Von Peter Hossli
Für die Superreichen hat das US-Magazin «Forbes» einen Live-Ticker eingerichtet. Er zeigt in Echtzeit, wie sich ihre Vermögen bewegen. Ob sie steigen, sinken oder stagnieren. Beim Allerreichsten ging es jüngst nur in eine Richtung: aufwärts. Der Besitz von Elon Musk, südafrikanisch-amerikanischer Unternehmer, hat sich sprunghaft vermehrt. Bald um 20 Milliarden Dollar, bald um 29 Milliarden – jeweils pro Tag. Der Grund: Der Aktienkurs des Autoherstellers Tesla schnellte in die Höhe, allein in den letzten drei Monaten hat er sich verdoppelt. Musk hält 23 Prozent. Bei Börsenschluss am Freitag betrug das Vermögen des 50-Jährigen 318 Milliarden Dollar.
Solche Summen wecken Begehrlichkeiten. Was, wenn Musk mir ein klein bisschen davon gäbe? Ein halbes Promille, ich müsste nie mehr arbeiten, und Musk bliebe mehr, als er je ausgeben könnte. Klüger wäre es natürlich, er würde mit dem Kapital die Welt von ihrem Joch befreien und ihre Probleme mit grosszügigen Banküberweisungen lösen.
Genau diese Idee hatte Anfang Woche der Direktor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP), der Amerikaner David Beasley. In einem Interview mit CNN behauptete er, Superreiche könnten den Hunger mit einer einmaligen Zahlung lindern, zwei Prozent des Vermögens von Musk würden reichen. «6 Milliarden Dollar, um 42 Millionen Menschen zu helfen, die buchstäblich sterben werden, wenn wir sie nicht erreichen», sagte Beasley und fügte einen Satz an: «Das ist nicht kompliziert.»
Nicht kompliziert? Vielleicht hat ja diese Aussage den Tesla-Chef provoziert. Prompt stieg Musk auf den Deal ein, stellte allerdings eine Bedingung: Sagt bitte, wie das geht, schlüsselt das «nicht kompliziert» detailliert auf. Via Twitter teilte Musk mit, er werde sofort Tesla-Aktien verkaufen und den Ertrag an das WFP überweisen, wenn ein öffentlicher Plan vorliege, wie Hungernde dank seinem Geld satt würden. Beasley freute sich, «mit Musk in einen Dialog zu treten».
Ein Dialog, bei dem unternehmerisches Denken auf populistische Parolen trifft. Sei es beim Klimawandel, bei Hungerkrisen oder beim Kampf gegen Terroristen – reflexartig heisst es, die Welt leide, weil die einen zu viel und die anderen zu wenig hätten. Würden die Reichen mehr abgeben, sei es mit grosszügigeren Spenden oder mit höheren Steuern, wären manche Probleme schnell gelöst. Da sich die Reichen aber weigerten, sei der Welt kaum noch zu helfen.
Das ist Unfug. Klar, Hilfe kostet. Es ist aber naiv, zu glauben, to throw money at the problem tauge als Rezept, wie Angelsachsen es wunderbar formulieren – ein Problem mit Geld zu bewerfen, damit es verschwindet. Hunger ist komplexer, als Kalorien zu zählen. Es reicht nicht, Mais und Reis einzukaufen, die Stärke auf Container zu laden und in die Hungerzonen zu verschiffen.
Menschen hungern meist dort, wo Dürren herrschen und Kriege toben. Verantwortlich sind die Versteppung nach Abholzung, die Ziegen, die Gras mitsamt Wurzeln fressen, der Klimawandel und blutrünstige Warlords – allesamt Widrigkeiten, die man niemandem abkaufen kann. Vor vier Jahren erlebte das Horn von Afrika eine der schlimmsten humanitären Krisen seit 1945, mehr als 20 Millionen Menschen hungerten. Jahrelang war es trocken in Jemen, Somalia und Südsudan. Bis heute erhalten somalische Frauen kaum Bildung, sie werden beschnitten, gebären oft zehn Kinder, von denen viele verhungern. Der Staat gibt die Hälfte des Budgets für das Militär aus, Gelder aus Hilfsprogrammen fliessen in die Taschen korrupter und despotischer Herrscher. Lässt sich das mit ein paar Milliarden von Musk lösen? Oft profitieren einzig die Hilfswerke, die solches Leid mit Sammelaktionen bewirtschaften.
Wir schauen seltener hin als noch in den achtziger Jahren, als Rockstar Bob Geldof mit seiner Hymne «We Are the World» aufrüttelte und den Blick auf ausgemergelte Körper in Äthiopien richtete. Heute spurten die Medien im Stakkato-Rhythmus von Krise zu Krise. Umso wichtiger wäre es, ehrliche Debatten zu führen, statt mit populistischen Vorwürfen aufzufallen. Etwa zur Frage, ob staatliche Hilfe wirklich besser und effizienter hilft als die private Wohltat einer Stiftung wie jener von Bill und Melinda Gates.
Musk leistet einiges, um Not zu lindern. Er beschäftigt Zehntausende. Tesla hat das Interesse für die Elektromobilität geradezu befeuert. Andere Autokonzerne eifern ihm nach, was den CO2-Ausstoss reduzieren, die Klimaerwärmung verlangsamen, Dürren und somit Hunger mildern dürfte. Er ist ein Mann der Ideen, nicht des Geldes, vergleichbar mit anderen Jahrhundertfiguren wie Steve Jobs oder Bill Gates. Das sind allesamt Menschen, die nicht kleinlich darauf achten, wie sich die Kurse ihrer Aktien erhöhen. Sie wollen Neues erschaffen, von dem die Welt mehr profitieren soll als von Almosen.
Freilich könnte Musk den Hunger wirkungsvoller bekämpfen: indem er eine Tesla-Fabrik am Rand der somalischen Hauptstadt Mogadiscio errichtet. Letztlich füllt Wohlstand leere Bäuche, und dieser entsteht am schnellsten durch industrielle Fertigung vor Ort und im Speckgürtel, der sich um neue Fabriken bildet. Möglich sein wird das in Somalia aber erst, wenn es dort genügend Fachkräfte gibt, Frauen sich besser bilden dürfen, weniger Kinder haben, eine demokratische Marktwirtschaft entsteht, die nicht von Korruption zerfressen ist. Der Weg dorthin? Der ist lang – und kompliziert.