Von Peter Hossli
Alain Berset fällt negativ auf. Nicht in den Zeitungen, nicht bei Umfragen. Kritik am SP-Bundesrat breitet sich an einer Stelle aus, die der Twitterer selbst aktiv prägt: in den sozialen Netzwerken.
Schlecht ist sein Image im digitalen Raum nicht etwa, weil Berset schlecht arbeiten würde oder weil ihn seine Berater falsch vermarkten. Das negative Bild ist Corona geschuldet. Ein Gesundheitsminister kann auf Social Media während einer Pandemie kaum punkten. Je nach Gesinnung werden seine Massnahmen als zu lasch oder zu rigid empfunden.
Diese Erkenntnis belegt das Kölner Unternehmen Unicepta mit Daten. Seine Analysten erfassen mithilfe künstlicher Intelligenz das Image von Personen und Unternehmen – dort, wo immer häufiger öffentliche Meinungen entstehen: in digitalen Echokammern. «Social makes policy», soziale Netzwerke machen Politik. Spätestens seit der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump lässt sich Twitter nicht mehr als privater Hinterhof kleinreden.
Unicepta hat für die «NZZ am Sonntag» analysiert, wie Alain Berset während der Pandemie ankam, bei Twitter und in den Online-Kommentaren von «20 Minuten», «Tages-Anzeiger», «Blick» und NZZ. Ihre Analyse unterscheidet sich von herkömmlichen Umfragen, da sie ungefilterte Äusserungen bewertet.
Präsenter als Berset war kein anderer Bundesrat. Unicepta zählte für ihn 142360 einzelne Einträge und Artikel, 6-mal mehr als für Finanzminister Ueli Maurer, der die KMU-Kredite sicherte. Die Daten zeigen: Bersets Arbeit stand stärker in der Kritik als Maurers. Und die Pandemie wurde eher als gesundheitliche denn als finanzielle Bedrohung verstanden.
Über die Einträge legten Datenspezialisten einen Algorithmus, massen die Tonalität, analysierten und kategorisierten Worte in «positiv», «neutral» und «negativ». Berset schneide «stark negativ» ab, sagt Unicepta-Managing-Partner Claas Sandrock – negativer als sonst Politiker. Nur gerade zehn Prozent der Einträge und Artikel fallen positiv aus. «Es zeigt die grosse emotionale Wucht von Corona», so Sandrock. «Es wäre einladend, diese Ergebnisse Berset anzulasten, die Daten stützen das aber nicht.» Zumal die Sachlichkeit der Debatten eher niedrig sei, die Emotionalität hoch. Entlastend für Berset: Der deutsche Amtskollege Jens Spahn weist für den gleichen Zeitraum fast identische Werte auf.
Berset war viel häufiger tagesaktuellen Beobachtungen ausgesetzt als Maurer, was der Twitter-Anteil belegt. Beim Gesundheitsminister liegt er bei 79 Prozent, beim SVP-Magistrat ist es die Hälfte. Maurer hat einen doppelt so hohen Anteil an Online-News-Artikeln. Beiträge und Artikel über Berset wurden durchschnittlich 10-mal geteilt, geliked oder kommentiert. Zum Vergleich: Bei den Bundestagswahlen 2017 hatte das aufreibende Thema «Flüchtlinge» im Schnitt 7 Interaktionen.
Die Häufigkeit der Einträge nahm parallel zu den Verschärfungen der Massnahmen gegen Covid-19 zu. Lockerte Berset sie, äusserten sich weniger. Allerdings ebbten die kritischen Stimmen kaum ab. Was eine bekannte These stützt: In der Politik dienen soziale Netzwerke als Ventil für Ängste und Wut. Über eher technischen Themen wie die Impf- oder die Teststrategie des Bundes wurde seltener diskutiert als über das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die Forderungen nach Lockerungen.
Die Tonalität änderte sich im Verlauf der Pandemie. Anfänglich war sie bestimmt von einer landesweiten Solidarität. Erste Schutzmassnahmen kamen gut an. Ab Herbst 2020 bildete sich ein negatives Rauschen. Selbst erfreuliche Nachrichten wie Öffnungsschritte wurden negativ bewertet. Gleichwohl dürfe Twitter nicht allein als Medium des Protests betrachtet werden, sagt Sandrock. Konzerne wie Roche oder Daimler liessen in Entscheide objektive Social-Media-Analysen einfliessen. Politiker hingegen würden Reaktionen auf eigene Einträge beachten und sich vom eigenen Algorithmus beeinflussen lassen. «Die Politik kann von den Unternehmen lernen, wie man aus der eigenen Blase tritt.»
Zuletzt analysierte Unicepta die Inhalte der stärksten Einträge auf Schweizer Onlineplattformen. Sandrocks Team fielen menschenverachtende und verletzende Kommentare auf, die an dieser Stelle nicht wiederholt werden sollen. Er ist überzeugt: «Da wären wohl klarere moderierende Eingriffe nötig gewesen