Wie führt man Krieg aus der Distanz?

Die israelische Drohnenpilotin Maya O’Daly über ihre Arbeit als Aufklärerin – und warum israelische Soldaten mit Drohnen schiessen und Soldatinnen überwachen.

Von Peter Hossli und Nicoletta Cimmino *

Maya O’Daly (20) ist Drohnenpilotin in der israelischen Armee. Sie fliegt Einsätze über Ägypten und Jordanien. Sie wuchs in Südlondon auf und lebt seit 2017 in Israel. Nach dem obligatorischen Militärdienst möchte sie Geschichte und Philosophie studieren.

Unteroffizierin O’Daly, warum tragen Sie Ihr Sturmgewehr selbst dann auf sich, wenn Sie Ihre Drohne fliegen?
Wir befinden uns in einer Konfliktregion. Das Gewehr tragen wir ständig auf uns, damit wir es im Notfall nicht suchen müssen.

Und wo liegt es während der Nacht?
Unter der Matratze, auf der ich schlafe.

Sie bezeichnen sich als Pilotin. Flugzeuge gleiten mit einem Piloten durch die Luft. Sie aber steuern die Drohne am Boden. Ist das Fliegen?
Aus meiner Sicht bin ich eine Pilotin. Mein Blick entspricht der Sicht aus einem Cockpit, und ich kann das Gerät vollständig
kontrollieren.

Sie sind abhängig von Technologie.
Ein Militärpilot tankt einen Jet und legt los. Meine Drohne ist mit etlichen Satelliten verbunden. Verliere ich den Kontakt, verpasse ich womöglich wichtige Details.

Israel kennt die Militärpflicht. Warum fliegen Sie Drohnen und kämpfen nicht als Füsilierin?
Eine Drohne zu fliegen ist ziemlich cool. Meine Aufgabe besteht darin, Informationen in kriegerischen Zonen zu beschaffen. Die Drohne ist mein wichtigstes Hilfsmittel.

Sie fliegen über Feindesland und erkennen potenzielle Angreifer?
Wollen wir etwas von nah sehen, fliegen wir Drohnen. Mit unseren Kameras erkennen wir potenzielle Feinde ziemlich genau. Die Bildqualität ist hervorragend.

Können Sie Gesichter sehen?
Es ist möglich, aus der Luft Kinder von Erwachsenen zu unterscheiden, Junge von Alten, Männer von Frauen. Und wir sehen, ob die Menschen dünn oder dick sind.

Wohl wichtiger: Sehen Sie, ob die Personen bewaffnet sind?
Mit der Wärmebildkamera identifizieren wir Sprengstoff und nehmen wahr, ob eine Waffe an gewissen Stellen heiss ist, ob mit ihr bereits ein Schuss abgefeuert worden ist.

Können Sie mitlesen, wenn jemand ein SMS schreibt?
Das habe ich noch nie erlebt. Stets weiss ich aber, wie viele Personen sich in einem Auto aufhalten.

Wie können Sie sicherstellen, dass Sie einen bewaffneten Israeli nicht als Feind ausmachen?
Wir wissen, welche unserer Truppengattungen wo im Einsatz sind. Israelische Soldaten tragen taktische Abzeichen auf ihren Uniformen, die wir mit den Drohnen wahrnehmen, etwa Aufkleber auf ihren Helmen.

Falls Sie einen Feind erkennen – wie informieren Sie den Freund?
Über geschützte Frequenzen der Armee, manchmal ganz einfach über Funkgeräte oder Telefone.

Sie sitzen in einem klimatisierten Raum und spähen bewaffnete Feinde in der Wüste aus …
… wir sitzen nicht in klimatisierten Räumen, sondern unter Zelten, die wir in der gleissenden Sonne aufbauen. Nicht selten ist es 40 Grad. Beim Fliegen schwitze ich.

Wie reagieren Sie, wenn Sie einen bewaffneten Feind sehen?
Es ist immer ein Schock und höchst beunruhigend, eine Waffe zu erkennen. Wobei ich Waffen und patrouillierende Soldaten auf der anderen Seite der Grenze sehe, nicht in Israel.

Wir befinden uns in der Negev-Wüste. Wo fliegen Sie?
Zu meinen Aufgabenbereichen gehören Jordanien und Ägypten. Von dort darf nichts Gefährliches nach Israel kommen, keine Drogen, keine Waffen, keine boshaften Menschen. Wir stellen sicher, dass nichts passiert. Insofern sichere ich den Frieden.

Halten Sie sich in Ägypten und Jordanien auf?
Die Drohnen sehen, was auf der anderen Seite der Grenze passiert. Geschieht etwas, werden wir aktiv.

Was ist der Vorteil einer Drohne gegenüber einem Flugzeug?
Drohnen sind beweglich und klein. Man kann nahe rangehen und somit jede Situation beobachten. Es ist möglich, einem Auto zu folgen, das durch eine kurvige Strasse oder einen Canyon fährt.

Wie nah müssen Sie ran, um Gesichter zu erkennen?
Von einer Höhe von 120 Metern sehe ich sehr genau, was auf dem Boden passiert. Meist fliege ich auf 80 Metern. Die Drohne ist selten mehr als 300 Meter von mir entfernt. Nach 40 Minuten in der Luft muss ich die Batterie wechseln.

Dann halten Sie sich direkt in Kampfzonen auf?
Ja, wir stehen mit der Fernbedienung mitten in gefährlichen Gebieten.

US-Piloten fliegen ihre Drohnen in Afghanistan von Nevada aus. Was halten Sie davon?
Diese Art der Kriegführung schafft Distanz. Aus der Entfernung verliert man die Übersicht – und womöglich das Verständnis für einen Konflikt. Sollte etwas Schlimmes passieren, können wir vor Ort rasch reagieren.

Ein Drohnenpilot feuert aus sicherer Distanz auf Feinde. Er ist nie einer Gefahr ausgesetzt.
Ja, so entsteht ein sonderbarer Abstand zwischen den Parteien.

Kritiker sagen, das sei unfair.
Krieg ist immer unfair.

Soldaten leiden nach einem Kriegs­einsatz oft an posttraumatischem Stresssyndrom. Wie steht es mit Drohnenpiloten?
Für mich war das bisher kein Problem, da ich keine Granaten abfeuere. Aber es ist immer belastend, Waffen zu sichten.

Wie bereiten Sie sich mental auf die Einsätze vor?
Die ganze Ausbildung ist ein langes mentales Training. Wir lernen, mit sehr stressigen Situa­tionen umzugehen und unter Druck kühlen Kopf zu bewahren.

Wie fühlt es sich an, per Knopfdruck eine Granate von einer Drohne abzufeuern?
Das habe ich noch nie getan.

Ihre Drohne ist nicht bewaffnet?
Meine Kollegen, die über dem  Gaza­streifen im Einsatz sind, fliegen mit Granaten bewaffnete Drohnen. Meine Drohne trägt keine Waffen.

Sie könnten schiessen, wenn Sie es wollten?
Derzeit nicht. Wir Frauen beobachten Länder, mit denen Israel eher friedliche Beziehungen hat, wie Jordanien und Ägypten. Bewaffnete Drohnen würden dort den Frieden gefährden.

Anders in Gaza?
Dort ist die Situation sehr ­angespannt, deshalb sind dort bewaffnete Drohnen nötig.

Wie wird man zum Einsatz mit bewaffneten Drohnen befördert?
Alle beginnen mit unbewaffneten Drohnen. Wer die Aufklärer-Drohnen fliegen kann, trainiert, Granaten abzufeuern.

Möchten Sie das tun?
Frauen können in der Gegend um Gaza keine Drohnen fliegen, weil diese Drohnen speziell entwickelt worden sind. Nur die Männer fliegen bewaffnete Drohnen.

Seltsam in einem Land wie Israel, in dem Gleichberechtigung so wichtig ist.
Die Situation in Gaza ist delikat. Aus Respekt gegenüber dem Feind verzichtet die israelische Armee dort auf den Einsatz von Drohnenpilotinnen. Frauen beobachten, Männer schiessen.

Männer und Frauen arbeiten bei Drohnen nie zusammen?
Erstmals sind jetzt israelische Män­ner und Frauen gemeinsam über Syrien im Einsatz. Zusätzlich sind die Männer in Gaza und im Libanon.

Sehen Sie die Drohne während eines Einsatzes?
Eine Person schaut auf den Bild­schirm und führt die Fernbe­dienung, die andere beobachtet die Umgebung und achtet auf das Gerät. Meine Kollegin warnt mich, sollte ich zu nahe an eine Strom­leitung geraten. Sie sieht, was
ich nicht sehe. Ich beachte nur den Bildschirm.

Sie fliegen die Drohne zu zweit. Sprechen Sie im Einsatz miteinander?
Kaum, der Blick auf den Bildschirm erfordert enorme Konzentration.

Arbeiten Sie immer mit der gleichen Person?
Es können verschiedene Personen sein. Aber mein Team ist seit langem zusammen. Wir haben die Ausbildung gemeinsam durchgestanden. Die Frauen in meinem Team kenne ich seit acht Monaten. Es ist ein reines Frauenteam.

Und wer trifft aufgrund der Daten die Entscheidungen?
Nicht wir Pilotinnen, sondern der Kommandant.

Rüstungsfirmen entwickeln selbst­fliegende Drohnen, ausgestattet mit künstlicher Intelligenz. Wann sind diese einsatztauglich?
Schneller, als viele meinen. Der technologische Fortschritt ist rasant, was sich auf die Kriegs­führung abfärbt.

Noch entscheiden Sie, ob die Person im fahrenden Auto ein Freund oder ein Feind ist. Was passiert, wenn der Algorithmus das tut?
Ohne menschliches Urteil geht die Empathie verloren. Empathie aber schafft Frieden. Bleibt die Entscheidung den Algorithmen überlassen, fehlt der Ansporn, friedliche Lösungen zu finden und sich der Gegenseite anzunähern. Ein Algorithmus ist kalt. In Kriegen ist aber Mitgefühl nötig.

Andere sagen, künstliche Intelligenz sei fehlerfrei, da sie nicht von Gefühlen getrieben sei. Wäre es nicht besser, Algorithmen würden darüber entscheiden, ob Raketen abgefeuert werden?
Algorithmen sind mathematisch, Menschen haben sie programmiert. Geschieht etwas Unvorbereitetes, fehlen dem Algorithmus die Antworten. In Kriegen passieren oft unvorstellbare und nie da gewesene Dinge. Da besteht die Gefahr, dass Algorithmen falsch entscheiden.

Was geschieht mit Pilotinnen, wenn nur noch künstliche Intelligenz die Drohnen fliegen?
Dann braucht es mich nicht mehr, was schade wäre. Mir macht es Freude, Drohnen zu fliegen.

Was gefällt Ihnen daran?
Das Gerät zu kontrollieren – und mit dem Auge nahe dran zu sein.

Sie sind in London aufgewachsen. Warum kamen Sie nach Israel, um Militärdienst zu leisten?
Zuerst war nur ein Zwischenjahr geplant, dann wollte ich mehr über die israelische Gesellschaft erfahren. Die Armee ist zentral, da will ich dazugehören. Nach dem Militärdienst habe ich vor, hier zu studieren.

Sie leben in einer konfliktreichen Region. Ist Frieden möglich?
Man darf die Hoffnung nie verlieren, sollte sich aber nicht von Optimismus blenden lassen. Naivität hilft nicht. Der Weg zum Frieden ist beschwerlich.

Was ist Ihre Aufgabe auf dieser Reise?
Meine Absichten sind gut. Drücke ich sie aus, kann ich allenfalls mein Umfeld berühren.

Und welche Rolle kommt der Drohne zu?
Meine Drohne passt auf alles auf. Die Drohne schaut, dass nichts Böses passiert.

* Nicoletta Cimmino ist Moderatorin der SRF-Sendung «Echo der Zeit»