“Ich hätte mehr insistieren sollen”

Lonza-Chef Albert Baehny wollte dem Bund Zugriff auf 100 Millionen Impfdosen von Moderna ermöglichen. Das BAG ging nicht darauf ein.

Interview: Peter Hossli und Birgit Voigt

Albert Baehny, geboren 1953, ist Verwaltungsratspräsident der Lonza Group und der Geberit-Gruppe. 2020 führte er Lonza interimistisch als Chef. Der Biologe begann seine Laufbahn bei der Pharmafirma Serono. Weitere Stationen waren Ciba-Geigy und Dow Chemical.

Lonza und die US-Firma Moderna stehen im Zentrum einer Diskussion um eine Impfstoffherstellung durch die Schweiz. Wann hat Lonza Gespräche mit Moderna über eine mögliche Zusammenarbeit begonnen?
Albert Baehny: Die ersten Gespräche zwischen Lonza und Moderna fanden im März 2020 statt. Damals wussten wir nicht, ob aus dem Impfstoffkandidaten ein Impfstoff werden würde, ob mit der mRNA-Technologie grosse Mengen möglich sind. Moderna war ein Startup ohne kommerzielle Produkte.

Trotzdem haben Sie Moderna zugehört?
Wir hatten die Wahl unter verschiedenen Impfstoffherstellern, die Produktionskapazitäten suchten. Moderna hatte zehn Jahre Forschungserfahrung mit mRNA. Wir kamen zur Überzeugung, dass diese Technologie den Durchbruch bringen könnte. Herkömmliche Methoden benötigen drei, vier Jahre. Bewusst setzte ich auf das Unbekannte, weil ich das Gefühl hatte, das könnte klappen. Im März haben wir verhandelt, im April die Partnerschaft beschlossen.

Haben Sie den Bund direkt informiert?
Mitte April habe ich dem Bundesrat in einem Brief die Partnerschaft mit Moderna erläutert und dass es für die Schweiz eine Möglichkeit gibt, bei den Covid-19-Impfstoffen eine führende Rolle zu spielen.

Welche Reaktion kam aus Bern?
Ich hatte ein kurzes Telefonat mit Bundesrat Alain Berset. Am 1. Mai fand ein Treffen mit einer BAG-Delegation statt.

Was haben Sie sich von diesem Treffen dann erhofft?
Ich wünschte mir, die Firmenkooperation und die Vorteile der mRNA-Technologie erläutern zu können. Dazu haben wir unsere Pläne für drei Produktionslinien in Visp erläutert mit einem Investitionsvolumen von gut 180 Millionen Franken.

Hatten Sie da Hoffnungen auf finanzielle Unterstützung seitens des Bundes? Lonza plante ja eine grosse Investition auf eigenes Risiko.
Ich habe der Delegation gesagt, dass ich nicht primär Geld suche, dass ich informieren möchte – in der Hoffnung, gemeinsame Optionen auszuloten.

Was haben Sie vom Bund erwartet?
Ich bin zum Bund gegangen als Schweizer Staatsbürger, der zur Krisenbewältigung beitragen will. Und ich wollte verstehen, mit welcher Hypothese der Bund die Pandemie zu bewältigen versucht. Geht er von einer einmaligen, zeitlich begrenzten Krise aus, die man mit einer Impfung erledigen kann?

Haben Sie der BAG-Delegation konkrete Ideen unterbreitet?
Ich habe einige Ideen skizziert. Etwa, dass die Schweiz dank Lonza-Moderna eine führende Rolle im Kampf gegen Covid-19 und bei der Entwicklung von Impfstoffen anstreben könnte.

Was hat das BAG mit dieser Idee getan?
Das weiss ich nicht.

Wieso nicht?
Es gab keinen weiteren Kontakt mehr.

Da ist man doch etwas perplex?
Ja, das war ich. Gleichzeitig muss ich sagen, dass der Bund ziemlich früh Impfstoff bestellt hat.

Umfassten Ihre Ideen die Möglichkeit, dass der Bund sich für 60 Millionen eine eigene Produktionslinie für Moderna-Impfstoff sichert?
Das wäre doch denkbar, oder?

Haben Sie das als Option am 1. Mai in den Raum gestellt?
Ja, als Option unter anderen denkbaren Möglichkeiten.

Wie hätte das funktionieren können? Sie betonen stets, Lonza könne nicht für Moderna sprechen, denn man sei nur ein Zulieferer.
Natürlich hätte der Bund dies mit Moderna verhandeln müssen. Ich sage nicht, dass es sicher geklappt hätte. Alles, was ich damals sagte, war, dass hier eine Möglichkeit bestehen könnte. Und mein Angebot war: Wollen wir dies ansehen? Und klar, damals bestanden grosse Unsicherheiten und Risiken, ob das überhaupt etwas wird.

Wie viele Dosen produziert eine Linie in Visp?
Rund 100 Millionen Dosen im Jahr. Das wäre viel mehr, als die Schweiz braucht. Aber ich hatte die Vision, dass die Schweiz eine Geste machen und arme Länder mit Impfstoff unterstützen könnte. Es ist nicht dazu gekommen, mit dem BAG darüber zu reden. Ich hätte mehr insistieren sollen.

Bundesrat Alain Berset sagte kürzlich öffentlich, Ihr Anliegen sei die Suche nach Investoren gewesen.
Ich wollte einen Dialog mit dem Bund.

Haben Sie eine Rolle gespielt bei der frühen Bestellung von Moderna-Impfstoff durch die Schweiz? Es gab schon im Juni eine Übereinkunft über den Kauf von 4,5 Millionen Dosen.
Ich habe ein paar Kontakte hergestellt.

Läuft das Hochfahren der Produktion wie erhofft? Können Sie liefern wie versprochen?
Die Anlaufphase ist immer schwierig, wir hatten Probleme wie alle anderen. Aber die Produktion läuft jetzt, wie es geplant war.

Finden Sie genügend Personal für diesen ­Aufbau?
Ja, das finden wir. Zwischen 2018 und 2020 haben wir in Visp rund 1000 neue Arbeitsplätze geschaffen und eine Milliarde Franken investiert.

Neuerdings gibt es Berichte von erschöpftem Personal bei Lonza. Was sagen Sie dazu?
Natürlich sind viele Mitarbeiter erschöpft. Noch im Juli 2020 stand in Visp eine komplett leere Halle, seit Dezember produzieren wir dort den Wirkstoff. Wir haben in weniger als einem Jahr den ganzen Herstellungsprozess entwickelt, die nötigen Anlagen dazu bestellt und installiert, die Verfahren zertifizieren lassen, das Personal geschult und mit der Herstellung begonnen. Normalerweise dauert so etwas vier bis fünf Jahre. Unsere Mitarbeiter haben in den letzten Monaten alles gegeben, um dies möglich zu machen. Sie sind zu Recht stolz auf die Leistung. Es ist ihr Beitrag gegen die Pandemie. Sie bekommen grosse Anerkennung aus der Bevölkerung.

Wie sieht die Verfügbarkeit von Vakzinen aus?
Die Regierungen sind nervös. Weltweit sind die Kapazitäten für 2021 ausverkauft.