien Millionen von Menschen illegal ins Land gekommen. Sie habe zudem geholfen, Bidens Altersschwäche zu vertuschen. Und schliesslich werfen die Republikaner Harris vor, die Kriminalität in Kalifornien nicht energisch genug bekämpft zu haben.
Argumente, die in den wahlentscheidenden Schlüsselstaaten wie Michigan, Pennsylvania und Wisconsin gut ankommen.
Ohnehin ist dies die grosse Unbekannte: Wie kommt Harris im «Heartland» an, im weissen, konservativen, waffenvernarrten Landesinneren? Dort, wo die Wahl entschieden wird. Laut Umfragen ist die Kalifornierin etwa in Pennsylvania weniger beliebt als Biden, der dort aufwuchs. Immerhin dürfte sie jene demokratischen Wählerinnen und Wähler zurück ins Boot holen, die Biden wegen dessen Alter nicht mehr wählen wollten.
Vier Wochen bleiben Harris – bis zum Beginn des Nominierungsparteitags –, um sich den Menschen im Land zu präsentieren. Und um eine griffige Botschaft zu finden, die über traditionelle demokratische Anliegen hinausgeht, und Sorgen fernab der urbanen Zentren einzubeziehen.
Hier hat sie Defizite gegenüber Trump. Der New Yorker gilt als Instinktpolitiker. Einer, der ohne gross nachzudenken versteht, was die Menschen bewegt. Die Kalifornierin hört zu, analysiert Daten, wartet, bevor sie eine Entscheidung trifft.
Tröstlich für Harris: Schon in den ersten Stunden nach Bidens Rückzug schlossen die Demokraten hinter ihr die Reihen. Bisher wagt es niemand, sie öffentlich herauszufordern oder anzuzweifeln.
Nur Ex-Präsident Barack Obama unterstützt Harris noch nicht öffentlich. Als Elder Statesman will er den demokratischen Prozess ehren. Die Partei muss einen Weg finden, um Harris zu nominieren, ohne die Vorwahlen einfach zu ignorieren. Offen ist, ob das bereits in der ersten Augustwoche geschieht. Oder ob die Partei wartet bis zum Kongress Mitte August in Chicago.
Bis dann will Harris die Partei aus der Biden-Lethargie rütteln. Seit Bidens Rückzug hat sie über 50 Millionen Dollar an Spenden gesammelt.
Ob es reicht? Der Demokrat Biden liegt seit fast einem Jahr hinter Trump, nicht wegen seines Alters oder des TV-Duells. Sondern weil Benzin und Lebensmittel viel mehr kosten als unter Trump. Weil die Menschen Angst vor Einwanderern haben. Und weil in der Ukraine und im Nahen Osten Kriege toben, bezahlt von US-Steuergeldern.
Deshalb beschimpft Trump seine wahrscheinliche Gegnerin als «Kopilotin von Bidens monströsem Versagen».
Diese Wahl ist bei weitem nicht so langweilig, wie man es noch vor kurzem hätte erwarten können.