Der Showman

Seine Reden: eine Inspiration. Seine Auftritte: eine Offenbarung. Die Welt lag US-Präsident Barack Obama jahrelang zu Füssen. Jetzt kommt er erstmals in die Schweiz. Die Würdigung eines Politikers mit mehr Strahlkraft als Wirkung.

Von Peter Hossli (Text) und Andreas Meier (Foto)

Einst erschien er wie ein Messias. Barack Obama. Damals, im Juli 2004, als er in Boston diese umwerfende Rede hielt und ein vereintes statt ein gespaltenes Amerika heraufbeschwörte. Wer in der Sporthalle sass, spürte förmlich: Da spricht ein aussergewöhnlicher Mensch. Ein eleganter, kluger und anständiger Mann. Ein zukünftiger Präsident. Rhetorisch erinnerte er an Ronald Reagan, an diesen ewigen Optimisten. Allerdings war Obama mit einem Twist versehen, wie ihn kaum ein Politiker mitbringt: Er war cool!

Eine fesselnde Vita

Der Showman der zeitgenössischen Politik kommt nun in die Schweiz und wird am Abend des 29. April dort stehen, wo sonst Rockstars stehen, auf der Bühne des Zürcher Hallenstadions, bewundert und verehrt von zahlenden Fans.

Auf der Bühne in Boston rüttelte er Amerika auf, nach dem Trauma von 9/11 wieder an sich zu glauben. Uns in Europa erlaubte Obama, Amerika nach den Bush-Jahren wieder gernzuhaben.

Wir saugten seine Geschichte auf. Wie er als Sohn eines schwarzen Ökonomen aus Kenia und einer weissen Anthropologin aus Kansas auf Hawaii zur Welt kam. Dass seine Mutter ihn allein grosszog, er in Indonesien lebte. An der Harvard University studierte er Recht, rannte aber nicht dem Geld hinterher, sondern wollte Chicago als Sozialarbeiter friedlicher machen.

Mit Michelle Robinson heiratete er eine blitzgescheite Frau. Sie führte ihn ein in eine Welt, die er nicht kannte: in afroamerikanische Familien. Das Paar gab sich nahbar, Menschen wie du und ich, einfach schicklicher. So stimmte sie seiner Präsidentschaftskandidatur erst zu, als er die Zigaretten gegen Nikotin-Kaugummis ausgetauscht hatte.

Die Wahl ins Weisse Haus gewann er mit bestechend selbstsicheren Auftritten und einer nie dagewesen Onlinekampagne. Er begeisterte junge Menschen für Politik. Ihnen gefiel, wie blendend alles aussah, optimistisch und modern wirkte.

Keine Rolle spielte, dass Obama zwar wunderbar sprach, was er vorhatte, aber diffus blieb. Denn nicht mit einem Wahlprogramm, sondern mit einer guten Geschichte wird man Präsident. Jene von Obama war einzigartig. Der erste schwarze Präsident im Weissen Haus.

Die Töchter als Inspiration

Nun wohnte eine intakte schwarze Familie im White House, die gemeinsam ass, Kultur mochte und gesellschaftliche Trends setzte. Auf dem Gelände des Weissen Hauses entstand ein biologischer Gemüsegarten. Unter Obama wurde die Ehe für alle legal, er brachte den Pariser Klimavertrag durch, schloss Kohlegruben. Inspirieren liess er sich von Teenagern – von seinen Töchtern Sasha und Malia. Kein einziger privater Skandal überschattete die acht Amtsjahre.

Die Obamas redeten öffentlich über Liebe, ohne peinlich zu wirken. «Michelle, nie habe ich dich mehr geliebt», sagte Barack in der Nacht, als er 2012 die Wiederwahl gewinnt. Nun sei er stolz, «dass sich der Rest Amerikas in dich verliebt hat». Es sei eine Liebe, die immer weiterwachse, erwiderte sie. Sie schätze ihn als Präsidenten, der auf Ideen anderer höre und unter Stress ruhig bleibe. «A cool cat» eben, gelassen wie eine Katze.

Unermesslich waren die Hoffnungen in diesen charismatischen Mann. Nicht minder klein die Aufgaben, die auf ihn warteten. Nach der Finanzkrise musste Obama die torkelnde globale Wirtschaft stabilisieren und das gespaltene Land trotz Kriegen in Irak und Afghanistan einen. Seine Hautfarbe schien ihn zu verpflichten, über die Folgen der Sklaverei zu reden. Als Friedensnobelpreisträger würde er die Welt befrieden.

Bei so viel Last ignorierten viele Fans seine Schattenseiten. Etwa, wie er die weit erfahrenere Widersacherin Hillary Clinton 2008 in den Vorwahlen 2008 aus dem Weg räumte. Eine Beraterin Obamas verunglimpfte sie als «Monster». Das hässliche Wort blieb an Clinton haften wie an Obama der Slogan «Yes we can!». Erst später, als man Obamas Reden mit Taten verglich, begannen einige, den Satz einzuordnen: brillant, aber inhaltsfrei. Ein Einzeiler, der alles und nichts bedeutet. Und deshalb zu Obama passt. Der Showman trägt perfekt sitzende Anzüge, ist stets darauf bedacht, gut auszusehen, gut zu klingen. Auf seine eleganten Sätze aber folgen selten Erfolge.

Er versäumte es, eindringlich über das Vermächtnis der Sklaverei zu reden. Weil er nicht der Präsident der Schwarzen sein wollte, sondern der aller Amerikanerinnen und Amerikaner. Vielleicht konnte er nicht nachvollziehen, wie tief dieser vereiterte Stachel sitzt. Nie hatte er in einer schwarzen Innenstadt gelebt, wo Bandenkriege toben und Verzweiflung regiert. Seine Vorfahren mütterlicherseits besassen Sklaven in Kentucky.

Die Geschichte beurteilte die amerikanischen Präsidenten an ihrem Mut. Obama setzte auf halbherzige Kompromisse. Er liess die Pharmabranche das Kernstück seiner Amtszeit verwässern, die Krankenkasse für alle, Obamacare. Ausdrücklich warnte er den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad davor, Giftgase einzusetzen. Als Assad diese rote Linie überschritt, schaute Obama tatenlos zu. Millionen flüchteten, Hunderttausende starben, Syrien geriet unter russischen Einfluss.

Zwar töteten US-Soldaten den Terrorfürsten Osa-ma bin Laden und somit den Drahtzieher hinter 9/11. Den Aufstieg der Terrorbande IS aber beachtete Obama zu wenig. Er erlaubte über 500 Drohnenangriffe in Jemen, Pakistan und Somalia, bei denen Tausende von Menschen sterben, darunter viele Zivilisten. Die Hinrichtungen aus dem Hinterhalt schadeten dem Ansehen der USA in der islamischen Welt.

Obama gibt sich volksnah, ist aber elitär. Zeitweise liess er sich nur noch von seinem Hoffotografen ablichten. Die Welt betrachtete er zunehmend durch die Augen Hollywoods an der Westküste und die der Finanzbranche an der Ostküste. Die Menschen in den sogenannten Flyover-Staaten in der Mitte des Landes schien er zu vergessen. Die Brot- und-Butter-Amerikaner interessierten ihn weniger als Chiasamenund Avocado-Toast-Esserinnen. Im «Rostgürtel» verstand man ihn nicht. Dort fühlten sich viele vernachlässigt, weil sie sehen, wie ihre Jobs nach China verschwinden. Manche, die Obama zweimal gewählt hatten, gaben 2016 ihre Stimme Donald Trump.

Trump – ein Vermächtnis von Obama

Unbestritten bleibt seine Gabe, Geschichten zu erzählen, selbst wenn er zuweilen zum Kitsch neigt. Etwa, wenn er sagte, er habe einen Kaffeetisch für seine Studentenbude in der Müllhalde gefunden. Oder wenn er mit einem «verrosteten Auto» zum ersten Rendez-vous mit Michelle gefahren sein will, an den Füssen seine einzigen guten Schuhe, die eine halbe Nummer zu klein gewesen seien.

Mit seichter Unterhaltung gestaltet Barack Obama seine Zeit seit dem Auszug aus dem Weissen Haus. Zusammen mit Michelle gründet er einen Medienkonzern selbstgerechten Namens: Higher Ground Productions – Erhabene Produktionen. Weltweit vertreiben sie Bücher und Filme, die weder provozieren noch anregen.

Obama verdient damit Millionen, mehr als jeder Ex-Präsident vor ihm. Cool ist das nicht mehr. Aus dem Messias ist ein Mensch geworden.