Von Peter Hossli und Michael Furger
Geraten sich gutbetuchte Banker wirklich wegen etwas Baulärm in die Haare? Oder wegen Bäumen, die den Blick auf den Zürichsee beeinträchtigen? Streiten sie sich deswegen so sehr, dass sie ihren Ruf und ihre Karrieren mit Gehältern in Millionenhöhe riskieren?
Das waren die ungeklärten Fragen der im Herbst 2019 aufgeflogenen Beschattungsaffäre der Credit Suisse (CS). Warum nur entzweiten sich Konzernchef Tidjane Thiam, 57, und der damalige Leiter der internationalen Vermögensverwaltung der CS, Iqbal Khan, 44?
Recherchen zeigen nun: Der Konflikt entzündete sich anscheinend an einer Personalfrage. Dabei ging es laut Quellen um Missgunst und, wie sie sagen, um «Mobbing».
Gesichert war bisher, dass es an einer Party im Januar 2019 zu einem Disput kam zwischen den Hoffnungsträgern der Grossbank. Obwohl sich CS-Verwaltungsratspräsident Urs Rohner, 60, in der Folge darum bemühte, liess sich der Streit nicht mehr schlichten.
Im Kern geht es beim Zerwürfnis aber um die Intrige um einen dritten Mann, einen weiteren CS-Banker. Der Umgang mit ihm stand am Anfang vom Ende einer beruflichen Beziehung am Paradeplatz. Das berichten drei Personen unabhängig voneinander. Auskunft geben sie unter Zusicherung der Anonymität. Eine dieser Personen hat direkte Kenntnisse der Entzweiung. Eine zweite Person war früher bei der Credit Suisse tätig und bekam den Bruch mit. Eine dritte Person arbeitet noch immer dort und weiss, was innerhalb der Bank läuft.
Angefangen zu streiten haben sich Khan und Thiam gemäss übereinstimmenden Aussagen schon 2018 wegen Claudio de Sanctis. Der 47-Jährige ist bekannt auf dem Schweizer Finanzplatz, derzeit arbeitet er bei der Deutschen Bank in Zürich. Ein Mann mit Stil, Italiener, stets chic gekleidet. In Rom hat er Philosophie studiert. Zur Credit Suisse kam er 2013 von der UBS. Zuletzt leitete er bei der CS das Europageschäft. Begüterte Kunden ausserhalb der Schweiz, aber innerhalb Europas vertrauten seinem Team ihre Gelder an.
Dass sich der gravierende Streit an de Sanctis entzündete, scheint angesichts der vielen Quellen unbestritten. Allerdings sind nur zwei der drei Auskunftspersonen die Umstände genauer bekannt, die den Zwist auslösten.
Sie erzählen folgende Version: De Sanctis war bei der CS erfolgreich. Unter ihm stieg die Zahl der Kunden an, die verwalteten Vermögen nahmen ebenfalls zu. Von einem Talent war innerhalb der CS die Rede, von einem, der Ambitionen hegt und aufsteigen dürfte, weit nach oben. Mancher sah in ihm Khans Kronprinzen bei der Vermögensverwaltung, falls dieser an die Spitze der Credit Suisse käme.
Das Gerede um den Emporkömmling soll bei Thiam Ängste geschürt haben. Zumal der Geltungsdrang des CEO «unermesslich» sei, der Chef das Rampenlicht ungern teile. Er dulde es nicht, wenn andere unter ihm zu stark würden, erzählt eine Person, die das selbst erlebte und trotz massiver Lohneinbusse eine Stelle ausserhalb der CS annahm.
Thiam habe de Sanctis loswerden wollen und zu einem Mittel gegriffen, das offenbar zu seinem Führungsstil gehört: Er versuchte, an belastende Informationen über de Sanctis heranzukommen. Der Franco-Ivorer wollte etwas gegen den Italiener in der Hand haben.
Mit diesem Anliegen habe sich Thiam an den damaligen Vorgesetzten von de Sanctis gewandt, an Khan. Unverfroren habe der CEO den Manager aufgefordert, «schmutziges Material» über seinen Mitarbeiter zu sammeln, wie eine Person erzählt.
Das wiederum stürzte Khan in einen Loyalitätskonflikt. Plötzlich stand er zwischen Chef und Kollege. Mit einem Aufstand habe er sich aus dieser Bredouille gelöst und sich geweigert, gegen de Sanctis zu intrigieren. Khan wollte nicht nach unten treten. Aus seiner Sicht mobbe, wer gegen eigene Mitarbeiter unvorteilhaftes Material sammle. Khan soll zudem der Ansicht gewesen sein, ein solches Gebaren gehöre nicht in die Chefetage einer Schweizer Bank.
Khan und de Sanctis sollen ausserdem freundschaftlich miteinander verbunden sein.
Thiam soll in Khans Weigerung ein illoyales Verhalten gesehen haben. Er liess es zum Bruch kommen und habe angefangen, gegen Khan zu «mobben», wie berichtet wird. Fortan reichte jede Nichtigkeit, um die beiden Top-Banker gegeneinander aufzubringen. Nicht gerade friedensstiftend war zudem der etwas bizarre Umstand, dass die beiden Kontrahenten in Herrliberg nebeneinander wohnten. Khans Baulärm? Thiams Bäume, die seinem Nachbarn die Sicht versperrten? Beides verschärfte den Streit. Schliesslich verliess Khan die CS und fing im Oktober 2019 bei der UBS an. Kurz vor Stellenantritt liess die Credit Suisse ihn und seine Familie von einer Detektivfirma überwachen. Als die Beschattung publik wurde, nahm sich ein Vermittler zwischen Bank und Detektei das Leben. Thiam bestreitet, von der Bespitzelung gewusst zu haben.
Gehen mussten zwei andere CS-Mitarbeiter. Zurück bleibt eine globale Bank mit weltweit angeschlagener Reputation. Zudem laufen verschiedene Untersuchungen.
Thiam gelang es mit anderen Mitteln, de Sanctis in die Schranken zu weisen. «Der Chef operiert nach dem Prinzip ‹divide et impera›», erzählt eine Person. Die Führungsstrategie aus dem alten Rom besagt, man müsse eine aufsteigende Gruppe zerschlagen, um sie beherrschen zu können. Der CEO liess die Arbeitsbereiche von de Sanctis aufspalten, so dass dessen Einfluss schrumpfte.
Der an Macht beschnittene Italiener sah in der CS keine Zukunft mehr und schaute sich nach einer anderen Stelle um. Fündig wurde er bei der Deutschen Bank, wo er im Dezember 2018 als Europa-Chef anfing.
Für aussenstehende Banker vollzog sich der Abgang im Sommer 2018 überraschend schnell. Zumal die CS vor der Deutschen Bank an die Öffentlichkeit ging, was nicht den Gepflogenheiten der Branche entspricht.
Die Art, wie Thiam den unliebsamen Banker loswurde, soll kein Einzelfall sein. «Thiam hat das schon bei anderen gemacht», heisst es etwa. Oder: «Er sammelt Informationen, um gegen sie vorzugehen.» Es herrsche «ein Klima der Angst». Es würden Mitarbeiter geopfert. «Der CEO fürchtet, nicht geliebt zu werden.»
Khan, sein direktes Umfeld sowie die UBS wollten zu dieser Recherche nicht Stellung nehmen. De Sanctis, mittlerweile Leiter der weltweiten Vermögensverwaltung der Deutschen Bank, reagierte auf eine Anfrage nicht. Die CS wollte nicht kommentieren.
Am Sonntag, 26. Januar 2020, reichte die Credit Suisse dieses Zitat nach: «Der heute in den Medien erhobene Vorwurf, wonach der Group CEO angeordnet hätte, belastendes Material gegen Claudio de Sanctis zu suchen, ist falsch und rufschädigend. Er wird von Credit Suisse in aller Form zurückgewiesen.»
Es wird bekannt, dass Iqbal Khan per Anfang Oktober 2019 Co-Leiter der Sparte internationale Vermögensverwaltung der UBS wird. Der Preisanstieg der UBS-Aktie wird mit der Anstellung des «CS-Wunderkindes» begründet.
Das Online-Portal «Inside Paradeplatz» berichtet über «einen Krimi um Khan». Detektive hätten den ehemaligen CS-Banker sowie dessen Familie in der Vorwoche beschattet.
Der Vermittler zwischen der Credit Suisse und einer privaten Detektivfirma nimmt sich das Leben. Bekannt wird die tragische Wende am 30. September.
Die britische «Financial Times» berichtet, ein Nachbarschaftsstreit sei der Auslöser der Beschattung gewesen. Während langer Zeit soll Khan seine Villa neben Thiam umgebaut haben. Der Lärm habe den Konzernchef gestört. Thiam soll einen Baum gepflanzt haben, der Khans Sicht auf den Zürichsee versperrt habe.
Die Credit Suisse legt die Ergebnisse einer internen Untersuchung offen. CEO Thiam soll nichts von der Beschattung gewusst haben. Gehen müssen sein COO Pierre-Olivier Bouée sowie der Sicherheitschef Remo Boccali. Später macht die NZZ publik, dass der ehemalige CS-Personalchef ebenfalls beschattet worden ist.