Jeder will ihn treffen

Saad Sherida Al-Kaabi, Energieminister von Katar, trifft derzeit täglich ausländische Minister. Sie wollen katarisches Flüssiggas, um sich von Russland zu lösen.

Von Peter Hossli (Text) und Bianca Litscher (Illustration)

Schön ist der Sessel nicht. Das Blattgold an den Füssen wirkt kitschig, die türkisfarbenen Polster scheinen etwas gar weich. Und doch wollen derzeit alle darauf Platz nehmen. Diese Woche flog der Schweizer Finanzminister Ueli Maurer nach Doha und setzte sich auf den Sessel. Zuvor waren der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck in Katar und Minister aus Jemen, dem Sudan und Libanon. Gut gelaunt sass ihnen stets der gleiche Mann gegenüber: Saad Sherida al-Kaabi, gekleidet in der blütenweissen Dischdascha, auf den kahlen Kopf geschnürt eine elegante Kufiya.

Der 55-jährige Katarer ist gefragt. Weil er ein Problem lösen kann: die hohe Abhängigkeit von russischem Erdgas. In Deutschland sind es 51 Prozent, in der Schweiz 43 Prozent. Kaabi hat eine Alternative zu bieten. Er ist katarischer Energieminister sowie Chef und Präsident von Qatar Energy, dem staatlichen Energiekonzern des Emirats am Persischen Golf. Auf diesem Posten kontrolliert er einen Drittel der weltweit bekannten Gasvorkommen. Vor fünf Jahren beschloss er zudem, die Fördermenge zu erhöhen, von damals 77 Millionen Tonnen jährlich auf 110 Millionen Tonnen. Vor allem asiatische Länder wollte er damit beliefern. Jetzt hat er angekündigt, zusätzlich Europa zu bedienen. Denn ohne russisches Gas drohen in europäischen Städten kalte Winter. Da Pipelines nach Europa noch fehlen, sind Schiffe nötig und grössere Hafenanlagen, um das Gas zu löschen. «Kein Problem», so Kaabi. «Wir liegen am Meer und schaffen das mit unseren Partnern.»

Mit dieser Macherqualität ist der sanfte Katarer zu einer mächtigen Person im Energiesektor aufgestiegen. Privates über ihn ist kaum bekannt. Westliche Orientalisten wissen nicht, wie viele Frauen er hat, wie viele Geschwister, wie viele Kinder. Er gehört dem Beduinenstamm der Kaabi an, einer grossen Familie, die Handel treibt und dem Staat dient. Sein Vater gründete in den siebziger Jahren einen Industriekonzern, war Botschafter in Ägypten, Indien und Grossbritannien. Sohn Saad fing noch als Teenager bei Qatar Petroleum an. Der Chef sandte den damals 19-Jährigen für eine Weile in die USA. Er war als Ingenieur zurückgekommen, kletterte durch die Ränge und erklomm 2014 den Chefsessel des Konzerns.

Ihm half sein Sinn für Gas. Bei der Suche nach Erdöl wurden 1971 vor der Nordküste Katars riesige Reserven an Flüssiggas entdeckt. Früh betonte Kaabi, es sei ökologischer als Kohle und Erdöl. Zudem könne sich das Emirat den Ruf eines zuverlässigen Lieferanten sichern. Höchstpersönlich entwickelte er die Gasfelder zu hocheffizienten Förderanlagen. Und das hat Katar zu einem der reichsten Länder der Welt gemacht.

Heute gilt Kaabi als Architekt dieses Reichtums. Und er ist eine wichtige Stimme, um Katars Image zu pflegen. Häufig tritt er in US-Fernsehsendern als Experte auf. Regelmässig trifft er die Spitzen grosser Energiekonzerne. Mit dem US-Gesandten für das Klima John Kerry redet er über die Erderwärmung. Reist Kaabi in den Westen, trägt er massgeschneiderte Anzüge und Krawatten. Bei jeder Gelegenheit betont er, es gehe Katar nur um das Geschäft, um die Versorgung mit Energie – und nie um die Politik.

Und doch verdeutlichen seine jetzigen Treffen, wo Katar sich sieht: beim Westen. Zwar verhält sich das Emirat im Ukraine-Krieg neutral, es bietet der EU aber Hilfe an. Im Gegensatz zu den feindlichen Nachbarn Saudiarabien und Bahrain, die widerwillig auf die Bitte reagieren, sie sollten mehr Erdöl pumpen, damit die Benzinpreise sinken.

Kaabi umgarnt die Welt zu einem wichtigen Zeitpunkt. Ab November spielen die Fussballer in Katar um den WM-Titel. Die Weltmeisterschaft aber steht in der Kritik. Es sei ein Irrsinn, sie in einem Land abzuhalten, das kaum Bezug zu Fussball habe. Da es im Sommer brütend heiss ist, musste das Turnier in die Vorweihnachtszeit verlegt werden. Vor allem aber missachtet Katar die Menschenrechte, lässt Homosexuelle auspeitschen, Frauen sind Bürgerinnen zweiter Klasse. Tausende Gastarbeiter starben beim Bau der WM-Anlagen.

Laut waren bis vor kurzem die Rufe nach einem Boykott der WM. Diese dürften auf dem weichen Sessel verstummen. Zumal Kaabi bereits ein neues Grossprojekt für die Zeit nach dem Fussball anpeilt: Er will die Fördermenge nochmals erhöhen und zu einer Brücke der Energiewende werden. Katars Flüssiggas soll mithelfen, Erdöl und Kohle zu ersetzen – und CO2 reduzieren.