Von Peter Hossli (Text) und Bruno Muff (Illustration)
Sie ist wieder da, «that woman», wie Bill Clinton sie einst mit erhobenem Mahnfinger öffentlich erniedrigte. «Ich hatte keine sexuelle Beziehung zu dieser Frau, Fräulein Lewinsky», sagte der amerikanische Präsident vor laufenden Kameras. Es war gelogen.
Jetzt, 23 Jahre später, hängen an vielen Orten in New York Poster, die eine Brünette von hinten zeigen, sie trägt ein Béret und einen dunklen Regenmantel. Es sind Werbeplakate für die Fernsehserie «Impeachment», die diese Woche in den USA anlief und die Affäre von Clinton mit der Béret tragenden Praktikantin Monica Lewinsky nacherzählt. Zuvor haben Rapper dazu gedichtet, Akademiker sie gedeutet und Komiker verulkt.
Die Serie ist anders: Lewinsky hat sie produziert, sie konnte inhaltlich mitreden. Es ist ein weiterer Versuch, ihren Schmerz zu lindern, der sie bis heute quält – und definiert.
Alles begann mit einem Budgetstreit im US-Kongress, der die Regierung im November 1995 lahmlegte. Unbezahlte Hilfskräfte ersetzten das Personal im Weissen Haus. Clinton hatte Hunger, die damals 22-jährige Monica Lewinsky brachte ihm eine Pizza ins Oval Office. Die beiden bandelten an, über 18 Monate zog sich eine amour fou hin. Später stritt Clinton unter Eid ab, dass er mit der Praktikantin Sex gehabt hatte – und hielt die Lüge so lange aufrecht, bis Lewinsky einem Sonderermittler ein blaues Gap-Kleid mit präsidialen Spermaspuren überreichte.
Als die Liaison im Januar 1998 öffentlich wurde, vergiftete sie die amerikanische Politik. Drei Jahre lang beschäftigte sich das Land mit der Frage, was Sex sei und welche Rolle dabei Zigarren spielten. Clinton musste sich wegen Meineids einem Impeachment stellen. Zwar wurde er freigesprochen, sein Ruf aber hat gelitten. Bis heute haftet an ihm der Vorwurf, er habe sich damals zu wenig mit der islamistischen Terrorgefahr befasst.
Lewinsky versuchte im Sommer 2001 ein erstes Mal und etwas unbeholfen, der Sache zu entkommen: Sie fertigte Handtaschen, die sie in Europa feilbot und deshalb europäische Journalisten zu Interviews traf. Zum Termin erschien sie mit nassem Haar, trug Flipflops, Pluderhosen und ein weites T-Shirt, sagte kurz «Hallo» und entschuldigte sich für die Verspätung. Sie wirkte in sich gekehrt, verletzlich und sprach vor allem über Geld, das sie nicht habe und dringend brauche. Weil sie zu ihrem Schutz in einem bewachten Haus leben, erste Klasse fliegen und sich von Limousinen chauffieren lassen müsse. Niemand gebe ihr einen Job. «Ich bin kein Filmstar, ich bezahle alles selbst.» Und ja, irgendwann wolle sie ein normales Leben führen, heiraten und mit vielen Kindern in einem Haus mit Garten wohnen.
Eine Familie hat sie nicht. Aber heute, mit 48, ist sie finanziell unabhängig, verdient Geld mit Reden, Beratungsmandaten und als Produzentin in Hollywood. Es war ein weiter Weg von den Handtaschen, die sich nicht verkauften, und von missglückten Auftritten in Reality-TV-Shows. 2005 zog sie nach London und studierte Psychologie, hoffte, sich und ihr Leben in der Fremde zu festigen. Die Flucht scheiterte, sie ging nach Oregon, dem vergessenen Gliedstaat im Nordwesten Amerikas, und merkte, dass man sie dort nicht vergessen hatte. Erfolglos bewarb sie sich auf über fünfzig Stellen. Ihre Mutter holte sie zu sich nach Beverly Hills, wo sie aufgewachsen war. Ärzte diagnostizierten eine posttraumatische Belastungsstörung, an denen sonst Kriegsveteranen erkranken.
Nach Jahren der Stille begann sie sich 2014 aufzurappeln. In einem Essay im US-Magazin «Vanity Fair» erklärte Lewinsky, sie verbrenne das Béret und vergrabe das bekleckerte Kleid. Es sei an der Zeit «meiner Vergangenheit einen Sinn zu geben». Fortan hielt sie bezahlte Vorträge gegen Mobbing. Später entdeckte sie die #MeToo-Bewegung. Zwar bewertet Lewinsky die Affäre mit Clinton als «einvernehmlich», unbestreitbar ist aber das grosse Machtgefälle zwischen Präsident und Praktikantin. Schliesslich willigte sie zur TV-Serie ein, erzählt aus ihrer Sicht.
Damit will sie endlich die Kontrolle über ihr Leben zurückerhalten. Dass das gefährlich ist, weiss sie. «Wenn man wie ich so früh im Leben einen kolossalen Fehler gemacht und dadurch so viel verloren hat, ist die Vorstellung, einen weiteren Fehler zu begehen, katastrophal», sagte sie unlängst der «New York Times». Ohne Risiken komme sie aber nicht voran. «Ich muss Dinge ausprobieren. Ich muss definieren, wer ich bin.»
Sie will nicht mehr «diese Frau» sein.