Hoch hinaus

In Zürich wird darüber nachgedacht, bis zu 250 Meter hohe Wolkenkratzer zuzulassen. Was braucht es, um in den Himmel zu bauen? Sind Hochhäuser ökologisch sinnvoll? Und stimmt es, dass man im Penthouse besser schläft als im Parterre?

Von Peter Hossli (Text) und Trevor Bobyk (Foto) on Unsplash

Bisher ist es nur eine kühne Idee. In der grössten Schweizer Stadt soll es künftig möglich sein, richtig hohe Häuser zu bauen. Das zumindest steht in einem Bericht des Zürcher Hochbaudepartements, den der «Tages-Anzeiger» diese Woche publik gemacht hat. Entlang der Geleise und in Zürich-West könnte demnach eine neue Skyline entstehen, gebildet von bis zu 250 Meter hohen Türmen. Das wäre doppelt so hoch wie das derzeit höchste Gebäude der Stadt Zürich, der Prime Tower, der von Boden bis Dach 126 Meter misst. Ein Bau von 250 Metern Höhe würde den Roche-Turm zu Basel, das mit 178 Metern höchste Gebäude der Schweiz, um einen Drittel überragen.

Beschlossene Sache ist Zürichs Höhenflug noch nicht. Mitreden werden Stadt- und Gemeinderat, sicher scheinen Volksabstimmungen und danach die Einsprachen. Aber gewöhnen kann man sich trotzdem schon an den Gedanken – mit zehn Fakten über den Bau und das Wohnen in Wolkenkratzern:

1. Himmelsläufer erstellen Stahlgerippe

New York und Chicago gelten als Geburtsstätten des Hochhauses. Die beiden Metropolen lieferten sich jahrzehntelang einen Wettlauf um das jeweils höchste Haus der Welt. Wichtig waren dabei die Monteure, die Bauherren aus vier Mohawk-Reservaten rekrutierten. Die als «Skywalker», Himmelsläufer, bekannten irokesischen Handwerker gelten als besonders schwindelfrei und stellen bis heute die Stahlgerippe für Hochhäuser in den USA auf – eine Fertigkeit, die in der Schweiz noch rar ist.

2. Umweltfreundlicher als das Haus im Grünen

Auf den ersten Blick scheinen Hochhäuser nicht besonders klimafreundlich – bei Bau und Unterhalt wird reichlich CO2 freigesetzt. Gesamtheitlich betrachtet sei ein Wolkenkratzer, in dem viele Menschen leben, ökologischer als ein Einfamilienhaus im Grünen, erklärt der amerikanische Wissenschafter Peter Huber. Es werde weniger Fläche verbaut. Die Menschen leben, wo sie arbeiten, und pendeln weniger. Es fallen geringere Kosten für Infrastruktur und Energieversorgung an. Zunehmend werden Hochhäuser begrünt und aus nachhaltigen Materialien wie Holz gebaut – als wären es Wälder, die zum Himmel wachsen.

3. Die Wohnungen in der Mitte sind am beliebtesten

Ein 250 Meter hohes Haus hat rund 65 Stockwerke. Nicht alle sind gleich beliebt. Mehrere Studien aus Hongkong und Singapur zeigen, dass die untersten am schwierigsten zu verkaufen oder zu vermieten sind. Das Penthouse ist beliebter als das Parterre. Am liebsten aber leben Menschen ziemlich genau in der Mitte eines Wolkenkratzers – genug weit weg vom Boden, aber nicht so weit oben, dass bei Notfällen der Weg nach unten zu lange dauern würde. Besonders hoch leben wollen die Menschen in Chicago und Tokio. Geht es um den Arbeitsplatz, wünschen sich die meisten ein Büro zuoberst. Vermutlich, um während der Arbeit die Aussicht zu geniessen.

4. Höhenluft ist gesünder als Stadtluft

Je höher die Etage, desto höher die Preise der Wohnungen. Immobilienhändler erklären dies mit dem Bedürfnis der Bewohner, in möglichst guter Luft zu leben – und diese ist in Grossstädten in der Höhe nachweislich besser. New Yorker Forscher zeigten, dass «verkehrsbedingte Luftschadstoffe in Wohnungen oberhalb des fünften Stocks in der heizfreien Zeit am geringsten» waren. In Hongkong wie in Seoul gilt die Luftqualität erst oberhalb des zwanzigsten Stocks als erträglich.

5. Die ganze Stadt unter dem eigenen Dach haben

Hohe Häuser galten in Europa lang als Wohnform der unteren Schichten, ob in Banlieues, Trabantenstädten oder Spreitenbach. Heute gilt die Wohnung im Wolkenkratzer als Prestigeobjekt, mit Annehmlichkeiten, für die andere ihr Haus verlassen: Schwimmbad und Fitnessraum, Grillplatz auf dem Dach, Bibliothek und sogar ein Kino im Keller. Für das Leben in den Wolken zahlen Menschen extra wegen der tollen Aussicht und der Ruhe vom Lärm der Strasse. Insbesondere Singles der Generation der Millennials schätzen die Möglichkeit, je nach Laune anonym zu leben oder sich in den Nachbarn zu verlieben.

6. Bei Evakuierungen hilft es, wenn einer vorangeht

Ein Brand im Hochhaus hat verheerende Folgen. Um möglichst viele Menschenleben zu bewahren, ist eine reibungslose Evakuierung nötig. Wichtige Erkenntnisse dazu liefern Studien zu den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center 1993 und 2001, als Tausende gemeinsam aus den Zwillingstürmen flohen. Für eine halbwegs erfolgreiche Flucht aus einem Hochhaus nötig sind demnach: führungsstarke Persönlichkeiten, die Fluchtgruppen leiten; mental und körperlich starke Personen, die auf Notfälle vorbereitet sind und die Gefahren richtig einschätzen können. Wichtig sind zugängliche Treppenhäuser.

7. Höhere Sterblichkeit in hohen Häusern

Gegner von Hochhäusern zitieren häufig eine Studie, die 2016 das «Canadian Medical Association Journal» veröffentlicht hat. Demnach haben Leute, die einen Herzinfarkt erleiden, in einem Wolkenkratzer merklich tiefere Überlebenschancen. Besonders gefährdet sind Personen in oberen Stockwerken, da ihr Weg ins Spital am längsten dauert. Bei 7842 Fällen von Herzstillstand im Hochhaus lag die Überlebensrate oberhalb des 16. Stockwerks bei 0,9 Prozent. Oberhalb des 25. Stocks gab es keine Überlebenden. Bei übertragbaren Krankheiten wie Covid-19 oder Grippe sind Hochhausbewohner einem höheren Risiko ausgesetzt als jene, die in Ein- oder Zweifamilienhäusern leben.

8. Fährt der Aufzug nicht, ist der Heimweg lang

Ein wichtiger Faktor für den Komfort im Wolkenkratzer ist der Lift. Einen Einfluss hat der Aufzug beispielsweise auf die Innenausstattung: Möbel, die darin keinen Platz finden, schaffen den Weg nicht in die Wohnung. Oft transportieren mehrere Aufzüge Menschen, Tiere, Fernseher und Lebensmittel in Hunderte von Wohnungen. Fällt einer aus, kann es zu Stosszeiten bis zu zehn Minuten dauern, bis ein Aufzug auf der gewünschten Etage hält und die Passagiere nach unten oder nach oben transportiert. In besonders hohen Gebäuden muss man den Lift mehrmals wechseln, um die eigene Wohnung zu erreichen oder abends das Büro zu verlassen. Der Ausfall des Aufzugs gilt laut einer Studie von 2011 als besonders grosse Sorge von Hochhausbewohnern. Noch mehr fürchten sie, im Lift steckenzubleiben.

9. Vom Winde verweht: Die Übelkeit im Penthouse

Wegen der Statik, der Schwerkraft und bei Wind geraten hohe Gebäude ins Schwanken. In oberen Stockwerken sind die Bewegungen stärker als in den unteren. Der 830 Meter hohe Burj Khalifa, das höchste Gebäude der Welt, schwankt an der Spitze bis zu zwei Meter. Manche Bewohner von Wolkenkratzern berichten von Unbehagen, das Schwingungen in ihren Wohnungen oder Büros auslösen. Das ist nicht überall der Fall, wie Studien aus Asien zeigen. Wer sie aber spürt, klagt über Schwindel, Unwohlsein und Schlafstörungen. Je nach Studie sollen zwischen 47 und 72 Prozent in sehr hohen Gebäuden bei Wind negative körperliche Symptome entwickeln. Gross sei die Übelkeit ausgerechnet im Penthouse.

10. Hohe Häuser werden im Kino seit 9/11 geschont

Regisseur Roland Emmerich hatte die Skyline New Yorks in Filmen wie «Independence Day» oder «Godzilla» optisch virtuos zerstören lassen. Als am 11. September 2001 in New York das World Trade Center brannte, dachten viele: Das sieht aus wie im Kino. Emmerich war gerade daran, das Drehbuch zu «The Day After Tomorrow» zu schreiben. 9/11 veränderte seinen Film. «Wenn darin die Riesenwelle auf New York niederschlägt, wird kein einziges Haus zerstört», sagt Emmerich. In seinem neuen Film «Moonfall» verschont er das neue One World Trade Center, andere New Yorker Hochhäuser aber gehen kaputt.