“Meine Filme sollen Fragen aufwerfen”

Marc Forster (46) gehört zu den besten Regisseuren der Gegenwart. Hier redet er über Hits, Flops – und wer in Hollywood wirklich mächtig ist.

Von Peter Hossli (Text) und Hannes Schmid (Foto)

marc_forsterSchweizerdeutsch? Oder doch lieber Englisch? «Beides ist mir recht», sagt Marc Forster, Regisseur aus den Schweizer Bergen, der jetzt am Pazifik in Hollywood lebt. «Ich mag Schweizerdeutsch», sagt er am ­Telefon. Sein Dialekt ist leicht mit einem amerikanischen Akzent unterlegt.

Es ist Nacht dort, Tag hier. Seit zwanzig Jahren lebt Forster in Los Angeles, «amerikanischer bin ich in dieser Zeit aber nicht geworden».

Noch immer sei er oft in der Schweiz. Los Angeles? Das sei nicht Amerika. Ebenso wenig New York, wo er davor einige Jahre gelebt hatte. «Beide Städte sind soziale und ­kulturelle Meltingpots.» Globale Dörfer, wo jeder willkommen sei. Wo Kunst und Kommerz blühen, wo die ganze Welt daheim ist.

Forster wuchs in Davos auf. Nach der Matura verliess der Bündner die Schweiz. Er studierte an der New York University Film, die gleiche Schule besuchten vor ihm Spike Lee (59), Oliver Stone (70) und Jim Jarmusch (63).

Von New York ging Forster nach Hollywood. Mit 31 ist er dort ein Star, der Meister seines Fachs. Sein Drama «Monster’s Ball» gerät 2001 zum kommerziellen Hit – und schreibt Geschichte. Als erste schwarze Frau erhält Halle Berry (50) einen Oscar für ihren Auftritt in einer Hauptrolle.

Fortan stehen Forster alle Türen offen. Mit Brad Pitt (52) dreht er, mit Johnny Depp (53), Dustin Hoffmann (79) und Kate Winslet (41). Fans wie Kritiker huldigen der ­Peter-Pan-Verneigung «Finding ­Neverland» und dem afghanischen Drama «The Kite Runner». Kult-Status erlangt die Komödie «Stranger than Fiction». Mit Zombies feiert er in «World War Z» einen Kassenhit. In «Quantum of Solace» gibt er Agent James Bond die Lizenz zum Töten und schickt ihn um die Welt.

marc_forster2Nicht aber in die Schweiz. Nie hat Forster in der Heimat gedreht. Nie fand er eine Geschichte, die er dort ansiedeln wollte. «Um eine Geschichte zu erzählen brauche ich ein ganzes Jahr», sagt Forster. «Bist du jünger, ist ein Jahr nicht lange, aber heute frage ich mich: Wie viele Jahre bleiben mir noch? Wie ­viele Geschichten? Da überlege ich mir, was ich erzählen will.» Wobei ihn nicht der Plot, sondern die ­Figuren zu einem Film ziehen.

Er sehe sich «in einer grossen Verantwortung», sagt der Regisseur. Unterhalten will er, emotional bewegen. «Das Publikum soll meine Filme nicht lieben, wichtiger ist mir, dass sie Fragen aufwerfen.» Nur Fragen könnten etwas öffnen und anstossen. «Ändern müssen sich die Menschen schon selber.»

Forster gilt als feinfühlig, etwas introvertiert, keineswegs als eitel. Und doch: «Mir gefällt es, ein grosses Publikum zu erreichen.» Was einfacher sei mit Hollywoods universeller Filmsprache. «Hat ein Film kein Publikum, lebt er nicht.»

Er hat genau solche Filme gedreht. Kaum Zuschauer fanden der Thriller «Stay» mit Ewan McGregor (45) und «Machine Gun Preacher» über das Leid afrikanischer Kindersoldaten. Forster weiss: Das ist gefährlich. «Wer zu viele Misserfolge hat, bekommt seine Filme nicht mehr finanziert.» Vor allem die teuren Filme dürfen nicht floppen. «Setzt du einen Studiofilm in den Sand, ist es schwierig, einen weiteren grossen Film zu drehen.»

Forsters Blockbusters «World War Z» und Bond waren Hits, spielten je über eine Milliarde Dollar ein an der Kinokasse. «Hätten sie gefloppt, wäre das nicht gut gewesen», sagt er. Bei kleineren Filmen verziehe einem Hollywood schon mal einen Misserfolg.
Wobei ein kleiner Film in Hollywood zwischen 10 und 30 Millionen Dollar kostet, so viel wie kaum ein Film in Europa. «Oft weiss ich im Voraus, ob ein Projekt erfolgreich wird», sagt Forster. Wie aber geht er mit Misserfolgen um? «Ich gehe sofort zum nächsten Film.»

Bevor «Machine Gun Preacher» 2011 in die Kinos kam, drehte er «World War Z». Trost spendete ihm ein Star. «Leonardo DiCaprio sagte, es sei schwierig, mit einem Projekt über Afrika Erfolg zu haben.»

Was DiCaprio sagt, hat Gewicht. Er sei der mächtigste Mann in Hollywood, so Forster, der einzige Star, der heute noch jeden Film auf die Beine stellen kann. Das schafften etwa Tom Cruise (54) und Will Smith (48) nicht mehr.

Neben New York und Washington ist Hollywood das dritte Zentrum der Macht in den USA. Wer sie dort hat, wechselt ständig. Von den Studios zu den Regisseuren, zu den Stars, zurück zu den Studios.

Heute seien Studios nur noch an Mega-Produktionen interessiert, sagt Forster. Zwei Filmemachern stünde jede Türe offen: «Titanic»-Regisseur James Cameron (62) und «E. T.»-Macher Steven Spielberg (69).

Schweizer Filmer klagen über den Neid in der Branche. «In Hollywood gibt es gesunden Wettbewerb», so Forster. «Enorm ehrgeizig sind alle, aber auch kollegial. Jeder freut sich über den Erfolg des anderen.» Ohnehin verbringe er nur Zeit mit Menschen, deren Kunst er respektiere. Allein darum gehe es ihm, sagt Forster. «Nicht Geld treibt mich an, sondern Respekt für die Arbeit, die ich mache.»

Geld aber lähmt Hollywood. Es gibt kaum mehr aufwendige Dramen. «Weil das Publikum fehlt», so Forster. Zusammen mit Babysitter, Parkplatz und einem Abendessen zahlt ein Paar für den Kinobesuch schnell über hundert Dollar. «Hinter ihm liegt eine lange Woche mit tausend Problemen, da wollen ­viele lieber ‹Captain America› ­sehen als ein ernsthaftes Drama.»

Die Alternative? Fernsehserien. Forster selbst hat die Serie «Hand of God» produziert, zwei Episoden inszeniert. Er möge Serien. «Aber in der Produktion ist die Zeit viel zu knapp.» Zudem gebe es schon zu viele davon. Würde er nochmals eine drehen, nähme er sich mehr Zeit, um sie zu schneiden und über die Geschichten nachzudenken.

Abgedreht hat Forster «All I See Is You». Der Film handelt von einer blinden Frau, die wieder sehen kann. «Eine Parabel aufs Kino», sagt er, «eine Liebeserklärung an den Film.» Forster schrieb das Drehbuch, produzierte und führte Regie. Rund 30 Millionen Dollar hat das Werk gekostet, von einem Privatmann finanziert. «Weil ihm das Drehbuch gefiel», sagt er. Eben konnte er den Film an einen Verleiher verkaufen. Nächsten Sommer kommt er ins Kino, in 2500 Säle.

Ein Musical will er noch drehen, einen Science-Fiction, einen Film für die Kleinen. Neue Erzählformen packen ihn: Virtual Reality und ­Videoinstallationen. «Das Kino wird es immer geben», sagt Forster. «Heute musst du eine Geschichte erzählen können, die auch denen gefällt, die nur neun Sekunden lang aufmerksam sein können.»

Künftig, glaubt Forster sicher, werden die Kreativen in Hollywood vermehrt mit jenen im Silicon ­Valley zusammenspannen.