Interview: Peter Hossli und Albert Steck Foto: Marion Nitsch
Sie führten die Credit Suisse und die UBS als CEO. Wie viele Mitarbeiter liessen Sie beschatten?
Oswald Grübel: Keinen.
Dann stimmt, was CS-Verwaltungsratspräsident Urs Rohner sagt: Die Beschattung von Iqbal Khan war eine Ausnahme?
Ich kann mir schwer vorstellen, dass andere Banken so agieren würden. Es zeugt von einer grossen Unsicherheit, wenn man so etwas machen lässt. Als ich bei der CS und UBS war, gab es das meines Wissens nie.
Wenn der Chef nicht weiss, dass ein wichtiger Angestellter von Detektiven überwacht wird, hat er dann seine Bank noch im Griff?
Es kommt auf die Stufe drauf an. Ist das Ziel der Beschattung ein Konzernleitungsmitglied…
… wie es Khan als Chef der Vermögensverwaltung war…
… dann muss der CEO das wissen. Wenn er es nicht wusste, ist das entweder ein «Wunder» – oder aber er kennt die Vorgänge in seiner Firma nicht.
Die Verteidigungslinie der CS lautet: Der CEO wusste nichts?
Leider nimmt die Öffentlichkeit das anders wahr. Und das schadet dem Schweizer Finanzplatz. Die ausländischen Medien platzen vor Schadenfreude. In einem Geschäft, in dem vor allem Kompetenz verlangt wird, gibt es nichts Schlimmeres, als lächerlich dazustehen.
Aus Ihrer Sicht steht die Credit Suisse lächerlich da?
Nehmen Sie die Fakten: Der CEO streitet mit seinem angeblich besten Geschäftsleitungsmitglied über Garten und Baulärm. Er beschwert sich beim Präsidenten über seinen besten Mitarbeiter. Dann verlässt dieser Mann mit Vorzugskonditionen die Bank, worauf der seit zwanzig Jahren engste Vertraute des CEO eine Beschattung angeordnet haben soll. Weil die Aktion auffliegt, kommt es sogar zum Selbstmord eines Involvierten. Nun stellt in einer Untersuchung der VR fest, dass der CEO von all dem nichts gewusst habe.
Sie fordern den Rücktritt des CEO. Ist das nicht zu einfach? Immerhin hat Tidjane Thiam die Credit Suisse 2015 in einem schwierigen Zustand übernommen und einem radikalen Sanierungsprogramm unterzogen.
Das bestreite ich ja nicht. Ich mache es mir nicht einfach, ich schaue lediglich die Fakten an: Der Chef streitet sich mit seinem besten Mitarbeiter wegen Belanglosigkeiten. Das ist sehr peinlich für die Bank und für den CEO. Das wissen die Aktionäre, die Kunden, die Angestellten, ja das ganze Land.
Verschiedene CS-Grossaktionäre stellen sich hinter Thiam.
Die Aktionäre wollen lieber Ruhe haben. Sie nehmen in Kauf, dass zwei der besten Manager gehen müssen, halten aber am CEO fest. Das kommt aus einer defensiven Haltung heraus. Sie haben alle bereits enorme Verluste auf ihren Beteiligungen und möchten keine weiteren Unruhen, die ihre Hoffnungen stören.
Die Aktionäre fürchten, ein erzwungener Rücktritt könnte die Bank in ein Chaos stürzen?
Anscheinend. Allerdings sollte man davon ausgehen können, dass der VR jederzeit einen Ersatz-CEO hat.
Im September 2011 wurde bekannt, dass UBS-Trader Kweku Adoboli 2 Mrd. $ durch Betrug verloren hatte. Kurz darauf sind Sie als CEO zurückgetreten. Warum war das nötig?
Um die Reputation der Bank zu retten, muss der CEO die Verantwortung übernehmen. Bei solchen Vorfällen kann der Chef nicht irgendjemandem die Schuld geben, selbst wenn er nichts davon gewusst hatte.
Sie haben die Prinzipien über Ihre Karriere gestellt?
Das muss jeder verantwortungsvolle CEO tun. Für den Chef kommt das Unternehmen immer an erster Stelle. In dem Moment, wo der CEO zuerst an sich denkt, wird das Unternehmen nicht mehr erfolgreich sein und geht letztlich unter.
Denkt Herr Thiam nur an sich?
Ich hoffe nicht. Aber nachdem, was kommuniziert wurde, erstaunt der Entscheid des VR, an ihm festzuhalten.
Weil der CEO erpressbar wird?
Reagiert der CEO so wie in diesem Fall, ist er manipulierbar. Ein CEO darf sich nie manipulieren lassen. Ein CEO ist uneingeschränkt verantwortlich für das Unternehmen, und nicht umgekehrt. CEO werden deshalb sehr hoch bezahlt, weil sie jederzeit austauschbar sein müssen.
Es heisst, Herr Thiam hätte den kometenhaften Aufstieg von Khan nicht ausgehalten.
Umso seltsamer ist diese Geschichte. Habe ich einen Mitarbeiter, der von der ganzen Bank und der Konkurrenz als Talent anerkannt wird, würde ich alles daransetzen, diesen Mitarbeiter zu halten.
Prägt Neid die Bankenwelt?
Ich war 38 Jahre bei der Credit Suisse und habe dort keine Neidkultur erlebt. Die CS war immer flexibel und wenig geplagt von – sagen wir mal – menschlichen Unzulänglichkeiten.
Iqbal Khan ist zum Erzrivalen UBS gewechselt. Früher waren solche Rochaden kaum üblich.
Das Geschäft hat sich stark verändert. Seit der Finanzkrise sind Banken in der Schweiz und Europa aufgrund strikter Regulierung in ihrem ursprünglichen Geschäft stark eingeschränkt. Man musste das Investmentbanking praktisch aufgeben und die Risiken reduzieren.
Wo zeigt sich das besonders?
Zum Beispiel bei den Minuszinsen. Minuszinsen sind etwas Wahnsinniges. Das heisst doch: Geld ist nichts mehr wert. Man will Wirtschaftswachstum mit ständig abwertenden Währungen erzeugen. Verrückt!
Hinzu kommt das Ende des Bankgeheimnisses.
Jetzt, wo es kein Schwarzgeld mehr gibt, können Bankkunden jederzeit ihre Bank wechseln.
Banken werben sich gegenseitig Teams mitsamt Kunden ab. Ist es hilflose Taktik, der Konkurrenz einfach das Wasser abzugraben?
Das ist ganz normaler Marktanteilkampf. Einzig die Amerikaner verstehen, dass man ohne Risiko kein grosses Geld verdienen kann, und deshalb haben sie ihre Regulierung entsprechend angepasst. In Europa würde man am liebsten alle Banken verstaatlichen, weil man glaubt, das Ri-siko wäre dann weg, was natürlich Blödsinn ist.
Sie sind pessimistisch für den Finanzplatz?
Solange wir Minuszinsen haben, wird die Finanzbranche weiter schrumpfen.
Trotz sinkenden Gewinnen bleiben die Löhne in den Chefetagen hoch. In der Öffentlichkeit kommt das nicht gut an.
Braucht es in diesem sehr risikoreduzierten Umfeld CEO, die über zehn Millionen kosten oder tun es drei Millionen? Ich glaube wir alle kennen die Antwort. Bei den mittleren Kader hat sich das Lohngefüge ebenfalls erstaunlich gut gehalten.
Sie sind 75 und investieren selbst. Ist es noch einfach, an der Börse Geld zu verdienen?
Es braucht Mut. Wenn alle sagen, die Welt geht unter, muss man kaufen. Sagen alle, es geht nur noch höher, muss man verkaufen. Ist der Markt überkauft, verkaufe ich. Ist er überverkauft, kaufe ich.
Sind Sie Käufer oder Verkäufer?
Jetzt eher Käufer. Es wird noch etwas weiter runtergehen.
Halten Sie CS und UBS?
Nein.
Die Aktien sind doch günstig.
Nur weil eine Aktie, die einst bei 80 war, jetzt bei 10 ist, heisst das noch lange nicht, dass sie günstig ist, denn heute gibt es drei- bis viermal mehr Aktien von den gleichen Banken.
Braucht die CS wieder einen CEO aus der Schweiz?
Es ist hilfreich, im globalen Geschäft Angestellte zu haben, die internationale Erfahrung mitbringen. Aber die Schweizer Banken sind heute weniger global als 2009. Da würde es Sinn machen, wieder einen Schweizer als CEO einzusetzen.