Aus ihm werden Salben, Mützen und Wimpern

Kein Land züchtet mehr Nerze als Dänemark. Wegen Corona müssen jetzt alle 17 Millionen Tiere sterben. Das könnte das Ende der Branche sein.

Von Peter Hossli und Niels Anner (Text) und Jo-Anne McArthur (Foto) on Unsplash

Thomas Aus der Au mag Nerze. Flauschig und warm sei das Fell, robust und vielfältig. Edler sei nur Zobel, sagt der Kürschner, der in seinem Zürcher Atelier heimische wie importierte Tierfelle verarbeitet. Braucht er Nerz, bestellt er ihn jeweils in Dänemark. Die Unterwolle und die dichten Haare der dänischen Tiere schätzt er besonders.

Doch jetzt bangt Aus der Au um die Ware aus dem Norden. In diesen Tagen werden in Dänemark Millionen von Nerzen getötet und verbrannt oder in riesigen Gruben vergraben. Die Tiere erkranken an Covid-19, und sie übertragen das Coronavirus in mutierter Form ­zurück auf den Menschen. Solche Varianten fanden die dänischen Gesundheitsbehörden bisher bei mehr als 200 Personen. Da ein Impfstoff gegen diese Variante weniger gut wirken könnte, verfügte die dänische Regierung die Vernichtung aller 17 Millionen Nerze im Land, egal ob gesund oder infiziert.

Die Felle dürfen nicht verwertet werden, und bis mindestens 2022 ist die Aufzucht der Tiere verboten. Damit könnte der weltweit wichtigste Anbieter der kostbaren Pelze für immer vom Markt verschwinden. Kein Land der Welt produziert mehr Nerze als Dänemark. Im Spitzenjahr 2014 waren es 17,8 Millionen Felle, dieses Jahr 12,158 Millionen.

Damit wäre eine Branche am Ende, die in 1930er Jahren eher zufällig entstanden ist. Damals erlebte die dänische Fischindustrie einen wahren Boom. Nerze fressen gerne Abfälle, die bei der Verarbeitung von Heringen und Makrelen entstehen. Dänische Fischer witterten eine zusätzliche Einnahmequelle und ermunterten die Landwirte, in der Nähe von Hafenstädten Tierfarmen zu errichten. Heute gibt es rund 1100 kleinere Betriebe, die oft seit Generationen den gleichen Familien gehören. Insgesamt beschäftigt die Branche 6000 Personen. Dänische Züchter haben die Pelzqualität über Jahrzehnte mithilfe der Wissenschaft gesteigert. Zahlreiche Biologen verfeinerten die Genetik der Säuger. Veterinäre an den Universitäten Aarhus und Kopenhagen betreiben sogar eigene kleine Nerzfarmen.

Für den Erfolg ebenso wichtig ist Kopenhagen Fur, das weltgrösste Pelz-Auktionshaus, das die Züchter genossenschaftlich führen. Allein letztes Jahr veräusserten Auktionatoren 24 Millionen Felle, davon die Hälfte aus heimischer Produktion. Hunderte, insbesondere asiatische Händler finden sich zu den Auktionen in einem Vorort von Kopenhagen ein. Mit Exporten von umgerechnet 700 Millionen Franken ist die Nerzbranche der lukrativste landwirtschaftliche Zweig des Landes.

Wenig Widerstand

Angesichts dieses Wirtschaftsfaktors verfängt Kritik an der Pelzzucht in Dänemark deutlich weniger als anderswo. Zwar prangerten Tierschutzorganisationen und linke Parteien die engen Platzverhältnisse auf den Farmen an. Die Branche hat reagiert und in den letzten Jahren ihre Ställe und die Haltung verbessert. Die Zucht ist heute streng reguliert. Farmer öffnen Neugierigen ihre Tore. Kürschner Aus der Au hat mehrere Betriebe in Dänemark besucht. «Dänische Nerze wachsen besser auf als Schweine oder Hühner in der Schweiz», sagt er. Wohl deshalb steht in Dänemark eine breite politische Front aus bürgerlichen Parteien und Sozialdemokraten hinter der Pelzbranche, ebenso die Bevölkerung. Nur ein Drittel der Befragten stellte sich kürzlich in einer Umfrage gegen die heimische Nerzzucht.

Jetzt scheint Corona zu bewirken, was Tierschützern nicht gelang. «Werden die Zuchtstämme ebenfalls vernichtet, stirbt die dänische Industrie», fürchtet Aus der Au. Das Auktionshaus Kopenhagen Fur kündigte bereits an, den Betrieb einzustellen. Nächstes Jahr sollen die Lager ausverkauft werden. Ein Neuanfang scheint nicht möglich. «Es würde Jahrzehnte dauern, die Zucht wieder aufzubauen», sagt Tage Pedersen, der Präsident des Verbandes dänischer Nerzzüchter. Die Situation ist besonders einschneidend, weil die Preise nach einigen schwierigen Jahren jüngst anzogen. Die Nachfrage nach Pelzen in China sei «phantastisch», sagt Pedersen. Entsprechend dürften sich ausländische Produzenten die Hände reiben.

Zwischen 20 und 100 Euro erhalten sie für ein Rohfell. Neben dem Angebot bestimmen vornehmlich Farbe, Grösse und Qualität den Preis. Landwirte bringen ihre Pelze in Auktionshäuser. Auktionatoren sortieren und verkaufen sie in Lots zu 50 Fellen. Veredler scheren und färben sie. Näherinnen, oft in China und in Bangladesh, fertigen die Kleidung. Für einen Mantel benötigen sie zwischen 25 und 60 Felle. Beliebt sind Handtaschen aus Nerz, Pantoffeln und Mützen. Frauen tragen das Fell als falsche Wimpern oder verlängern damit ihr Haar. Apotheker bieten schmerzlindernde Salben aus dem Fett der Tiere an.

Diese Produkte dürften jetzt massiv teurer werden, da sich das Angebot schlagartig verknappt, die Nachfrage in Japan, Russland, Südkorea und China aber eher noch zunimmt. Pelz gehört in diesen Ländern in gut sortierte Garderoben, in China trägt ihn die rasch wachsende Oberklasse als Statussymbol. Wie sich nächstes Jahr der Ausfall der dänischen Ernte auf den weltweiten Pelzmarkt auswirken wird, ist unklar. Der Sprecher von Fur Europe, Mick Madsen, geht von einem «Loch im Markt» aus, das während drei bis fünf Jahre klaffen werde. «Wer davon profitiert, ist die zentrale Frage.» Madsen hofft auf andere europäische Züchter, etwa auf baltische und griechische. Realisten blicken in den fernen Osten. «China ist bereit und kann die Nerzproduktion schnell ausbauen», sagt Agrarökonom Henning Hansen von der Universität Kopenhagen.

Dem Zürcher Kürschner Aus der Au behagten die Qualität und der Umgang mit Tieren aus chinesischer Zucht nicht, betont er. Nerze könnte er künftig im Baltikum und in Nordamerika beziehen. Am liebsten verarbeitet er ohnehin Felle gejagter Tiere, in der Schweiz meist von Füchsen. Obwohl diese ihr Haar länger tragen und die Felle etwas wilder erscheinen.

Umweltfreundlicher als Kunstpelz

Nerze sind verwandt mit Wieseln, Ottern und Frettchen. Sie können gegen zehn Jahre alt werden, halten sich in freier Wildbahn gerne im und am Wasser auf. Biologen unterscheiden zwei Arten. Der amerikanische Nerz wird grösser und gilt als anpassungsfähiger als der europäische. Der wilde Nerz ist in Europa vom Aussterben bedroht, zumal viele Männchen als Sexmuffel gelten. Zudem haben von Tierschützern befreite amerikanische Nerze viele ihrer europäischen Artgenossen getötet.

Die Raubtiere sind gefrässige Tiere. In der Wildnis jagen sie Krebse und Vögel. Eine Farm mit 3000 Nerzen verfüttert täglich zwei Tonnen Nahrung. Die Nerze verschlingen dort Schlachtabfälle, verdorbenen Käse und alte Eier. Gerade weil Nerze so viel Unrat vertilgen, gilt ihre Zucht als umweltverträglich. Produzenten von Kunstpelzen stossen pro Fell mehr CO2 in die Luft als Nerzzüchter.