Von Peter Hossli (Text) und Sandra Niemann (Illustration)
Sie steht mit ihrem Namen hin, und sie zeigt ihr Gesicht. Auf Tele Basel schilderte die Journalistin Larissa Bucher, wie ihr ehemaliger Vorgesetzter sie sexuell belästigt und verleumdet habe. Widerfahren ist das schon vielen anderen Frauen. Redeten sie darüber, dann meist anonym.
Bucher ging an die Medien, «weil die Justiz bisher nichts unternommen hat», wie sie sagt. Im April hatte sie bei der Kantonspolizei Basel-Stadt eine Strafanzeige gegen den langjährigen Leiter einer kleinen Baselbieter Zeitung eingereicht. Sie gab zu Protokoll, was sie erlebt hatte, und sie legte Beweise vor. Bei der Einvernahme sei ihr versichert worden, dieser Fall sei eindeutig, ihr ehemaliger Chef habe sich strafwürdig verhalten.
Ein paar Monate danach meldete sie die Vorfälle dem Verlag hinter der Zeitung. Sie stiess auf Verständnis und erhielt eine Entschuldigung. Der Verleger sagt, er glaube Bucher zu 100 Prozent, der Redaktionsleiter habe die Vorwürfe bestätigt. Dieser stellte die Umstände jedoch anders dar. Da der Verleger die Wahrheitsfindung der Justiz überlassen wollte, entliess er ihn nicht.
«Da entschied ich mich, die Macht zurückzuholen», sagt Bucher, 22. «Ich wollte nicht mehr die Betroffene, nicht mehr das Opfer sein, sondern ich wollte aktiv etwas tun.»
Zur Welt kam Larissa Bucher in Basel, sie wuchs im «Gundeli»-Quartier mit einer älteren Schwester auf, in der Nähe des Zolli . Eine typische Baslerin ist sie nicht. Sie schaut lieber Formel-1-Rennen als Spiele des FCB. Stimmen die Trommler und die Pfeifer zum Morgestraich an, verreist sie in die Ferien.
Schon als Kind wollte sie die Welt bereisen und darüber berichten – wie die Reporterin Karla Kolumna in der Trickfilmserie «Benjamin Blümchen». Im Alter von 17 Jahren absolvierte sie ein zweiwöchiges Praktikum bei einer Baselbieter Lokalzeitung. Der leitende und einzige Redaktor betreute sie.
Er habe der Minderjährigen unangebrachte Fragen gestellt und sexuelle Bemerkungen fallenlassen, erzählt sie. Ob sie gerade «geilen Sex» habe, soll er sie gefragt haben, als sie eine Verspätung meldete. E-Mails mit sexuellen Inhalten habe er geschrieben, sogar handschriftliche Briefe, er nannte sie ALP – «Aller Liebste Praktikantin». Um sie zu sehen, habe er Notfälle erfunden. «Wich ich ihm aus, rief er mich pausenlos an», sagt sie.
Sie sei schockiert gewesen, aber sie verstand damals noch nicht, was das bedeutete. Sie verdrängte, statt zu reagieren, sagte sich, das sei alles nicht so schlimm. Dumme Sprüche lächelte sie weg. Es war ihr erster Job, und sie wollte in der Berufswelt bestehen. Einmal, als sie sich beschwerte, soll ihr Vorgesetzter ihr gesagt haben, dass «mühsame Frauen, die über solche Witze nicht lachen, es nicht in die Medien schaffen». Nach ihrem Praktikum schrieb sie als freie Mitarbeiterin für das Blatt. Da die Belästigungen weitergegangen seien, habe sie damit aufgehört.
Zwei Jahre später nahm sie wieder Kontakt auf, gab ihm «eine zweite Chance», wie sie sagt. Neben dem Studium wollte sie etwas Geld verdienen und schrieb regelmässig für ihn. Bis sie erfuhr, dass der Lokaljournalist ihr in Nachrichten an andere Affären mit ihm und mit Interviewpartnern angedichtet hatte. Im Februar publizierte er in der Zeitung einen Artikel über sie, der sich wie ein verkapptes Liebesgeständnis liest.
Mit einer Organisation setzt sich Bucher heute gegen sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum ein. Ihr Umfeld und ihre Familie haben sie unterstützt und «liebevoll dazu gedrängt», das belastende Material der Polizei zu zeigen und den Lokaljournalisten anzuzeigen. Zeitweilig habe sie sich «hilflos» gefühlt, da die Behörden nicht aktiv wurden.
Zum konkreten Fall äussert sich die Staatsanwaltschaft nicht. Sie betont, jede Anzeige ernst zu nehmen. Wegen der hohen Anzahl seien «Priorisierungen […] unumgänglich». Der Journalist beantwortete Anfragen nicht.
Buchers Auftritt in den Medien hat Folgen. Da Tele Basel sie nicht anonymisierte, war der mutmassliche Täter rasch identifiziert. Verloren hat er den Persönlichkeitsschutz, die Unschuldsvermutung scheint geritzt, in Basel redet man über ihn. Bei Bucher und beim Verlag haben sich mehrere Frauen gemeldet, die Ähnliches erlebt haben wollen. «Die Macht der Medien kann positiv sein», sagt Bucher. «Vielleicht kann ich andere dazu motivieren, an die Öffentlichkeit zu treten.»
Bei ihr sei die Hemmschwelle etwas tiefer gewesen. Heute arbeitet sie als Redaktorin für Tele Basel. Sie vertraue den Personen, die sie befragt haben.