Von Peter Hossli (Text) und Nathalie Taiana (Foto)
Um 20.58 Uhr geht ein Aufschrei durch die Kongresshalle in Milwaukee, Wisconsin. Seit drei Stunden lauschen die republikanischen Parteianhänger politischen Reden. Dann kommt das, worauf sie den ganzen Abend gewartet haben: Auf den Bildschirmen erscheint Donald Trump (78), gut sichtbar mit einem weissen Verband am rechten Ohr. Dort, wo ihn am Samstag eine Kugel gestreift hat.
Stoisch steht er da und wartet auf seinen ersten Auftritt seit dem Attentat in Butler, Pennsylvania. Tausende Menschen erheben sich von ihren Sitzen, zücken ihre Handys, filmen und fotografieren ihren Präsidentschaftskandidaten, wie er konzentriert dasteht, die rote Krawatte straff gezogen. Er wirkt demütig. Wie einer, der gerade dem Tod entkommen ist. Punkt 9 Uhr betritt er den Saal, zur besten Fernsehzeit. Er reckt die Faust in den Himmel.
Aus den Lautsprechern dröhnt «God Bless America». Trump begrüsst seine Söhne und stellt sich neben Senator J. D. Vance (39), der wenige Stunden zuvor zum republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten gewählt worden war.
Dann nimmt Trump auf der Tribüne Platz, lässt sich feiern – ohne ein einziges Wort zu sagen. Stattdessen hört er sich Reden über die wirtschaftliche Misere der USA an.
Einmal mehr zeigt der ehemalige TV-Showmaster Trump, wie gut er das Showgeschäft beherrscht. Es ist ein kluger Auftritt, reduziert auf stille Gesten, die eine klare Botschaft vermitteln. Ohne ein Wort zu sagen, sagt er: «Hey, mir geht es gut.»
Der sichtbare Verband am Kopf erinnert die Welt an das Attentat. Und wie knapp alles war. Statt zu schreien, drückt Trump wortlos aus, was seine Gefolgschaft hören will. «Ich bin hier, ich habe überlebt, und ich bin bescheiden.»
Und als der Pastor den sonst arroganten New Yorker noch nachahmt, lacht Trump und mit ihm der ganze Saal.
Mit dieser zurückhaltenden Darbietung löst Trump ein Versprechen ein, das er nach dem Attentat gegeben hat: Er wolle dafür sorgen, dass die USA ein bisschen weniger gespalten sind als vor den Schüssen in Butler. Zumindest war das ein erster Schritt dazu. Ohne ein Wort zu sagen, rief er die USA zur Zurückhaltung auf.