Von Peter Hossli und Michael Furger
Peinlich für die Credit Suisse ist vor allem das Leck: Tausende von Konten bei der Schweizer Bank sind der «Süddeutschen Zeitung» zugespielt worden. Diese Woche wurden die Daten veröffentlicht. Die CS soll selbst kriminelle Kunden bedient haben. Die Bank sagt, es handle sich um Altlasten. Das mag sein, doch das Datenleck ist nur der jüngste Skandal in einer langen Reihe. Das einstige Prunkstück der Schweizer Bankenbranche, der einst bewunderte globale Finanzkonzern und lange Zeit der Stolz des Zürcher Freisinns liegt am Boden. Der Aktienkurs ist so tief wie nie. Die CS gilt als Übernahmekandidatin. Eine kurze Geschichte von Triumph und Niedergang.
Der moderne Bundesstaat ist noch jung, doch schon droht ihm Ungemach. Der Schweiz fehlt der Anschluss ans wachsende internationale Eisenbahnnetz. Eine Gruppe von Wirtschaftsführern um den Tausendsassa Alfred Escher gründet die Nordostbahn, um die Schweiz zu erschliessen. Doch wer soll Schienen und Züge finanzieren? In der Schweiz gibt es damals keine Investmentbanken, die Risikokapital zur Verfügung stellen. Und von ausländischen Kreditgebern will man sich unabhängig machen. Also gründet Escher 1856 zusammen mit anderen Wirtschaftsführern, Politikern und Bankiers die Schweizerische Kreditanstalt (SKA). Er selbst wird Verwaltungsratspräsident.
Escher steigt in dieser Zeit zur prägenden Figur der Schweizer Politik und Wirtschaft auf. Er ist Direktor der Nordostbahn, Nationalrat und Mitbegründer der heutigen ETH Zürich. Später sitzt er im Verwaltungsrat der Rentenanstalt und präsidiert den Bau des Gotthardtunnels. Die SKA solle eine «Dampfmaschine des Kredits» werden, sagt er. Tatsächlich finanziert die Bank nicht nur Eisenbahnen, sondern hilft bei Neugründungen, beteiligt sich an Firmen, finanziert Import- und Exportströme und wird zum Zentrum der Finanzbranche. Sie gilt als elitäres Institut für Zürcher Unternehmen und Grosskunden.
Erfahrung im Bankgeschäft ist wenig vorhanden. Man agiert nach dem Prinzip «Trial and Error» und ist nicht immer erfolgreich. Als die wichtigsten Bahnstrecken gebaut sind, erschliesst die SKA neue Felder. Sie wird zur Handelsbank und investiert in die Maschinen- und in die Nahrungsmittelindustrie: Nestlé, Maggi, Sprüngli, Georg Fischer.
1876 zieht sie in einen Neubau am Zürcher Paradeplatz – bis heute ihr Hauptsitz. Bald öffnet sie sich für mittelständische Privatkunden und Gewerbler. Vertretungen in Wien und New York werden eingerichtet. In der Schweiz hingegen eröffnet die Bank lange keine Filialen ausserhalb Zürichs. Erst ab 1905 gehen Niederlassungen in Basel, St. Gallen, Genf, Glarus und Luzern auf. 1913 zählt die SKA über tausend Angestellte. Den Titel als grösste Bank der Schweiz, den sie 30 Jahre zuvor noch innehatte, führt nun aber der Bankverein.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs gilt die SKA als deutschfreundlich, besinnt sich aber auf die schweizerische Neutralität. Während des Krieges gewährt sie Kredite an wichtige Schweizer Unternehmen und finanziert Teile der Mobilisierungsanleihen des Bundes.
Vor sozialen Unruhen ist sie nicht gefeit. Am 1. und 2. Oktober 1918 streikt das Personal. Die SKA und andere Banken erhöhen die Löhne, ihre Angestellten nehmen deshalb im November nicht am Generalstreik teil. Nach Kriegsende setzt die SKA zuerst auf inländische Geschäfte. Bis 1940 verdoppelt sie die Anzahl ihrer Filialen auf 28. Der Bedarf nach Krediten ist geringer als vor dem Krieg. Bei der Finanzierung der Wasserkraft erhalten die Banken Konkurrenz von der öffentlichen Hand. In den 1920er Jahren expandiert die SKA vermehrt ins Ausland und finanziert die Elektrizitätswirtschaft in Deutschland, Spanien und in Argentinien. Sie vergibt Kredite für die Staatsbahnen in Frankreich und baut die Geschäfte in den USA und Kanada aus. Weil die SKA jetzt international stärker engagiert ist, setzen ihr die Depression und der Zweite Weltkrieg zu. Ab 1931 sind ihre Guthaben im Ausland kaum mehr beweglich. Die Geschäfte schrumpfen in allen Bereichen.
Und dann ist da noch der Umgang mit Nazi-Deutschland. Der Historiker Joseph Jung kritisiert in seinem Standardwerk «Von der Schweizerischen Kreditanstalt zur Credit Suisse Group» die SKA-Geschäftsleitung. «Die SKA wirkte bei der ‹Arisierung› mit», schreibt er. «Sie erwarb Raubgut und Raubgold, obwohl sie von deren völkerrechtswidrigem Erwerb wusste oder bei genügender Sorgfalt hätte wissen müssen.» Es sei ein «gravierendes Versäumnis», wie die Kreditanstalt und andere Banken nach 1945 die nachrichtenlosen Vermögen behandelt hätten.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs liegen die drei grossen Schweizer Banken bezüglich Grösse etwa gleichauf. Doch die Bankgesellschaft und der Bankverein wachsen rasch weiter und kaufen kleinere Banken auf. Die SKA verschreibt sich zwar dem Grundsatz «Inlandgeschäft geht vor Auslandgeschäft», verhält sich in der Schweiz aber zurückhaltend. Eine erste neue Filiale nach dem Zweiten Weltkrieg geht erst 1950 in Biel auf. Im Jahr 1966 hat die Bankgesellschaft bereits 100 Zweigniederlassungen, der Bankverein steht bei 79 Geschäftsstellen. Mit 54 Niederlassungen liegt die SKA zurück. Der damalige Generaldirektor Heinz R. Wuffli betont, man setze auf eine optimale statt auf eine maximale Ausdehnung des Filialnetzes. Dazu gehört eine kuriose Innovation: ein Bankschalter in einer Zürcher Garage, bei dem Kunden in ihren Autos sitzen bleiben können. Kleinsparer werden wichtiger. Ab 1970 stellt die SKA in der Schweiz Jugendsparhefte aus.
Die SKA bedient Schweizer Firmenkunden mit Krediten. Der Wert der verwalteten Wertschriften steigt von 3,9 Milliarden Franken im Jahr 1945 auf 47 Milliarden Franken im Jahr 1970. Nach der Suezkrise von 1956 bringen Kunden aus dem Nahen Osten ihre Gewinne aus dem Erdölgeschäft in die Schweiz. Gold- und Devisenhandel werden zu einem wichtigen Geschäftsfeld. Um selbst Goldbarren zu giessen, erwirbt die SKA eine Tessiner Raffinerie.
Bei Geschäften im Ausland verhält sich die SKA lange zurückhaltend. Viele Projekte im Ausland werden geprüft und verworfen. Weil der Bankverein und die Bankgesellschaft erfolgreicher international expandieren, fällt die Kreditanstalt zurück. Mitte der 1970er Jahre weisen die beiden Konkurrenten eine um 20 Prozent höhere Bilanzsumme auf.
Es ist einer der grössten Skandale in der Schweizer Bankengeschichte. Über mehrere Jahre haben die Chefs der SKA-Filiale in Chiasso total 2,2 Milliarden Schwarzgeld in krimineller Weise aus Italien in die Schweiz transferiert und bei einer eigens gegründeten Finanzanstalt in Liechtenstein platziert. Sie spekulierten damit und verloren gegen eine Milliarde Franken. Als der Schwindel 1977 auffliegt, ziehen viele Privatkunden ihr Geld ab.
Das Image ist am Boden – und das in einer Zeit von massiver Geldknappheit bei den Banken. So nimmt die SKA in den siebziger Jahren die Kleinsparer in den Fokus. Neue Niederlassungen entstehen, eine Marketingkommission wird ins Leben gerufen, um die SKA in der Schweiz populär und sympathisch zu machen. Ab 1976 werden 800000 Skimützen unters Volk gebracht. Sie werden zum Kultobjekt. 1978 sponsert die SKA die Tour de Suisse und verteilt 50 000 Käppis, 5000 Regenschirme, Ballons und Kleber an die Zuschauer. Die SKA wolle damit dem «Marmorpalast-Image» entgegentreten, schreibt die NZZ. Es ist der Anfang einer 22 Jahre dauernden Partnerschaft mit der Tour de Suisse.
Der Erfolg ist wegweisend. Die Bank steigt gross ins Sportsponsoring ein. Sie richtet die «SKA-Laufträffs» ein, unterstützt den Engadiner Skimarathon sowie den Pferde-, Golf- und Schachsport. 1993 kommt der grosse Coup: Die SKA wird Hauptsponsor der Schweizer Fussballnationalmannschaft – zu einem perfekten Zeitpunkt. Nur wenig später qualifiziert sich das Team für die WM 1994 in den USA. Das Sponsoring wird bis heute andauern.
In den USA baut die Bank einen neuen Markt mit Investment Banking auf. Neue Niederlassungen werden gegründet, 1978 geht die SKA zuerst eine Zusammenarbeit mit dem Wall-Street-Haus First Boston ein, 1990 übernimmt sie das Unternehmen und verschafft sich in Amerika einen Vorsprung auf die europäische Konkurrenz. Es beginnt der Umbau der Kreditanstalt in einen globalen Allfinanzkonzern. Zuerst gründet die Bank die Schwestergesellschaft CS Holding, in der sie verschiedene Beteiligungen sammelt, dann wird die CS Holding 1989 zur Dachgesellschaft.
Zusammen mit der Beratungsfirma McKinsey werden Massnahmen zur Effizienzsteigerung ergriffen, der Lebensversicherer CS Life wird gegründet, die Bank Leu, die Volksbank und die Neue Aargauer Bank übernommen. Die CS Holding ist nun Marktführer mit dem dichtesten Filialnetz der Schweiz. Von da an ist es nur noch ein kleiner Schritt: 1997 schliesst sich die CS Holding mit der Winterthur-Versicherung zur Credit Suisse Group zusammen. Das SKA-Logo verschwindet. An den Filialen und auf dem Briefpapier leuchtet der neue blau-rote Schriftzug. Aus der Schweizer Bank ist ein globaler Allfinanzkonzern geworden. Ihre Leitung übernimmt der ehemalige McKinsey-Berater Lukas Mühlemann.
Am 11. September 2001 erschüttert ein Terroranschlag das Zentrum der globalen Finanzindustrie in New York. Wenige Wochen später steht die Swissair vor der Pleite. Die CS ist Teil der Krise. CEO und nun auch Verwaltungsratspräsident Lukas Mühlemann sitzt im Verwaltungsrat der Swissair. Als die Airline dringend Geld von den Grossbanken CS und UBS benötigt, um den Flugbetrieb aufrechtzuerhalten, willigt Mühlemann ein, Finanzhilfe zu leisten. Die UBS hingegen spielt auf Zeit. Die Folge: Weltweit bleiben die Flugzeuge der Swissair am Boden.
Der Bank selbst können die Turbulenzen auf lange Frist wenig anhaben. Seit 2003 ist Oswald Grübel CEO der Bank – anfangs noch im Duo mit John Mack. Es führt durch die vorläufig letzte erfolgreiche Phase der Credit Suisse. 2006, im Jahr des 150-Jahr-Jubiläums, erzielt sie ein Rekordergebnis und schenkt sich ein neues Logo. Der Aktienkurs steigt auf ein Allzeithoch. Als im Jahr darauf die Finanzkrise ausbricht, muss die Eidgenossenschaft die Konkurrentin UBS mit 68 Milliarden Franken Staatsgeld retten. Auch der CS bietet der Bund Hilfe an. Doch sie braucht und will die staatlichen Mittel nicht und besorgt sich neues Geld auf dem Kapitalmarkt, zum grössten Teil von einem Staatsfonds aus Katar.
Kaum legen sich die Wogen der Finanzkrise, zetteln die USA mit der Schweiz einen zermürbenden Steuerstreit an, der das Bankgeheimnis zu Fall bringt. Vorerst gerät die UBS ins Visier, die CS fühlt sich anfänglich sicher und steht auch sonst gut da. Für das Wirtschaftsmagazin «Economist» geht sie als weltweit beste Bank aus der Krise. Sie kann ihre Bilanz verkleinern, hat eine glaubwürdige Strategie und zieht in der Vermögensverwaltung am Konkurrenten UBS vorbei. Am Paradeplatz beflügeln solche Fakten die Phantasien. Der amerikanische CEO Brady Dougan bringt die Gier zur CS: 2010 lässt er sich neben dem Salär von 18 Millionen Franken einen Bonus von 71 Millionen auszahlen, was dem Ansehen der CS schadet. Der Chef fördert das expansive Investment Banking und senkt das Eigenkapital auf ein gefährliches Niveau.
Fortan schafft es die CS kaum mehr, aus den negativen Schlagzeilen herauszukommen. Im Februar 2014 müssen in Washington vier CS-Manager vor dem US-Senat über Steuertricks aussagen. Die Bank gesteht, amerikanischen Bürgern bei der Steuerhinterziehung geholfen zu haben, und zahlt 2,6 Milliarden Dollar Busse – mehr als die UBS.
Mit Tidjane Thiam gelangt 2015 ein Manager aus der Versicherungsbranche ins Chefbüro der CS. Er baut Tausende von Stellen ab und reduziert Risiken. Bei Investmentbankern kommt das nicht gut an. Die Stimmung in der Bank ist schlecht, der Chef – einst von VR-Präsident Urs Rohner als Hoffnungsträger aus London geholt – gilt als selbstherrlich. Wegen der Beschattung mehrerer CS-Mitarbeiter muss Thiam schliesslich gehen. Sein Nachfolger Thomas Gottstein erntet während der Pandemie zwar viel Lob für unkomplizierte Kreditvergabe. Aber schon bald folgen Milliardenverluste beim Spekulationsvehikel Archegos und bei der Finanzfirma Greensill. Nach nur acht Monaten im Amt tritt der neue CS-Präsident António Horta-Osório ab; er hat Quarantäne-Vorschriften verletzt. Er kann kein Vorbild sein für die heute 48770 Angestellten. Der neue Präsident Axel Lehmann verspricht rasche Besserung – wie viele seiner Vorgänger.